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Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Zweites Vierteljahr.

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Leistungen moderner Lustfahrzeuge

Armeen stehen 50 Kilometer auseinander. Heute Abend, zwei Stunden vor
Anbruch der Dunkelheit, klären die blauen Flieger der Kavalleriediviston die
Linie X auf, und stellen fest, daß die Gegend vom Feinde frei ist. Die Flieger
des I., II. und III. Armeekorps klären die Linien a, b und e auf und stellen
große Biwaks bei a, b und L und ein Kavalleriebiwak bei ä fest. Sie bringen
ihr Erkundungsergebnis in zwei Stunden zurück. Vor Anbruch der Morgen¬
dämmerung erkundet je ein zweiter Apparat des I., II., III.' Armeekorps und
der Kavalleriedivision, und ermittelt den Vormarsch der Kolonnen a,, b, c und et
in der Pfeilrichtung. Aufgabe eines dritten Flugzeuges bleibt es dann, die
Zusammensetzung der Marschkolonnen zu melden, während später ein viertes
Flugzeug die Aufstellung der Artillerie erkundet. Jedes Armeekorps hat noch
das Flugzeug von gestern Abend in Reserve.

Es bedarf keiner Erörterung wie sehr die blaue Armee V durch ihre Flug¬
zeuge gegen die rote Armee ^ im Vorteil ist, welch letztere durch ihre Kavallerie¬
division wohl Nachrichten über das blaue I. Armeekorps, aber nicht über das
II. und III. Armeekorps haben wird.

In der Lage der blauen Armee würden sich zurzeit die Franzosen, in
derjenigen der roten Armee die Deutschen befinden.

Aus den obigen Darlegungen wird auch der nicht militärisch geschulte Leser
zu der Schlußfolgerung kommen, daß wir es mit einer neuen Erkundungstruppe,
ja mit einer neuen Waffe von besonderer Eigenart und von größter Bedeutung
zu tun haben. Die Franzosen haben daraus die letzte Konsequenz gezogen,
indem sie den Satz: "Lustfahrerdienst gleich Generalstabsdienst" zum Gesetz er¬
hoben. Ihre Reorganisation des Militärluftfährwesens gipfelt darum in dem
Bestreben, das Luftfahrwesen von anders gearteten technischen Einflüssen frei
zu machen, es auf eigene Beine zu stellen und von dem belebenden Hauche
der Truppenverwendung durchsetzen zu lassen. An die Reorganisation eines
Heeresbestandteiles ist noch selten eine Nation so großzügig, so weitblickend, so
feinfühlig herangegangen, wie die Franzosen an die Umbildung ihres Militär¬
luftfährwesens.

Wollen wir den Franzosen den großen Vorsprung auf dem wichtigen
Gebiet der strategischen und taktischen Aufklärung nicht kampflos einräumen, so
bedarf es, von der Herstellung zahlreicher kriegsbrauchbarer Lustfahrzeuge abgesehen,
auch einer gründlichen Reorganisation des militärischen Flugwesens in Deutschland.

Mehr als je zwingt heutzutage die Tendenz, keine dauernde wirtschaftliche
Krisis durch kriegerische Verwicklungen eintreten zu lassen, die an der
wirtschaftlichen Lage interessierten Kreise -- also im weitesten Sinne die ganze
Nation -- zum Nachdenken darüber, ob in der militärischen Luftfahrt nicht ein
wesentlicher "kriegkürzender" Faktor gegeben ist, den wir im Interesse der
Wohlfahrt des Reiches nicht wie bisher vernachlässigen dürfen.

Mehr als je wird darum die Frage der Reorganisation des Luftfahrwesens
zu einer Frage der ganzen Nation.




Leistungen moderner Lustfahrzeuge

Armeen stehen 50 Kilometer auseinander. Heute Abend, zwei Stunden vor
Anbruch der Dunkelheit, klären die blauen Flieger der Kavalleriediviston die
Linie X auf, und stellen fest, daß die Gegend vom Feinde frei ist. Die Flieger
des I., II. und III. Armeekorps klären die Linien a, b und e auf und stellen
große Biwaks bei a, b und L und ein Kavalleriebiwak bei ä fest. Sie bringen
ihr Erkundungsergebnis in zwei Stunden zurück. Vor Anbruch der Morgen¬
dämmerung erkundet je ein zweiter Apparat des I., II., III.' Armeekorps und
der Kavalleriedivision, und ermittelt den Vormarsch der Kolonnen a,, b, c und et
in der Pfeilrichtung. Aufgabe eines dritten Flugzeuges bleibt es dann, die
Zusammensetzung der Marschkolonnen zu melden, während später ein viertes
Flugzeug die Aufstellung der Artillerie erkundet. Jedes Armeekorps hat noch
das Flugzeug von gestern Abend in Reserve.

Es bedarf keiner Erörterung wie sehr die blaue Armee V durch ihre Flug¬
zeuge gegen die rote Armee ^ im Vorteil ist, welch letztere durch ihre Kavallerie¬
division wohl Nachrichten über das blaue I. Armeekorps, aber nicht über das
II. und III. Armeekorps haben wird.

In der Lage der blauen Armee würden sich zurzeit die Franzosen, in
derjenigen der roten Armee die Deutschen befinden.

Aus den obigen Darlegungen wird auch der nicht militärisch geschulte Leser
zu der Schlußfolgerung kommen, daß wir es mit einer neuen Erkundungstruppe,
ja mit einer neuen Waffe von besonderer Eigenart und von größter Bedeutung
zu tun haben. Die Franzosen haben daraus die letzte Konsequenz gezogen,
indem sie den Satz: „Lustfahrerdienst gleich Generalstabsdienst" zum Gesetz er¬
hoben. Ihre Reorganisation des Militärluftfährwesens gipfelt darum in dem
Bestreben, das Luftfahrwesen von anders gearteten technischen Einflüssen frei
zu machen, es auf eigene Beine zu stellen und von dem belebenden Hauche
der Truppenverwendung durchsetzen zu lassen. An die Reorganisation eines
Heeresbestandteiles ist noch selten eine Nation so großzügig, so weitblickend, so
feinfühlig herangegangen, wie die Franzosen an die Umbildung ihres Militär¬
luftfährwesens.

Wollen wir den Franzosen den großen Vorsprung auf dem wichtigen
Gebiet der strategischen und taktischen Aufklärung nicht kampflos einräumen, so
bedarf es, von der Herstellung zahlreicher kriegsbrauchbarer Lustfahrzeuge abgesehen,
auch einer gründlichen Reorganisation des militärischen Flugwesens in Deutschland.

Mehr als je zwingt heutzutage die Tendenz, keine dauernde wirtschaftliche
Krisis durch kriegerische Verwicklungen eintreten zu lassen, die an der
wirtschaftlichen Lage interessierten Kreise — also im weitesten Sinne die ganze
Nation — zum Nachdenken darüber, ob in der militärischen Luftfahrt nicht ein
wesentlicher „kriegkürzender" Faktor gegeben ist, den wir im Interesse der
Wohlfahrt des Reiches nicht wie bisher vernachlässigen dürfen.

Mehr als je wird darum die Frage der Reorganisation des Luftfahrwesens
zu einer Frage der ganzen Nation.




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[0494] Leistungen moderner Lustfahrzeuge Armeen stehen 50 Kilometer auseinander. Heute Abend, zwei Stunden vor Anbruch der Dunkelheit, klären die blauen Flieger der Kavalleriediviston die Linie X auf, und stellen fest, daß die Gegend vom Feinde frei ist. Die Flieger des I., II. und III. Armeekorps klären die Linien a, b und e auf und stellen große Biwaks bei a, b und L und ein Kavalleriebiwak bei ä fest. Sie bringen ihr Erkundungsergebnis in zwei Stunden zurück. Vor Anbruch der Morgen¬ dämmerung erkundet je ein zweiter Apparat des I., II., III.' Armeekorps und der Kavalleriedivision, und ermittelt den Vormarsch der Kolonnen a,, b, c und et in der Pfeilrichtung. Aufgabe eines dritten Flugzeuges bleibt es dann, die Zusammensetzung der Marschkolonnen zu melden, während später ein viertes Flugzeug die Aufstellung der Artillerie erkundet. Jedes Armeekorps hat noch das Flugzeug von gestern Abend in Reserve. Es bedarf keiner Erörterung wie sehr die blaue Armee V durch ihre Flug¬ zeuge gegen die rote Armee ^ im Vorteil ist, welch letztere durch ihre Kavallerie¬ division wohl Nachrichten über das blaue I. Armeekorps, aber nicht über das II. und III. Armeekorps haben wird. In der Lage der blauen Armee würden sich zurzeit die Franzosen, in derjenigen der roten Armee die Deutschen befinden. Aus den obigen Darlegungen wird auch der nicht militärisch geschulte Leser zu der Schlußfolgerung kommen, daß wir es mit einer neuen Erkundungstruppe, ja mit einer neuen Waffe von besonderer Eigenart und von größter Bedeutung zu tun haben. Die Franzosen haben daraus die letzte Konsequenz gezogen, indem sie den Satz: „Lustfahrerdienst gleich Generalstabsdienst" zum Gesetz er¬ hoben. Ihre Reorganisation des Militärluftfährwesens gipfelt darum in dem Bestreben, das Luftfahrwesen von anders gearteten technischen Einflüssen frei zu machen, es auf eigene Beine zu stellen und von dem belebenden Hauche der Truppenverwendung durchsetzen zu lassen. An die Reorganisation eines Heeresbestandteiles ist noch selten eine Nation so großzügig, so weitblickend, so feinfühlig herangegangen, wie die Franzosen an die Umbildung ihres Militär¬ luftfährwesens. Wollen wir den Franzosen den großen Vorsprung auf dem wichtigen Gebiet der strategischen und taktischen Aufklärung nicht kampflos einräumen, so bedarf es, von der Herstellung zahlreicher kriegsbrauchbarer Lustfahrzeuge abgesehen, auch einer gründlichen Reorganisation des militärischen Flugwesens in Deutschland. Mehr als je zwingt heutzutage die Tendenz, keine dauernde wirtschaftliche Krisis durch kriegerische Verwicklungen eintreten zu lassen, die an der wirtschaftlichen Lage interessierten Kreise — also im weitesten Sinne die ganze Nation — zum Nachdenken darüber, ob in der militärischen Luftfahrt nicht ein wesentlicher „kriegkürzender" Faktor gegeben ist, den wir im Interesse der Wohlfahrt des Reiches nicht wie bisher vernachlässigen dürfen. Mehr als je wird darum die Frage der Reorganisation des Luftfahrwesens zu einer Frage der ganzen Nation.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341895_321082/494>, abgerufen am 09.06.2024.