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Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Zweites Vierteljahr.

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Reichsspiegel
Aoloniales

Die Deutsche Kolonialgesellschaft hat in den letzten Jahren einige deutlich,
wenn auch nur gelegentlich erkennbare Wandlungen durchgemacht. Es gab eine Zeit,
wo alles, was einigermaßen nach Politik aussah, in ihrem Kreise streng verpönt war.
Das war in den Jahren, da im Deutschen Reiche noch Zentrum Trumpf war und die
Kolonialverwaltung vorder katholischen Mission erzitterte. AuchdieKolonialgesellschaft
hatte damals kein leichtes Leben. Die Mitglieder murrten über die Untätigkeit
der maßgebenden Persönlichkeiten der Gesellschaft gegenüber den Vergewaltigungen
der Kolonien durch das Zentrum, und wie in der großen Politik der Volkswille
schließlich den vorletzten Reichstag hinwegfegte und einen kolonialfreundlichen
Reichstag an seine Stelle setzte, so gab es auch just um dieselbe Zeit innerhalb
der Kolonialgesellschaft eine Palastrevolution, die als ein reinigendes Gewitter die
Zentrumseinflüsse beseitigte und einen frischeren Zug in die Gesellschaft brachte.
Nun kamen ein paar Jahre, in denen die Propaganda der Gesellschaft für den
kolonialen Gedanken wenig gebraucht wurde. Dernburg war der Mann des
Tages und sein eigener Reklamechef. In neuerer Zeit ist die Kolonialbegeisterung
aber bedenklich abgeflaut und wenn nicht der Reichstag erst jüngst fast einstimmig seine
Kvlonialfreundlichkeit beteuert hätte, so könnte es einem wieder einmal bange
werden um die weitere Entwicklung der Kolonien, um so mehr, als derselbe
Reichstag in einem Atem mit diesen Beteuerungen sich einen Mehrheitsbeschluß
leistete, der schlimmer war, als ein halbes Dutzend abgelehnter Kolonialbahn¬
vorlagen. Wir meinen die jüngst schon erörterte Entschließung über die
Mischehen. Da konnte man nun neugierig sein, wie sich die Deutsche Kolonial¬
gesellschaft zu dieser Sünde gegen den Heiligen Geist des Rassenbewußiseins ver¬
halten würde. Würde sie sich wieder, wie einst, aus zarter Rücksicht gegen eine
gewisse Partei hinter ihren unpolitischen Charakter verschanzen und auch diesen
Skandal vornehm ignorieren, oder würde sie die rechten Worte finden, die erste
Voraussetzung jeder gesunden Kolonialpolitik, die reinliche Scheidung der Rassen,
mit Energie zu verteidigen? Erfreulicherweise hat die Kolonialgesellschaft die
Probe bestanden. Ihre bei der neulichen Hamburger Generalversammlung be¬
schlossene Resolution, in der sie dem Sinne nach die Reinhaltung der Rasse als
höchstes Gut eines Volkes pries und die Regierung aufforderte, für sie einzutreten,
mag manchen: zu zahm und der sittlichen Entrüstung entbehrend vorgekommen
sein. Aber das Entscheidende dabei und zugleich die schönste Rechtfertigung für
die Gesellschaft selbst war der Umstand, daß sie so gut wie einstimmig gefaßt
wurde. Für den nötigen Nachdruck, für die fehlende Schärfe werden unsere Lands-




Reichsspiegel
Aoloniales

Die Deutsche Kolonialgesellschaft hat in den letzten Jahren einige deutlich,
wenn auch nur gelegentlich erkennbare Wandlungen durchgemacht. Es gab eine Zeit,
wo alles, was einigermaßen nach Politik aussah, in ihrem Kreise streng verpönt war.
Das war in den Jahren, da im Deutschen Reiche noch Zentrum Trumpf war und die
Kolonialverwaltung vorder katholischen Mission erzitterte. AuchdieKolonialgesellschaft
hatte damals kein leichtes Leben. Die Mitglieder murrten über die Untätigkeit
der maßgebenden Persönlichkeiten der Gesellschaft gegenüber den Vergewaltigungen
der Kolonien durch das Zentrum, und wie in der großen Politik der Volkswille
schließlich den vorletzten Reichstag hinwegfegte und einen kolonialfreundlichen
Reichstag an seine Stelle setzte, so gab es auch just um dieselbe Zeit innerhalb
der Kolonialgesellschaft eine Palastrevolution, die als ein reinigendes Gewitter die
Zentrumseinflüsse beseitigte und einen frischeren Zug in die Gesellschaft brachte.
Nun kamen ein paar Jahre, in denen die Propaganda der Gesellschaft für den
kolonialen Gedanken wenig gebraucht wurde. Dernburg war der Mann des
Tages und sein eigener Reklamechef. In neuerer Zeit ist die Kolonialbegeisterung
aber bedenklich abgeflaut und wenn nicht der Reichstag erst jüngst fast einstimmig seine
Kvlonialfreundlichkeit beteuert hätte, so könnte es einem wieder einmal bange
werden um die weitere Entwicklung der Kolonien, um so mehr, als derselbe
Reichstag in einem Atem mit diesen Beteuerungen sich einen Mehrheitsbeschluß
leistete, der schlimmer war, als ein halbes Dutzend abgelehnter Kolonialbahn¬
vorlagen. Wir meinen die jüngst schon erörterte Entschließung über die
Mischehen. Da konnte man nun neugierig sein, wie sich die Deutsche Kolonial¬
gesellschaft zu dieser Sünde gegen den Heiligen Geist des Rassenbewußiseins ver¬
halten würde. Würde sie sich wieder, wie einst, aus zarter Rücksicht gegen eine
gewisse Partei hinter ihren unpolitischen Charakter verschanzen und auch diesen
Skandal vornehm ignorieren, oder würde sie die rechten Worte finden, die erste
Voraussetzung jeder gesunden Kolonialpolitik, die reinliche Scheidung der Rassen,
mit Energie zu verteidigen? Erfreulicherweise hat die Kolonialgesellschaft die
Probe bestanden. Ihre bei der neulichen Hamburger Generalversammlung be¬
schlossene Resolution, in der sie dem Sinne nach die Reinhaltung der Rasse als
höchstes Gut eines Volkes pries und die Regierung aufforderte, für sie einzutreten,
mag manchen: zu zahm und der sittlichen Entrüstung entbehrend vorgekommen
sein. Aber das Entscheidende dabei und zugleich die schönste Rechtfertigung für
die Gesellschaft selbst war der Umstand, daß sie so gut wie einstimmig gefaßt
wurde. Für den nötigen Nachdruck, für die fehlende Schärfe werden unsere Lands-


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[0555] [Abbildung] Reichsspiegel Aoloniales Die Deutsche Kolonialgesellschaft hat in den letzten Jahren einige deutlich, wenn auch nur gelegentlich erkennbare Wandlungen durchgemacht. Es gab eine Zeit, wo alles, was einigermaßen nach Politik aussah, in ihrem Kreise streng verpönt war. Das war in den Jahren, da im Deutschen Reiche noch Zentrum Trumpf war und die Kolonialverwaltung vorder katholischen Mission erzitterte. AuchdieKolonialgesellschaft hatte damals kein leichtes Leben. Die Mitglieder murrten über die Untätigkeit der maßgebenden Persönlichkeiten der Gesellschaft gegenüber den Vergewaltigungen der Kolonien durch das Zentrum, und wie in der großen Politik der Volkswille schließlich den vorletzten Reichstag hinwegfegte und einen kolonialfreundlichen Reichstag an seine Stelle setzte, so gab es auch just um dieselbe Zeit innerhalb der Kolonialgesellschaft eine Palastrevolution, die als ein reinigendes Gewitter die Zentrumseinflüsse beseitigte und einen frischeren Zug in die Gesellschaft brachte. Nun kamen ein paar Jahre, in denen die Propaganda der Gesellschaft für den kolonialen Gedanken wenig gebraucht wurde. Dernburg war der Mann des Tages und sein eigener Reklamechef. In neuerer Zeit ist die Kolonialbegeisterung aber bedenklich abgeflaut und wenn nicht der Reichstag erst jüngst fast einstimmig seine Kvlonialfreundlichkeit beteuert hätte, so könnte es einem wieder einmal bange werden um die weitere Entwicklung der Kolonien, um so mehr, als derselbe Reichstag in einem Atem mit diesen Beteuerungen sich einen Mehrheitsbeschluß leistete, der schlimmer war, als ein halbes Dutzend abgelehnter Kolonialbahn¬ vorlagen. Wir meinen die jüngst schon erörterte Entschließung über die Mischehen. Da konnte man nun neugierig sein, wie sich die Deutsche Kolonial¬ gesellschaft zu dieser Sünde gegen den Heiligen Geist des Rassenbewußiseins ver¬ halten würde. Würde sie sich wieder, wie einst, aus zarter Rücksicht gegen eine gewisse Partei hinter ihren unpolitischen Charakter verschanzen und auch diesen Skandal vornehm ignorieren, oder würde sie die rechten Worte finden, die erste Voraussetzung jeder gesunden Kolonialpolitik, die reinliche Scheidung der Rassen, mit Energie zu verteidigen? Erfreulicherweise hat die Kolonialgesellschaft die Probe bestanden. Ihre bei der neulichen Hamburger Generalversammlung be¬ schlossene Resolution, in der sie dem Sinne nach die Reinhaltung der Rasse als höchstes Gut eines Volkes pries und die Regierung aufforderte, für sie einzutreten, mag manchen: zu zahm und der sittlichen Entrüstung entbehrend vorgekommen sein. Aber das Entscheidende dabei und zugleich die schönste Rechtfertigung für die Gesellschaft selbst war der Umstand, daß sie so gut wie einstimmig gefaßt wurde. Für den nötigen Nachdruck, für die fehlende Schärfe werden unsere Lands-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341895_321082/555>, abgerufen am 26.05.2024.