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Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Zweites Vierteljahr.

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Maßgebliches und Unmaßgebliches

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gestalten"! der Rechtspflege stolz und kühn ihr
Haupt erhebt. Unter den Schriften dieses
Vereins, die er als besondere programmatische
Arbeiten außer seiner Zeitschrift Recht und
Wirtschaft herausgibt (Verleger ist Carl Hey-
manns Verlag in Berlin), ist soeben als viertes
Heft eine Arbeit von Professor Danz erschienen,
die wie eine ausführliche Antwort auf jenen
erwähnten Grenzboten-Artikel (den er auch er¬
wähnt) anmutet. Die Arbeit heißt "Richter-
recht" und man darf mit Fug von ihr be¬
haupten, daß sie für die Kunst derRechtsprechung
neue Grundlagen wissenschaftlich feststellt, Danz
räumt mit den so unheilvollen Bildern von der
"Gebundenheit des Richters an das Gesetz",
mit dem resignierten und achselzuckenden "per-
e>ufm ciurum, seel lo Isx scnpra", mit dem
Bilde des Richters als dem "Wächter des Willens
des Gesetzgebers", mit der sogenannten logi¬
schen und grammatischen Interpretation der
Gesetzesworte und mit der Überschätzung der
vom Gesetze gegebenen Formvorschristen gründ¬
lich auf. Er zeigt, daß wir uns auf falschem
Wege befanden, da die Sprachwissenschaft uns
lehre, wie verschieden zu verschiedenen Zeiten
und unter verschiedenen Uniständen Worte zu
deuten sind. Er zeigt, daß die Stellung des
Richters, wenn er nicht automatische Ent¬
scheidungsmaschine ohne Wissen und Kunst sein
will, ganz anders zu dem geschriebenen Gesetze
steht, als es bisher angenommen wurde, und
er zeigt auch den Weg, wie selbst ein "ge-
setzestreuer" Jurist (also ohne sich über das
Gesetz hinwegzusetzen) Formvorschriften zu ver¬
stehen hat. Er stellt also neue Sätze der
Rechtsprechung auf, die bisher, wenn auch
mancher vernünftige Richter sie schon des öfteren
geübt hat, noch keiner gewagt hat, so theo¬
retisch zu fordern. Wenn die Anwendung
einer gesetzlichen Vorschrift auf einen bestimmten
Fall, sagt Danz, zu einem unvernünftigen
Resultate führt (nach dem Maßstabe des ver¬
ständigen Normalmenschen), so ist der Richter
verpflichtet, einen Ausnahmerechtsatz aufzu¬
stellen, daß die Vorschrift für diesen Fall nicht
gilt; denn er hat Recht zu sprechen, das ist
seine gesetzliche Pflicht. Anderseits hat er mit
seinen Richterrechtsätzen Lücken im Gesetze aus¬
zufüllen; denn er hat Recht zu finden I Ma߬
stab und Leitlinie hat ihm dabei der Zweck
des Rechtsgeschäftes zu sein, zu dessen Ver¬

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wirklichung auf dein Boden des Rechts er
mitzuwirken hat, und die Verkehrssitle sowie
in erster Linie seine eigene Lebenserfahrung
haben ihm bei der Entscheidung zu helfen.
So allein kann er den Geist eines Gesetzes,
das dauernd Verhältnisse der Gegenwart
regeln will, erfassen und zum Leben erwecken.
-- Man urteile nun über diese so verständig
erscheinenden und dein Juristen doch so kühn
klingenden Sätze dos Verfassers nicht, ohne
die Schrift von Danz selbst gelesen zu haben.
Tatsache ist, daß die Stellung des Richters
bei solcher Auffassung wesentlich gehoben wird
und daß sie dem Rechte wieder zum Vertrauen
im Volke verhelfen kann, weil unter der Herr¬
schaft dieser modernen Ansichten unvernünftige
Gerichtsentscheidungen nach der Art der vor¬
gekommenen (in den Schriften herangezogenen)
künftig ausgeschlossen sind -- was ein un¬
geheuerer Segen für unsere Rechtskultur und
unser Wirtschaftsleben wäre.

Dr. zur. Alexander Elfter
Pädagogik

"Zwang" und "Prüfung" als beein¬
flussende Prinzipien im höheren Unterricht.
In seiner Schrift "Zur Grundlegung des
Erziehungs- und Unterrichtsbetriebs an
unseren höheren Schulen" (Marburg in
Hessen, N.G.Elwertsche Verlagsbuchhandlung,
VI. und 113 S. 8°. Preis 2,60 M.) sucht
Dr. Hermann Büttner nachzuweisen, daß
"Zwang" und "Prüfung", zwei Faktoren, die
mit der Organisation unserer Schulen als
Zwangs- und Berechtigungsschulen eng zu¬
sammenhängen, auf die unterrichtliche Tätigkeit
gerade an den höheren Schulen einen außer¬
ordentlich schlimmen Einfluß ausüben.

Der Zwang, auf den sich das Verhältnis
des Schülers zur Schule gründet -- wir
zwingen ihn zur Arbeit, auch zur Arbeit an
solchen Stoffen, für die er nicht gerade vor¬
wiegend interessiert und begabt ist --, ver¬
nichtet die Liebe zur Schule, er verhindert
das Entstehen eines näheren Verhältnisses
zwischen Schüler und Lehrer, er läßt auch die
sittlichen, die erzieherischen Werte, die aus
selbständigem, freiwilligem Handeln erwachsen,
nicht aufblühen.

Die Tatsache endlich, daß der Lehrer in
unserer heutigen Berechtigungsschule mit ihren

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Maßgebliches und Unmaßgebliches

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gestalten»! der Rechtspflege stolz und kühn ihr
Haupt erhebt. Unter den Schriften dieses
Vereins, die er als besondere programmatische
Arbeiten außer seiner Zeitschrift Recht und
Wirtschaft herausgibt (Verleger ist Carl Hey-
manns Verlag in Berlin), ist soeben als viertes
Heft eine Arbeit von Professor Danz erschienen,
die wie eine ausführliche Antwort auf jenen
erwähnten Grenzboten-Artikel (den er auch er¬
wähnt) anmutet. Die Arbeit heißt „Richter-
recht" und man darf mit Fug von ihr be¬
haupten, daß sie für die Kunst derRechtsprechung
neue Grundlagen wissenschaftlich feststellt, Danz
räumt mit den so unheilvollen Bildern von der
„Gebundenheit des Richters an das Gesetz",
mit dem resignierten und achselzuckenden „per-
e>ufm ciurum, seel lo Isx scnpra", mit dem
Bilde des Richters als dem „Wächter des Willens
des Gesetzgebers", mit der sogenannten logi¬
schen und grammatischen Interpretation der
Gesetzesworte und mit der Überschätzung der
vom Gesetze gegebenen Formvorschristen gründ¬
lich auf. Er zeigt, daß wir uns auf falschem
Wege befanden, da die Sprachwissenschaft uns
lehre, wie verschieden zu verschiedenen Zeiten
und unter verschiedenen Uniständen Worte zu
deuten sind. Er zeigt, daß die Stellung des
Richters, wenn er nicht automatische Ent¬
scheidungsmaschine ohne Wissen und Kunst sein
will, ganz anders zu dem geschriebenen Gesetze
steht, als es bisher angenommen wurde, und
er zeigt auch den Weg, wie selbst ein „ge-
setzestreuer" Jurist (also ohne sich über das
Gesetz hinwegzusetzen) Formvorschriften zu ver¬
stehen hat. Er stellt also neue Sätze der
Rechtsprechung auf, die bisher, wenn auch
mancher vernünftige Richter sie schon des öfteren
geübt hat, noch keiner gewagt hat, so theo¬
retisch zu fordern. Wenn die Anwendung
einer gesetzlichen Vorschrift auf einen bestimmten
Fall, sagt Danz, zu einem unvernünftigen
Resultate führt (nach dem Maßstabe des ver¬
ständigen Normalmenschen), so ist der Richter
verpflichtet, einen Ausnahmerechtsatz aufzu¬
stellen, daß die Vorschrift für diesen Fall nicht
gilt; denn er hat Recht zu sprechen, das ist
seine gesetzliche Pflicht. Anderseits hat er mit
seinen Richterrechtsätzen Lücken im Gesetze aus¬
zufüllen; denn er hat Recht zu finden I Ma߬
stab und Leitlinie hat ihm dabei der Zweck
des Rechtsgeschäftes zu sein, zu dessen Ver¬

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wirklichung auf dein Boden des Rechts er
mitzuwirken hat, und die Verkehrssitle sowie
in erster Linie seine eigene Lebenserfahrung
haben ihm bei der Entscheidung zu helfen.
So allein kann er den Geist eines Gesetzes,
das dauernd Verhältnisse der Gegenwart
regeln will, erfassen und zum Leben erwecken.
— Man urteile nun über diese so verständig
erscheinenden und dein Juristen doch so kühn
klingenden Sätze dos Verfassers nicht, ohne
die Schrift von Danz selbst gelesen zu haben.
Tatsache ist, daß die Stellung des Richters
bei solcher Auffassung wesentlich gehoben wird
und daß sie dem Rechte wieder zum Vertrauen
im Volke verhelfen kann, weil unter der Herr¬
schaft dieser modernen Ansichten unvernünftige
Gerichtsentscheidungen nach der Art der vor¬
gekommenen (in den Schriften herangezogenen)
künftig ausgeschlossen sind — was ein un¬
geheuerer Segen für unsere Rechtskultur und
unser Wirtschaftsleben wäre.

Dr. zur. Alexander Elfter
Pädagogik

„Zwang" und „Prüfung" als beein¬
flussende Prinzipien im höheren Unterricht.
In seiner Schrift „Zur Grundlegung des
Erziehungs- und Unterrichtsbetriebs an
unseren höheren Schulen" (Marburg in
Hessen, N.G.Elwertsche Verlagsbuchhandlung,
VI. und 113 S. 8°. Preis 2,60 M.) sucht
Dr. Hermann Büttner nachzuweisen, daß
„Zwang" und „Prüfung", zwei Faktoren, die
mit der Organisation unserer Schulen als
Zwangs- und Berechtigungsschulen eng zu¬
sammenhängen, auf die unterrichtliche Tätigkeit
gerade an den höheren Schulen einen außer¬
ordentlich schlimmen Einfluß ausüben.

Der Zwang, auf den sich das Verhältnis
des Schülers zur Schule gründet — wir
zwingen ihn zur Arbeit, auch zur Arbeit an
solchen Stoffen, für die er nicht gerade vor¬
wiegend interessiert und begabt ist —, ver¬
nichtet die Liebe zur Schule, er verhindert
das Entstehen eines näheren Verhältnisses
zwischen Schüler und Lehrer, er läßt auch die
sittlichen, die erzieherischen Werte, die aus
selbständigem, freiwilligem Handeln erwachsen,
nicht aufblühen.

Die Tatsache endlich, daß der Lehrer in
unserer heutigen Berechtigungsschule mit ihren

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[0597] Maßgebliches und Unmaßgebliches gestalten»! der Rechtspflege stolz und kühn ihr Haupt erhebt. Unter den Schriften dieses Vereins, die er als besondere programmatische Arbeiten außer seiner Zeitschrift Recht und Wirtschaft herausgibt (Verleger ist Carl Hey- manns Verlag in Berlin), ist soeben als viertes Heft eine Arbeit von Professor Danz erschienen, die wie eine ausführliche Antwort auf jenen erwähnten Grenzboten-Artikel (den er auch er¬ wähnt) anmutet. Die Arbeit heißt „Richter- recht" und man darf mit Fug von ihr be¬ haupten, daß sie für die Kunst derRechtsprechung neue Grundlagen wissenschaftlich feststellt, Danz räumt mit den so unheilvollen Bildern von der „Gebundenheit des Richters an das Gesetz", mit dem resignierten und achselzuckenden „per- e>ufm ciurum, seel lo Isx scnpra", mit dem Bilde des Richters als dem „Wächter des Willens des Gesetzgebers", mit der sogenannten logi¬ schen und grammatischen Interpretation der Gesetzesworte und mit der Überschätzung der vom Gesetze gegebenen Formvorschristen gründ¬ lich auf. Er zeigt, daß wir uns auf falschem Wege befanden, da die Sprachwissenschaft uns lehre, wie verschieden zu verschiedenen Zeiten und unter verschiedenen Uniständen Worte zu deuten sind. Er zeigt, daß die Stellung des Richters, wenn er nicht automatische Ent¬ scheidungsmaschine ohne Wissen und Kunst sein will, ganz anders zu dem geschriebenen Gesetze steht, als es bisher angenommen wurde, und er zeigt auch den Weg, wie selbst ein „ge- setzestreuer" Jurist (also ohne sich über das Gesetz hinwegzusetzen) Formvorschriften zu ver¬ stehen hat. Er stellt also neue Sätze der Rechtsprechung auf, die bisher, wenn auch mancher vernünftige Richter sie schon des öfteren geübt hat, noch keiner gewagt hat, so theo¬ retisch zu fordern. Wenn die Anwendung einer gesetzlichen Vorschrift auf einen bestimmten Fall, sagt Danz, zu einem unvernünftigen Resultate führt (nach dem Maßstabe des ver¬ ständigen Normalmenschen), so ist der Richter verpflichtet, einen Ausnahmerechtsatz aufzu¬ stellen, daß die Vorschrift für diesen Fall nicht gilt; denn er hat Recht zu sprechen, das ist seine gesetzliche Pflicht. Anderseits hat er mit seinen Richterrechtsätzen Lücken im Gesetze aus¬ zufüllen; denn er hat Recht zu finden I Ma߬ stab und Leitlinie hat ihm dabei der Zweck des Rechtsgeschäftes zu sein, zu dessen Ver¬ wirklichung auf dein Boden des Rechts er mitzuwirken hat, und die Verkehrssitle sowie in erster Linie seine eigene Lebenserfahrung haben ihm bei der Entscheidung zu helfen. So allein kann er den Geist eines Gesetzes, das dauernd Verhältnisse der Gegenwart regeln will, erfassen und zum Leben erwecken. — Man urteile nun über diese so verständig erscheinenden und dein Juristen doch so kühn klingenden Sätze dos Verfassers nicht, ohne die Schrift von Danz selbst gelesen zu haben. Tatsache ist, daß die Stellung des Richters bei solcher Auffassung wesentlich gehoben wird und daß sie dem Rechte wieder zum Vertrauen im Volke verhelfen kann, weil unter der Herr¬ schaft dieser modernen Ansichten unvernünftige Gerichtsentscheidungen nach der Art der vor¬ gekommenen (in den Schriften herangezogenen) künftig ausgeschlossen sind — was ein un¬ geheuerer Segen für unsere Rechtskultur und unser Wirtschaftsleben wäre. Dr. zur. Alexander Elfter Pädagogik „Zwang" und „Prüfung" als beein¬ flussende Prinzipien im höheren Unterricht. In seiner Schrift „Zur Grundlegung des Erziehungs- und Unterrichtsbetriebs an unseren höheren Schulen" (Marburg in Hessen, N.G.Elwertsche Verlagsbuchhandlung, VI. und 113 S. 8°. Preis 2,60 M.) sucht Dr. Hermann Büttner nachzuweisen, daß „Zwang" und „Prüfung", zwei Faktoren, die mit der Organisation unserer Schulen als Zwangs- und Berechtigungsschulen eng zu¬ sammenhängen, auf die unterrichtliche Tätigkeit gerade an den höheren Schulen einen außer¬ ordentlich schlimmen Einfluß ausüben. Der Zwang, auf den sich das Verhältnis des Schülers zur Schule gründet — wir zwingen ihn zur Arbeit, auch zur Arbeit an solchen Stoffen, für die er nicht gerade vor¬ wiegend interessiert und begabt ist —, ver¬ nichtet die Liebe zur Schule, er verhindert das Entstehen eines näheren Verhältnisses zwischen Schüler und Lehrer, er läßt auch die sittlichen, die erzieherischen Werte, die aus selbständigem, freiwilligem Handeln erwachsen, nicht aufblühen. Die Tatsache endlich, daß der Lehrer in unserer heutigen Berechtigungsschule mit ihren

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341895_321082/597>, abgerufen am 26.05.2024.