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Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Zweites Vierteljahr.

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Zwischen Theater und Amo
von Dr. W, Warstat

le Abwanderung immer größerer Massen des Publikums aus den
Theatern in die "Lichtspielhäuser" ist eine Erscheinung, die sich
jedem aufmerksamen Beobachter modernen Lebens aufdrängen muß.
Man hat anfangs behauptet, daß namentlich auf den billigen
Plätzen der Theater diese Abwanderung sich fühlbar mache, daß
es die minderbemittelten Klassen wären, die durch das Kinematographen-
cheater der Schaubühne entfremdet würden und daß auch ein großer Teil des
Publikums, das sich vor der belebten leuchtenden Leinwand versammelt, sich
aus Kreisen zusammensetze, die nie in ein wirkliches Theater kommen würden.

Die Abwanderung hat heute aber weiter um sich gegriffen, seit man die
Lichtbildbühne durchaus nicht mehr als das "Theater des armen Mannes"
bezeichnen darf, seit in den größeren Städten eigene prunkvolle Paläste für
kmematographische Vorstellungen gebaut worden sind und seit diese Institute
durch hochklingende Namen und luxuriöse Ausstattung auch die genießenden
oberen Schichten der Gesellschaft für sich zu gewinnen verstanden haben. So
schaut heute die elegante Gesellschaftsdame, in einen bequemen Sessel gelehnt,
genau denselben sensationellen Schauerfilm mit genau derselben atemloser
Spannung, wie einige Straßen weiter das Weib aus dem Volke, im rauch-
erfülltm, schmutzigen Raume, eng auf harter Holzbau! zusammengedrängt.

Und es wird nicht allzulange dauern, da wird man sich die Reform-
bestrebungen auf dem Gebiete der Kinematographie geschäftlich zunutze machen,
uürd sich die Reform als willkommenes Mäntelchen um die Schultern legen,
""d die "Reform-Lichtspielbühnen" werden auch deu intellektuellen Kreisen den
Vorwand geben, dessen sie bedürfen, um an den Lichtbildvorftthrungen teil¬
zunehmen, ohne sich und ihren Grundsätzen etwas zu vergeben. Auch dieses
letzte Studium der Entwicklung hat mancherorts schon begonnen.

Ihre wirtschaftlichen Folgen haben sich für das Theater aber schon überall
sehr fühlbar gemacht. Eine Statistik aus Österreich führte den Zusammenbruch
von weit über zwanzig kleineren Bühnen mit etwa sechzehnhundert Angestellten




Zwischen Theater und Amo
von Dr. W, Warstat

le Abwanderung immer größerer Massen des Publikums aus den
Theatern in die „Lichtspielhäuser" ist eine Erscheinung, die sich
jedem aufmerksamen Beobachter modernen Lebens aufdrängen muß.
Man hat anfangs behauptet, daß namentlich auf den billigen
Plätzen der Theater diese Abwanderung sich fühlbar mache, daß
es die minderbemittelten Klassen wären, die durch das Kinematographen-
cheater der Schaubühne entfremdet würden und daß auch ein großer Teil des
Publikums, das sich vor der belebten leuchtenden Leinwand versammelt, sich
aus Kreisen zusammensetze, die nie in ein wirkliches Theater kommen würden.

Die Abwanderung hat heute aber weiter um sich gegriffen, seit man die
Lichtbildbühne durchaus nicht mehr als das „Theater des armen Mannes"
bezeichnen darf, seit in den größeren Städten eigene prunkvolle Paläste für
kmematographische Vorstellungen gebaut worden sind und seit diese Institute
durch hochklingende Namen und luxuriöse Ausstattung auch die genießenden
oberen Schichten der Gesellschaft für sich zu gewinnen verstanden haben. So
schaut heute die elegante Gesellschaftsdame, in einen bequemen Sessel gelehnt,
genau denselben sensationellen Schauerfilm mit genau derselben atemloser
Spannung, wie einige Straßen weiter das Weib aus dem Volke, im rauch-
erfülltm, schmutzigen Raume, eng auf harter Holzbau! zusammengedrängt.

Und es wird nicht allzulange dauern, da wird man sich die Reform-
bestrebungen auf dem Gebiete der Kinematographie geschäftlich zunutze machen,
uürd sich die Reform als willkommenes Mäntelchen um die Schultern legen,
""d die „Reform-Lichtspielbühnen" werden auch deu intellektuellen Kreisen den
Vorwand geben, dessen sie bedürfen, um an den Lichtbildvorftthrungen teil¬
zunehmen, ohne sich und ihren Grundsätzen etwas zu vergeben. Auch dieses
letzte Studium der Entwicklung hat mancherorts schon begonnen.

Ihre wirtschaftlichen Folgen haben sich für das Theater aber schon überall
sehr fühlbar gemacht. Eine Statistik aus Österreich führte den Zusammenbruch
von weit über zwanzig kleineren Bühnen mit etwa sechzehnhundert Angestellten


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[0495] [Abbildung] Zwischen Theater und Amo von Dr. W, Warstat le Abwanderung immer größerer Massen des Publikums aus den Theatern in die „Lichtspielhäuser" ist eine Erscheinung, die sich jedem aufmerksamen Beobachter modernen Lebens aufdrängen muß. Man hat anfangs behauptet, daß namentlich auf den billigen Plätzen der Theater diese Abwanderung sich fühlbar mache, daß es die minderbemittelten Klassen wären, die durch das Kinematographen- cheater der Schaubühne entfremdet würden und daß auch ein großer Teil des Publikums, das sich vor der belebten leuchtenden Leinwand versammelt, sich aus Kreisen zusammensetze, die nie in ein wirkliches Theater kommen würden. Die Abwanderung hat heute aber weiter um sich gegriffen, seit man die Lichtbildbühne durchaus nicht mehr als das „Theater des armen Mannes" bezeichnen darf, seit in den größeren Städten eigene prunkvolle Paläste für kmematographische Vorstellungen gebaut worden sind und seit diese Institute durch hochklingende Namen und luxuriöse Ausstattung auch die genießenden oberen Schichten der Gesellschaft für sich zu gewinnen verstanden haben. So schaut heute die elegante Gesellschaftsdame, in einen bequemen Sessel gelehnt, genau denselben sensationellen Schauerfilm mit genau derselben atemloser Spannung, wie einige Straßen weiter das Weib aus dem Volke, im rauch- erfülltm, schmutzigen Raume, eng auf harter Holzbau! zusammengedrängt. Und es wird nicht allzulange dauern, da wird man sich die Reform- bestrebungen auf dem Gebiete der Kinematographie geschäftlich zunutze machen, uürd sich die Reform als willkommenes Mäntelchen um die Schultern legen, ""d die „Reform-Lichtspielbühnen" werden auch deu intellektuellen Kreisen den Vorwand geben, dessen sie bedürfen, um an den Lichtbildvorftthrungen teil¬ zunehmen, ohne sich und ihren Grundsätzen etwas zu vergeben. Auch dieses letzte Studium der Entwicklung hat mancherorts schon begonnen. Ihre wirtschaftlichen Folgen haben sich für das Theater aber schon überall sehr fühlbar gemacht. Eine Statistik aus Österreich führte den Zusammenbruch von weit über zwanzig kleineren Bühnen mit etwa sechzehnhundert Angestellten

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341895_321082/495>, abgerufen am 19.05.2024.