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Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Drittes Vierteljahr.

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Aarl Salzor

fragten den Bater, was er denn habe. Ob er sich Gedanken darüber mache,
weil die Bauern allerhand schwätzten? Das dürfe er nicht tun, denn die seien
doch ganz sicher vom Neid über des Vaters große Gurkenzucht verführt.

Da wußte er, daß sein Benehmen zu feierlich war. Er sah die Angst in
den Augen seiner Kinder. Der Schweiß trat ihm aus die Stirne; er wischte
ihn mit dem entblößten haarigen Unterarm ab und antwortete den beiden:

"Ach was, Gedanken machen! Geht nur schön fort! Ich will euch was
sagen: vielleicht komm ich auch noch naus zu euch und helf ein bischen!"

"Vater!" entgegnete der Bursche, "ich will dir was sagen: wir werden
bis gegen Mittag fertig mit dem halben Morgen in der Langgewann. Du
kannst ja Uhre Elfe den Gaul einspannen und nausfahren, die Gummern holen.
Meinst du net, Sophie, so wärs gescheidter?!"

"O jo, doch," sagte das Mädchen, während der Vater erwiderte:

"Meintwegen, 's^ist mir auch so recht!"

Die beiden Kinder nahmen ihre Bogenkörbchen, in die Gurken gesammelt
werden, und gingen mit der Tante, die in der Kirche der Sechsuhrmesse bei¬
wohnen wollte, zum Tore hinaus.

Als der Schmied allein war, trat er wieder in das Haus, ging in die
Stube, in der der Kassenschrank stand, erschloß ihn und nahm aus einem Gefach
einen Revolver, den er in die Tasche steckte. Dann ging er noch einmal in
jedes Zimmer, tappte mit schweren Schritten zur Stiege hinauf auf den Speicher,
darauf hinunter in den Keller, hernach in den Stall, wo er dem sich nach ihm
umsehenden Pferde auf den Schenkel tätschelte, sodann in die Scheuer, auf deren
Tenne große Haufen Gurken lagen.

Alles wollte er noch einmal gesehen, die Luft eines jeden Raumes noch
einmal geatmet haben.

Zuletzt blickte der unglückliche Mann zu dem blauleuchtenden Himmel auf.
Ein qualvoll tiefer Seufzer riß aus seiner Brust, und er stöhnte mit rasselnden
Atem:

"Herrgott, Herrgott, Herrgott, daß es Hot soweit kommen müssen!"

Nach diesen Worten stand er noch eine Weile mit emporgerichtetem Gesichte,
in dem es zuckte und zerrte, da, bis er endlich in schnellem Entschluß durch die
Werksstattür trat, die er hinter sich schloß.

Und dann geschah es. . .


2.

Um dieselbe Zeit arbeiteten die beiden Kinder mit einem Teil der Tage¬
löhner auf dem Gurkenfelde in der Langgewann, während die anderen unter
Aufsicht des Gesellen auf der Moorst, einer anderen Gewann, beschäftigt waren.

Je zwei Leute nahmen sich eine Zeile des langgestreckten Ackers vor. Karl
und Sophie, die Geschwister, arbeiten zusammen. Das eine auf dieser, das
andere auf der anderen Seite der Zeile. Tief gebückt, brechen sie die glatten


Grenzboten III 1912 S4
Aarl Salzor

fragten den Bater, was er denn habe. Ob er sich Gedanken darüber mache,
weil die Bauern allerhand schwätzten? Das dürfe er nicht tun, denn die seien
doch ganz sicher vom Neid über des Vaters große Gurkenzucht verführt.

Da wußte er, daß sein Benehmen zu feierlich war. Er sah die Angst in
den Augen seiner Kinder. Der Schweiß trat ihm aus die Stirne; er wischte
ihn mit dem entblößten haarigen Unterarm ab und antwortete den beiden:

„Ach was, Gedanken machen! Geht nur schön fort! Ich will euch was
sagen: vielleicht komm ich auch noch naus zu euch und helf ein bischen!"

„Vater!" entgegnete der Bursche, „ich will dir was sagen: wir werden
bis gegen Mittag fertig mit dem halben Morgen in der Langgewann. Du
kannst ja Uhre Elfe den Gaul einspannen und nausfahren, die Gummern holen.
Meinst du net, Sophie, so wärs gescheidter?!"

„O jo, doch," sagte das Mädchen, während der Vater erwiderte:

„Meintwegen, 's^ist mir auch so recht!"

Die beiden Kinder nahmen ihre Bogenkörbchen, in die Gurken gesammelt
werden, und gingen mit der Tante, die in der Kirche der Sechsuhrmesse bei¬
wohnen wollte, zum Tore hinaus.

Als der Schmied allein war, trat er wieder in das Haus, ging in die
Stube, in der der Kassenschrank stand, erschloß ihn und nahm aus einem Gefach
einen Revolver, den er in die Tasche steckte. Dann ging er noch einmal in
jedes Zimmer, tappte mit schweren Schritten zur Stiege hinauf auf den Speicher,
darauf hinunter in den Keller, hernach in den Stall, wo er dem sich nach ihm
umsehenden Pferde auf den Schenkel tätschelte, sodann in die Scheuer, auf deren
Tenne große Haufen Gurken lagen.

Alles wollte er noch einmal gesehen, die Luft eines jeden Raumes noch
einmal geatmet haben.

Zuletzt blickte der unglückliche Mann zu dem blauleuchtenden Himmel auf.
Ein qualvoll tiefer Seufzer riß aus seiner Brust, und er stöhnte mit rasselnden
Atem:

„Herrgott, Herrgott, Herrgott, daß es Hot soweit kommen müssen!"

Nach diesen Worten stand er noch eine Weile mit emporgerichtetem Gesichte,
in dem es zuckte und zerrte, da, bis er endlich in schnellem Entschluß durch die
Werksstattür trat, die er hinter sich schloß.

Und dann geschah es. . .


2.

Um dieselbe Zeit arbeiteten die beiden Kinder mit einem Teil der Tage¬
löhner auf dem Gurkenfelde in der Langgewann, während die anderen unter
Aufsicht des Gesellen auf der Moorst, einer anderen Gewann, beschäftigt waren.

Je zwei Leute nahmen sich eine Zeile des langgestreckten Ackers vor. Karl
und Sophie, die Geschwister, arbeiten zusammen. Das eine auf dieser, das
andere auf der anderen Seite der Zeile. Tief gebückt, brechen sie die glatten


Grenzboten III 1912 S4
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[0433] Aarl Salzor fragten den Bater, was er denn habe. Ob er sich Gedanken darüber mache, weil die Bauern allerhand schwätzten? Das dürfe er nicht tun, denn die seien doch ganz sicher vom Neid über des Vaters große Gurkenzucht verführt. Da wußte er, daß sein Benehmen zu feierlich war. Er sah die Angst in den Augen seiner Kinder. Der Schweiß trat ihm aus die Stirne; er wischte ihn mit dem entblößten haarigen Unterarm ab und antwortete den beiden: „Ach was, Gedanken machen! Geht nur schön fort! Ich will euch was sagen: vielleicht komm ich auch noch naus zu euch und helf ein bischen!" „Vater!" entgegnete der Bursche, „ich will dir was sagen: wir werden bis gegen Mittag fertig mit dem halben Morgen in der Langgewann. Du kannst ja Uhre Elfe den Gaul einspannen und nausfahren, die Gummern holen. Meinst du net, Sophie, so wärs gescheidter?!" „O jo, doch," sagte das Mädchen, während der Vater erwiderte: „Meintwegen, 's^ist mir auch so recht!" Die beiden Kinder nahmen ihre Bogenkörbchen, in die Gurken gesammelt werden, und gingen mit der Tante, die in der Kirche der Sechsuhrmesse bei¬ wohnen wollte, zum Tore hinaus. Als der Schmied allein war, trat er wieder in das Haus, ging in die Stube, in der der Kassenschrank stand, erschloß ihn und nahm aus einem Gefach einen Revolver, den er in die Tasche steckte. Dann ging er noch einmal in jedes Zimmer, tappte mit schweren Schritten zur Stiege hinauf auf den Speicher, darauf hinunter in den Keller, hernach in den Stall, wo er dem sich nach ihm umsehenden Pferde auf den Schenkel tätschelte, sodann in die Scheuer, auf deren Tenne große Haufen Gurken lagen. Alles wollte er noch einmal gesehen, die Luft eines jeden Raumes noch einmal geatmet haben. Zuletzt blickte der unglückliche Mann zu dem blauleuchtenden Himmel auf. Ein qualvoll tiefer Seufzer riß aus seiner Brust, und er stöhnte mit rasselnden Atem: „Herrgott, Herrgott, Herrgott, daß es Hot soweit kommen müssen!" Nach diesen Worten stand er noch eine Weile mit emporgerichtetem Gesichte, in dem es zuckte und zerrte, da, bis er endlich in schnellem Entschluß durch die Werksstattür trat, die er hinter sich schloß. Und dann geschah es. . . 2. Um dieselbe Zeit arbeiteten die beiden Kinder mit einem Teil der Tage¬ löhner auf dem Gurkenfelde in der Langgewann, während die anderen unter Aufsicht des Gesellen auf der Moorst, einer anderen Gewann, beschäftigt waren. Je zwei Leute nahmen sich eine Zeile des langgestreckten Ackers vor. Karl und Sophie, die Geschwister, arbeiten zusammen. Das eine auf dieser, das andere auf der anderen Seite der Zeile. Tief gebückt, brechen sie die glatten Grenzboten III 1912 S4

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341895_321746/433>, abgerufen am 05.05.2024.