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Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Drittes Vierteljahr.

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Maßgebliches und Unmaßgebliches

[Beginn Spaltensatz]

junger Damen, die alles Lockere "himmlisch"
und "wonnig" finden. Haltet die Lust am
Wandern fest und kümmert euch nicht ums
andere. Euer Gewissen sei so leicht wie euer
Schritt, wenn ihr in aller Frühe auszieht,
um neue Schönheit zu atmen und neue
Sträuße der Wanderlust zu pflücken. Tragt
nur die winkenden Federn an den grünen
Hüten und tobt euch aus in der harmlosen
Freiheit, die ihr bei uns gefunden habt!
Tragt frischen Waldesduft mit heim in eure
Schulstuben; dies Jahr soll wieder ein Wander¬
jahr sein wie das hörige, und noch manches
liebe Mal soll es heißen:

Fritz Tychow
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mache. Man sieht jedoch, daß die nicht¬
juristische Seite des Vorkommnisses noch
inhaltreicher ist. Die Haltung des Arbeit¬
gebers setzte voraus, daß dieser sich der s. v,
Ausgekochtheit seines grundsätzlichen Stand-
Punktes bewußt war. Nur hat der Brave
nicht gewußt, daß die Männerwelt weder
Handhabe noch Befugnis besitzt, mit einem
weiblichen Ehrenwort zu operieren, denn die
Ehre der Frau schließt ihrer Natur nach jede
aktive Demonstration eigenen freien Entschlusses
aus. Kann aber einem Manne solch ein
grotesker Jrrtuni begegnen, dann hat er schon
den schlagenden Beweis geliefert, daß er un¬
möglich über eine feste Vorstellung vom
männlichen Ehrbegriff verfügt, weder von den
Grenzen noch vom Kern. Der Kalkül jenes
Beklagten lautete: "Was tue ich mit dem
Ehrenwort? Heureka: ich lasse mir eins geben I"
Und er nahm es, wo er es kriegen konnte,
d. h. er benutzte eine demi Nächsten als
funktionierend vermutete Hemmung zur
geschäftlichen Rückversicherung für den eigenen
Vorteil. Da hätten wir also ein geradezu
unschätzbares Beispiel derjenigen Anschauungs¬
weise, die bei ihrem Träger die eventuelle
Abgabe eines innerlich vollwichtigen Ehren¬
wortes ausschlösse. Er treibt Handel damit,
hat den Begriff regelrecht "ausgekocht", und
wenn er eines Tages für seine Person zu
fremden? Behuf eine bessere Qualität liefern
Würde, so wäre er ein Narr, sogar im ob¬
jektiven Sinne. -- Über die ernste Seite der
Sache ließe sich ein Band schreiben; wer eine
größere oder kleinere Sammlung von charakte¬
ristischen Entscheidungen deutscher Kaufmanns-
gerichte angelegt hat, wird wissen, was alles
hineingehören würde. Jedenfalls sind die
hehren Wendungen vom "königlichen Kauf¬
mann", auch wenn sie demi Einzelfall im
ganzen zutreffen, doch ein Opiat, und Herrn
Carnegies famoses Buch "Kaufmanns Herrsch¬
gewalt" war noch mehr, nämlich eine unedle
Dreistigkeit. So gewiß es ist, daß die Denker
einer Nation immer der Regel nach auf
wirtschaftliche Glanzeffekte werden verzichten
müssen, so nötig bleibt es, daß die Erwerbs¬
stände ihre ethischen Grundsätze stets aus
zweiter Hand nehmen, die eigene aber davon-
L. N. lassen.

[Ende Spaltensatz]
Das ausgekochte Ehrenwort.

stärkte Willenserklärung überhaupt hinfällig


Grenzboten III 191243
Maßgebliches und Unmaßgebliches

[Beginn Spaltensatz]

junger Damen, die alles Lockere „himmlisch"
und „wonnig" finden. Haltet die Lust am
Wandern fest und kümmert euch nicht ums
andere. Euer Gewissen sei so leicht wie euer
Schritt, wenn ihr in aller Frühe auszieht,
um neue Schönheit zu atmen und neue
Sträuße der Wanderlust zu pflücken. Tragt
nur die winkenden Federn an den grünen
Hüten und tobt euch aus in der harmlosen
Freiheit, die ihr bei uns gefunden habt!
Tragt frischen Waldesduft mit heim in eure
Schulstuben; dies Jahr soll wieder ein Wander¬
jahr sein wie das hörige, und noch manches
liebe Mal soll es heißen:

Fritz Tychow
[Spaltenumbruch]

mache. Man sieht jedoch, daß die nicht¬
juristische Seite des Vorkommnisses noch
inhaltreicher ist. Die Haltung des Arbeit¬
gebers setzte voraus, daß dieser sich der s. v,
Ausgekochtheit seines grundsätzlichen Stand-
Punktes bewußt war. Nur hat der Brave
nicht gewußt, daß die Männerwelt weder
Handhabe noch Befugnis besitzt, mit einem
weiblichen Ehrenwort zu operieren, denn die
Ehre der Frau schließt ihrer Natur nach jede
aktive Demonstration eigenen freien Entschlusses
aus. Kann aber einem Manne solch ein
grotesker Jrrtuni begegnen, dann hat er schon
den schlagenden Beweis geliefert, daß er un¬
möglich über eine feste Vorstellung vom
männlichen Ehrbegriff verfügt, weder von den
Grenzen noch vom Kern. Der Kalkül jenes
Beklagten lautete: „Was tue ich mit dem
Ehrenwort? Heureka: ich lasse mir eins geben I"
Und er nahm es, wo er es kriegen konnte,
d. h. er benutzte eine demi Nächsten als
funktionierend vermutete Hemmung zur
geschäftlichen Rückversicherung für den eigenen
Vorteil. Da hätten wir also ein geradezu
unschätzbares Beispiel derjenigen Anschauungs¬
weise, die bei ihrem Träger die eventuelle
Abgabe eines innerlich vollwichtigen Ehren¬
wortes ausschlösse. Er treibt Handel damit,
hat den Begriff regelrecht „ausgekocht", und
wenn er eines Tages für seine Person zu
fremden? Behuf eine bessere Qualität liefern
Würde, so wäre er ein Narr, sogar im ob¬
jektiven Sinne. — Über die ernste Seite der
Sache ließe sich ein Band schreiben; wer eine
größere oder kleinere Sammlung von charakte¬
ristischen Entscheidungen deutscher Kaufmanns-
gerichte angelegt hat, wird wissen, was alles
hineingehören würde. Jedenfalls sind die
hehren Wendungen vom „königlichen Kauf¬
mann", auch wenn sie demi Einzelfall im
ganzen zutreffen, doch ein Opiat, und Herrn
Carnegies famoses Buch „Kaufmanns Herrsch¬
gewalt" war noch mehr, nämlich eine unedle
Dreistigkeit. So gewiß es ist, daß die Denker
einer Nation immer der Regel nach auf
wirtschaftliche Glanzeffekte werden verzichten
müssen, so nötig bleibt es, daß die Erwerbs¬
stände ihre ethischen Grundsätze stets aus
zweiter Hand nehmen, die eigene aber davon-
L. N. lassen.

[Ende Spaltensatz]
Das ausgekochte Ehrenwort.

stärkte Willenserklärung überhaupt hinfällig


Grenzboten III 191243
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[0345] Maßgebliches und Unmaßgebliches junger Damen, die alles Lockere „himmlisch" und „wonnig" finden. Haltet die Lust am Wandern fest und kümmert euch nicht ums andere. Euer Gewissen sei so leicht wie euer Schritt, wenn ihr in aller Frühe auszieht, um neue Schönheit zu atmen und neue Sträuße der Wanderlust zu pflücken. Tragt nur die winkenden Federn an den grünen Hüten und tobt euch aus in der harmlosen Freiheit, die ihr bei uns gefunden habt! Tragt frischen Waldesduft mit heim in eure Schulstuben; dies Jahr soll wieder ein Wander¬ jahr sein wie das hörige, und noch manches liebe Mal soll es heißen: Fritz Tychow mache. Man sieht jedoch, daß die nicht¬ juristische Seite des Vorkommnisses noch inhaltreicher ist. Die Haltung des Arbeit¬ gebers setzte voraus, daß dieser sich der s. v, Ausgekochtheit seines grundsätzlichen Stand- Punktes bewußt war. Nur hat der Brave nicht gewußt, daß die Männerwelt weder Handhabe noch Befugnis besitzt, mit einem weiblichen Ehrenwort zu operieren, denn die Ehre der Frau schließt ihrer Natur nach jede aktive Demonstration eigenen freien Entschlusses aus. Kann aber einem Manne solch ein grotesker Jrrtuni begegnen, dann hat er schon den schlagenden Beweis geliefert, daß er un¬ möglich über eine feste Vorstellung vom männlichen Ehrbegriff verfügt, weder von den Grenzen noch vom Kern. Der Kalkül jenes Beklagten lautete: „Was tue ich mit dem Ehrenwort? Heureka: ich lasse mir eins geben I" Und er nahm es, wo er es kriegen konnte, d. h. er benutzte eine demi Nächsten als funktionierend vermutete Hemmung zur geschäftlichen Rückversicherung für den eigenen Vorteil. Da hätten wir also ein geradezu unschätzbares Beispiel derjenigen Anschauungs¬ weise, die bei ihrem Träger die eventuelle Abgabe eines innerlich vollwichtigen Ehren¬ wortes ausschlösse. Er treibt Handel damit, hat den Begriff regelrecht „ausgekocht", und wenn er eines Tages für seine Person zu fremden? Behuf eine bessere Qualität liefern Würde, so wäre er ein Narr, sogar im ob¬ jektiven Sinne. — Über die ernste Seite der Sache ließe sich ein Band schreiben; wer eine größere oder kleinere Sammlung von charakte¬ ristischen Entscheidungen deutscher Kaufmanns- gerichte angelegt hat, wird wissen, was alles hineingehören würde. Jedenfalls sind die hehren Wendungen vom „königlichen Kauf¬ mann", auch wenn sie demi Einzelfall im ganzen zutreffen, doch ein Opiat, und Herrn Carnegies famoses Buch „Kaufmanns Herrsch¬ gewalt" war noch mehr, nämlich eine unedle Dreistigkeit. So gewiß es ist, daß die Denker einer Nation immer der Regel nach auf wirtschaftliche Glanzeffekte werden verzichten müssen, so nötig bleibt es, daß die Erwerbs¬ stände ihre ethischen Grundsätze stets aus zweiter Hand nehmen, die eigene aber davon- L. N. lassen. Das ausgekochte Ehrenwort. stärkte Willenserklärung überhaupt hinfällig Grenzboten III 191243

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341895_321746/345>, abgerufen am 05.05.2024.