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Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Viertes Vierteljahr.

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Maßgebliches und Unmaßgebliches

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Alter zu Selbständigkeit und Unabhängigkeit
erzogen werden. Mittlerweile haben wir ja
mit den neuen Bestimmungen Fühlung ge¬
nommen und können schon einiges über ihre
Wirkung aussagen. Da wird mancher die
Erfahrung gemacht haben, daß, seitdem die
vorbereitende Konzentration wegfällt, die Ar¬
beiten weit unüberlegter geraten. Das drückt
sich schon in der Schrift aus, die deutlich
liederlicher geworden ist. Die Anforderungen
mußten natürlich bescheidener werden, da bei
mangelnder EinPrägung des Stoffes unmög¬
lich die gleichen Leistungen von den Schülern
verlangt werden können. Auch für die be¬
urteilende Kontrolle haben die Arbeiten jetzt
weniger Wert, da die geistigen Kräfte des
Schülers nicht mehr in derselben Weise an¬
gestrengt werden wie früher.

Auch jüngere Lehrer werden meiner An¬
sicht sein. Denn es handelt sich bei dieser
Frage gar nicht um den Streit der Alten und
der Jungen, der "Isuäatorss temporis acti"
und der "Anhänger des modernen Geistes",
sondern um die Frage! dürfen wir noch länger
mit sogenannten "Reformen" an der Schule
hernmexperimentieren, um den Schülern mög¬
lichst bequeme Wege zu finden? Soll die
Schule zu Selbstzucht und geistiger Arbeit
erziehen oder soll sie die Söhne wohlhabender
Eltern möglichst mühelos zum alleinselig¬
machenden Abiturium führen?

Denn daß der Ertemporaleerlnß tatsächlich
eine Erleichterung für die Schüler bedeutet,
beweist gerade die große Schar der Gründe,
mit denen der Minister das Gegenteil be¬
hauptet. Auch kann man klar aus ihnen
herauslesen, daß das neue Verfahren den¬
jenigen Schülern zugute kommen soll, die in
der Furcht vor dem Extemporale im voraus
nervös wurden und dann im entscheidenden
Augenblick versagten. Der Minister gibt also
seine Rücksichtnahme aus "schwachnervige und
minderwertige"Kinder zu und Herr Dr. Haven-
stein auch.

Durch solche Erlasse, die mittels der Presse
in die breiteste Öffentlichkeit getragen werden,
wird das Publikum in der Meinung bestärkt,
die Schule habe die Pflicht, auch den Schwachen
und Schwächsten sich anzupassen, und jeder
Junge, dessen Eltern es sich leisten können,
müsse unbedingt die ganze Schule durchlaufen.

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Dieser gefährliche Irrtum, der durch rücksichts¬
volle "Reformen" immer mehr gekräftigt wird,
füllt unsere höheren Schulen ost mit wert¬
losen Material. Die Folge davon ist eine
stetig wachsende Gleichgültigkeit und Gering¬
schätzung gegenüber der Schule. Die Schüler
werden schließlich in ihrem Besuch nur noch
eine Formalität sehen, um zu sozial geachteten
Stellungen zu gelangen. Die Schule hat
aber nicht die Aufgabe, ein geistiges Mcm-
darinentum zu schaffen, sondern befähigte
Naturen zu geistiger Selbstdisziplin und
methodischer Arbeit zu erziehen. Deshalb
muß nachdrücklich und kräftig darauf hin¬
gewiesen werden, daß nicht alle Jungen auf
die höhere Schule gehören; deshalb müssen
die Ansprüche erhöht, deshalb muß die Kon¬
trolle verschärft werden. Dann werden wir
auch wieder eine Jugend zur Heranbildung
bekommen, die sich für den Unterricht wirklich
begeistern kann, in dem sie die Stärkung
ihrer geistigen Kräfte fühlt, und der das
Wissen nicht gewaltsam in das widerwillige
Hirn gestopft werden muß.

Dr. Max Mülle
Annstfragen
Eidgenössische Kunstpflege.

In Neuen¬
burg (NeuchÄtel), in dem lieblichen Städtchen
an dem blaugrauen See, am buchenbewach¬
senen Jura, der jetzt in goldener Herbsteslnhe
glüht, hat der Bund im neukonstruierten, trans¬
portablen Ausstellungsgebäude die XI. Natio¬
nale Kunstausstellung eröffnet. Nun können
die Schweizerstädte der Reihe nach mit der
heimischen Kunst, ihrer Entwicklung, ihrem
Stand und ihren Gipfeln in ästhetisch, wie
nuSstellungstechnisch einwandfreien Rahmen
bekannt gemacht werden. Der Bau der Pa¬
riser Gesellschaft für "Lcmstruetion ciemon-
tsble et ki^ier.iczuö" hat 120000 Franken
gekostet; er bedeckt eine Gesamtfläche von
1K00 Quadratmetern, bietet eine Brüstung von
700 Metern Gesamtlänge. Die Auf- und
Abmontierung ist überaus einfach und die
Dimensionen und Verteilungen richten sich
mit größter Leichtigkeit nach den jeweiligen
Terrainverhältnissen. Die Wände sind aus
Zement, mit Rupfen bespannt und mit Öl¬
farbe dick bestrichen. Die Konstruktion ruht
auf zerlegbaren, eisernen Röhren, die un-

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Grenzboten IV 191236
Maßgebliches und Unmaßgebliches

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Alter zu Selbständigkeit und Unabhängigkeit
erzogen werden. Mittlerweile haben wir ja
mit den neuen Bestimmungen Fühlung ge¬
nommen und können schon einiges über ihre
Wirkung aussagen. Da wird mancher die
Erfahrung gemacht haben, daß, seitdem die
vorbereitende Konzentration wegfällt, die Ar¬
beiten weit unüberlegter geraten. Das drückt
sich schon in der Schrift aus, die deutlich
liederlicher geworden ist. Die Anforderungen
mußten natürlich bescheidener werden, da bei
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lich die gleichen Leistungen von den Schülern
verlangt werden können. Auch für die be¬
urteilende Kontrolle haben die Arbeiten jetzt
weniger Wert, da die geistigen Kräfte des
Schülers nicht mehr in derselben Weise an¬
gestrengt werden wie früher.

Auch jüngere Lehrer werden meiner An¬
sicht sein. Denn es handelt sich bei dieser
Frage gar nicht um den Streit der Alten und
der Jungen, der „Isuäatorss temporis acti"
und der „Anhänger des modernen Geistes",
sondern um die Frage! dürfen wir noch länger
mit sogenannten „Reformen" an der Schule
hernmexperimentieren, um den Schülern mög¬
lichst bequeme Wege zu finden? Soll die
Schule zu Selbstzucht und geistiger Arbeit
erziehen oder soll sie die Söhne wohlhabender
Eltern möglichst mühelos zum alleinselig¬
machenden Abiturium führen?

Denn daß der Ertemporaleerlnß tatsächlich
eine Erleichterung für die Schüler bedeutet,
beweist gerade die große Schar der Gründe,
mit denen der Minister das Gegenteil be¬
hauptet. Auch kann man klar aus ihnen
herauslesen, daß das neue Verfahren den¬
jenigen Schülern zugute kommen soll, die in
der Furcht vor dem Extemporale im voraus
nervös wurden und dann im entscheidenden
Augenblick versagten. Der Minister gibt also
seine Rücksichtnahme aus „schwachnervige und
minderwertige"Kinder zu und Herr Dr. Haven-
stein auch.

Durch solche Erlasse, die mittels der Presse
in die breiteste Öffentlichkeit getragen werden,
wird das Publikum in der Meinung bestärkt,
die Schule habe die Pflicht, auch den Schwachen
und Schwächsten sich anzupassen, und jeder
Junge, dessen Eltern es sich leisten können,
müsse unbedingt die ganze Schule durchlaufen.

[Spaltenumbruch]

Dieser gefährliche Irrtum, der durch rücksichts¬
volle „Reformen" immer mehr gekräftigt wird,
füllt unsere höheren Schulen ost mit wert¬
losen Material. Die Folge davon ist eine
stetig wachsende Gleichgültigkeit und Gering¬
schätzung gegenüber der Schule. Die Schüler
werden schließlich in ihrem Besuch nur noch
eine Formalität sehen, um zu sozial geachteten
Stellungen zu gelangen. Die Schule hat
aber nicht die Aufgabe, ein geistiges Mcm-
darinentum zu schaffen, sondern befähigte
Naturen zu geistiger Selbstdisziplin und
methodischer Arbeit zu erziehen. Deshalb
muß nachdrücklich und kräftig darauf hin¬
gewiesen werden, daß nicht alle Jungen auf
die höhere Schule gehören; deshalb müssen
die Ansprüche erhöht, deshalb muß die Kon¬
trolle verschärft werden. Dann werden wir
auch wieder eine Jugend zur Heranbildung
bekommen, die sich für den Unterricht wirklich
begeistern kann, in dem sie die Stärkung
ihrer geistigen Kräfte fühlt, und der das
Wissen nicht gewaltsam in das widerwillige
Hirn gestopft werden muß.

Dr. Max Mülle
Annstfragen
Eidgenössische Kunstpflege.

In Neuen¬
burg (NeuchÄtel), in dem lieblichen Städtchen
an dem blaugrauen See, am buchenbewach¬
senen Jura, der jetzt in goldener Herbsteslnhe
glüht, hat der Bund im neukonstruierten, trans¬
portablen Ausstellungsgebäude die XI. Natio¬
nale Kunstausstellung eröffnet. Nun können
die Schweizerstädte der Reihe nach mit der
heimischen Kunst, ihrer Entwicklung, ihrem
Stand und ihren Gipfeln in ästhetisch, wie
nuSstellungstechnisch einwandfreien Rahmen
bekannt gemacht werden. Der Bau der Pa¬
riser Gesellschaft für „Lcmstruetion ciemon-
tsble et ki^ier.iczuö" hat 120000 Franken
gekostet; er bedeckt eine Gesamtfläche von
1K00 Quadratmetern, bietet eine Brüstung von
700 Metern Gesamtlänge. Die Auf- und
Abmontierung ist überaus einfach und die
Dimensionen und Verteilungen richten sich
mit größter Leichtigkeit nach den jeweiligen
Terrainverhältnissen. Die Wände sind aus
Zement, mit Rupfen bespannt und mit Öl¬
farbe dick bestrichen. Die Konstruktion ruht
auf zerlegbaren, eisernen Röhren, die un-

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[0288] Maßgebliches und Unmaßgebliches Alter zu Selbständigkeit und Unabhängigkeit erzogen werden. Mittlerweile haben wir ja mit den neuen Bestimmungen Fühlung ge¬ nommen und können schon einiges über ihre Wirkung aussagen. Da wird mancher die Erfahrung gemacht haben, daß, seitdem die vorbereitende Konzentration wegfällt, die Ar¬ beiten weit unüberlegter geraten. Das drückt sich schon in der Schrift aus, die deutlich liederlicher geworden ist. Die Anforderungen mußten natürlich bescheidener werden, da bei mangelnder EinPrägung des Stoffes unmög¬ lich die gleichen Leistungen von den Schülern verlangt werden können. Auch für die be¬ urteilende Kontrolle haben die Arbeiten jetzt weniger Wert, da die geistigen Kräfte des Schülers nicht mehr in derselben Weise an¬ gestrengt werden wie früher. Auch jüngere Lehrer werden meiner An¬ sicht sein. Denn es handelt sich bei dieser Frage gar nicht um den Streit der Alten und der Jungen, der „Isuäatorss temporis acti" und der „Anhänger des modernen Geistes", sondern um die Frage! dürfen wir noch länger mit sogenannten „Reformen" an der Schule hernmexperimentieren, um den Schülern mög¬ lichst bequeme Wege zu finden? Soll die Schule zu Selbstzucht und geistiger Arbeit erziehen oder soll sie die Söhne wohlhabender Eltern möglichst mühelos zum alleinselig¬ machenden Abiturium führen? Denn daß der Ertemporaleerlnß tatsächlich eine Erleichterung für die Schüler bedeutet, beweist gerade die große Schar der Gründe, mit denen der Minister das Gegenteil be¬ hauptet. Auch kann man klar aus ihnen herauslesen, daß das neue Verfahren den¬ jenigen Schülern zugute kommen soll, die in der Furcht vor dem Extemporale im voraus nervös wurden und dann im entscheidenden Augenblick versagten. Der Minister gibt also seine Rücksichtnahme aus „schwachnervige und minderwertige"Kinder zu und Herr Dr. Haven- stein auch. Durch solche Erlasse, die mittels der Presse in die breiteste Öffentlichkeit getragen werden, wird das Publikum in der Meinung bestärkt, die Schule habe die Pflicht, auch den Schwachen und Schwächsten sich anzupassen, und jeder Junge, dessen Eltern es sich leisten können, müsse unbedingt die ganze Schule durchlaufen. Dieser gefährliche Irrtum, der durch rücksichts¬ volle „Reformen" immer mehr gekräftigt wird, füllt unsere höheren Schulen ost mit wert¬ losen Material. Die Folge davon ist eine stetig wachsende Gleichgültigkeit und Gering¬ schätzung gegenüber der Schule. Die Schüler werden schließlich in ihrem Besuch nur noch eine Formalität sehen, um zu sozial geachteten Stellungen zu gelangen. Die Schule hat aber nicht die Aufgabe, ein geistiges Mcm- darinentum zu schaffen, sondern befähigte Naturen zu geistiger Selbstdisziplin und methodischer Arbeit zu erziehen. Deshalb muß nachdrücklich und kräftig darauf hin¬ gewiesen werden, daß nicht alle Jungen auf die höhere Schule gehören; deshalb müssen die Ansprüche erhöht, deshalb muß die Kon¬ trolle verschärft werden. Dann werden wir auch wieder eine Jugend zur Heranbildung bekommen, die sich für den Unterricht wirklich begeistern kann, in dem sie die Stärkung ihrer geistigen Kräfte fühlt, und der das Wissen nicht gewaltsam in das widerwillige Hirn gestopft werden muß. Dr. Max Mülle Annstfragen Eidgenössische Kunstpflege. In Neuen¬ burg (NeuchÄtel), in dem lieblichen Städtchen an dem blaugrauen See, am buchenbewach¬ senen Jura, der jetzt in goldener Herbsteslnhe glüht, hat der Bund im neukonstruierten, trans¬ portablen Ausstellungsgebäude die XI. Natio¬ nale Kunstausstellung eröffnet. Nun können die Schweizerstädte der Reihe nach mit der heimischen Kunst, ihrer Entwicklung, ihrem Stand und ihren Gipfeln in ästhetisch, wie nuSstellungstechnisch einwandfreien Rahmen bekannt gemacht werden. Der Bau der Pa¬ riser Gesellschaft für „Lcmstruetion ciemon- tsble et ki^ier.iczuö" hat 120000 Franken gekostet; er bedeckt eine Gesamtfläche von 1K00 Quadratmetern, bietet eine Brüstung von 700 Metern Gesamtlänge. Die Auf- und Abmontierung ist überaus einfach und die Dimensionen und Verteilungen richten sich mit größter Leichtigkeit nach den jeweiligen Terrainverhältnissen. Die Wände sind aus Zement, mit Rupfen bespannt und mit Öl¬ farbe dick bestrichen. Die Konstruktion ruht auf zerlegbaren, eisernen Röhren, die un- Grenzboten IV 191236

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341895_322400/288>, abgerufen am 08.05.2024.