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Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Drittes Vierteljahr.

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Karl Salzer

einem Ausgange die Neuigkeit heim, daß der Vorstand der Kasse und der
Gemeinderat zu einer dringlichen Sitzung zusammengerufen worden seien, und
im Dorfe munkele man, daß es sich in der Verhandlung wohl um den Spar¬
kassenrechner drehen werde.

Auf die eindringlichen Bitten der Frau, ihr doch zu sagen, ob etwas
nicht in Ordnung sei, wurde der Schmied grob und entgegnete ihr, die Spar¬
kassenangelegenheiten gingen sie nichts an.

Seelchen dachte daran, ihren Neffen in die Sache einzuweihen, vielleicht,
daß es ihm gelänge, den Vater zum Reden zu bewegen. Aber mit demselben
Gedanken verwarf sie auch gleich wieder den Plan, weil sie sich erinnerte, daß
der Bursche sich schon beim Verlauten der Gerüchte im Dorfe sehr erregt gezeigt
hatte und ihnen keinen Glauben schenken wollte, so sehr auch die Tante bei
seiner Frage, wie sie über die Geschichte denke, die Stirne kraus zog und
bedeutungsvoll schwieg. Mochte das Kind denn in Gottesnamen an die Unschuld
des Vaters glauben, so lange ein Vergehen nicht klipp und klar bewiesen war.

Ganz spät am Abend, als die Taglöhner schon alle nach Hause gegangen
waren und die beiden Kinder bereits im Bette lagen, begab sich Seelchen zu
der ihr befreundeten Frau eines Gemeinderath, um zu erfahren, worum es sich
in der Sitzung gehandelt habe. Sie traf es gut, denn der Bauer, der selbst
wohl nicht geredet hätte, war nicht daheim. Er hatte eine Sense zum Dengeln
zu dem Schlosser Fahrenbach getragen, denn es war Erntezeit. Nach langem
Bitten und Betteln und nachdem die Bäuerin unverbrüchliches Schweigen auf¬
erlegt hatte, erfuhr sie endlich, daß nächsten Tages der Kreisrechner aus Worms
und ein vereidigter Bücherrevisor bei dem Schmied eine Revision vornehmen
würden. Die Gerüchte, die da schwirrten, müßten doch wohl einen Grund
haben, und es sei zu bedenken, daß es sich bei der Sparkasse um dreimal-
hunderttausend Mark handele, Geldern aus kleinbäuerlichen und Arbeiterkreisen.

Mit schwerem Herzen trug die Frau diese Nachricht heim. Sie fand den
Schmied vor den Sparkassenbüchern sitzend und bemerkte, daß seine Stirn über
und über mit Schweiß bedeckt war. Wieder drang sie in ihn, um ihn zum
Reden zu bewegen, und wieder waren all ihre Worte vergebens.

Da enthüllte sie ihrem Schwager das Geheimnis ihrer Erkundigung. Der
Schmied erbleichte, schloß die Bücher und legte sie in den feuerfestem Kafsen-
schrank zurück. Dann stand er vom Stuhle auf, lachte und begab sich in sein
Schlafzimmer.

Am nächsten Morgen erteilte er wie gewöhnlich die Arbeitsanweisungen
und schickte auch den Schmiedegesellen zusammen mit den Taglöhnern zum
Gurkenbrechen, was weiter nicht auffällig war, weil das öfters geschah.

Zuletzt entließ er seine beiden Kinder, einen Burschen und ein Mädchen,
das zwei Jahre jünger als der Bruder war.

"Adieu, ihr Kinder, schafft recht fleißig!" sagte er und gab jedem die
Hand, was sonst nicht seine Art war. Die Kinder sahen erstaunt auf und


Karl Salzer

einem Ausgange die Neuigkeit heim, daß der Vorstand der Kasse und der
Gemeinderat zu einer dringlichen Sitzung zusammengerufen worden seien, und
im Dorfe munkele man, daß es sich in der Verhandlung wohl um den Spar¬
kassenrechner drehen werde.

Auf die eindringlichen Bitten der Frau, ihr doch zu sagen, ob etwas
nicht in Ordnung sei, wurde der Schmied grob und entgegnete ihr, die Spar¬
kassenangelegenheiten gingen sie nichts an.

Seelchen dachte daran, ihren Neffen in die Sache einzuweihen, vielleicht,
daß es ihm gelänge, den Vater zum Reden zu bewegen. Aber mit demselben
Gedanken verwarf sie auch gleich wieder den Plan, weil sie sich erinnerte, daß
der Bursche sich schon beim Verlauten der Gerüchte im Dorfe sehr erregt gezeigt
hatte und ihnen keinen Glauben schenken wollte, so sehr auch die Tante bei
seiner Frage, wie sie über die Geschichte denke, die Stirne kraus zog und
bedeutungsvoll schwieg. Mochte das Kind denn in Gottesnamen an die Unschuld
des Vaters glauben, so lange ein Vergehen nicht klipp und klar bewiesen war.

Ganz spät am Abend, als die Taglöhner schon alle nach Hause gegangen
waren und die beiden Kinder bereits im Bette lagen, begab sich Seelchen zu
der ihr befreundeten Frau eines Gemeinderath, um zu erfahren, worum es sich
in der Sitzung gehandelt habe. Sie traf es gut, denn der Bauer, der selbst
wohl nicht geredet hätte, war nicht daheim. Er hatte eine Sense zum Dengeln
zu dem Schlosser Fahrenbach getragen, denn es war Erntezeit. Nach langem
Bitten und Betteln und nachdem die Bäuerin unverbrüchliches Schweigen auf¬
erlegt hatte, erfuhr sie endlich, daß nächsten Tages der Kreisrechner aus Worms
und ein vereidigter Bücherrevisor bei dem Schmied eine Revision vornehmen
würden. Die Gerüchte, die da schwirrten, müßten doch wohl einen Grund
haben, und es sei zu bedenken, daß es sich bei der Sparkasse um dreimal-
hunderttausend Mark handele, Geldern aus kleinbäuerlichen und Arbeiterkreisen.

Mit schwerem Herzen trug die Frau diese Nachricht heim. Sie fand den
Schmied vor den Sparkassenbüchern sitzend und bemerkte, daß seine Stirn über
und über mit Schweiß bedeckt war. Wieder drang sie in ihn, um ihn zum
Reden zu bewegen, und wieder waren all ihre Worte vergebens.

Da enthüllte sie ihrem Schwager das Geheimnis ihrer Erkundigung. Der
Schmied erbleichte, schloß die Bücher und legte sie in den feuerfestem Kafsen-
schrank zurück. Dann stand er vom Stuhle auf, lachte und begab sich in sein
Schlafzimmer.

Am nächsten Morgen erteilte er wie gewöhnlich die Arbeitsanweisungen
und schickte auch den Schmiedegesellen zusammen mit den Taglöhnern zum
Gurkenbrechen, was weiter nicht auffällig war, weil das öfters geschah.

Zuletzt entließ er seine beiden Kinder, einen Burschen und ein Mädchen,
das zwei Jahre jünger als der Bruder war.

„Adieu, ihr Kinder, schafft recht fleißig!" sagte er und gab jedem die
Hand, was sonst nicht seine Art war. Die Kinder sahen erstaunt auf und


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341895_321746/432>, abgerufen am 18.05.2024.