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Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Viertes Vierteljahr.

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Luther und Jesuit
V Eugen Fische on

le ein Götze, von dem noch einige Neste stehen geblieben sind, so
wird Luthers Bild vollends vor uns abgetragen. Der es tut. ist
ein Professor in Innsbruck, Mitglied der Gesellschaft Jesu, namens
Hartmann Grisar.*)

Ich habe im Kampf um Menschenliebe eine Wahrheit entdeckt,
die ich so ausspreche: Verstehen heißt mitschuldig sein. Jeder Gedanke ist eine
Tat; jedes Nachdenken ist ein wenn auch in Herz und Hirn zurückgehaltenes
nachtun; Sündlosigkeit ist ein leeres Wort und auch Jesus konnte keinem
verzeihen, ohne zuvor mit ihm zu sündigen.

Der Jesuit, der sich jahrelang mit Luther beschäftigte, hat sich also jahre¬
lang zu seinem Mitschuldigen gemacht. Daß er damit auch allen, die Luther
lieben, zum Freunde geworden ist, war mein erstes Gefühl. Dann überlegte ich
mir, wie er diese Gedanken, durch die er Tag für Tag lutherisch wurde, in
seinen Betrachtungen vor Gott verantwortet haben mag. Nachdem ich das
Buch gelesen, weiß ich es. Er hat nur die Ansätze der Geistesbewegung
Luthers mitgemacht, genau soweit, als die sogenannten sündigen Anwandlungen
auch im Kloster alltäglich und anerkannt sind. An dieser Grenze angekommen,
floh er entsetzt die Wege zurück, während Luther weiter geschritten ist, in ein
Land hinein, wo ihm kein Mönch folgen wird, ohne sich vor dem Richterstuhl
der Kirche zum Empörer zu machen.

Deshalb fühlen wir bei Grisar den Herzschlag Luthers nicht. Wir vermissen
sogar Empfindungen, die in der kirchenfreien Luft allmählich überall gediehen
sind; den geistigen Bestand, der sich in Goethe zusammenfaßt. Es ist erstaunlich,
wie man den Ausfall dieses Besitzes spürt. Bei Grisar sällt er wirklich aus und
seine Sprache macht deshalb auf uns weltlich Gebildete ganz erschreckend den
Eindruck der hilflos exerzierenden Armut. Weltlied ist ja Goethe und nicht
kirchlich, das ist wahr. Von ihm geführt glauben wir aber doch tiefer zu sein
und finden auf diesen Wegen auch Luther.



*) Luther von Hartmann Grisar. Drei Bände. Erschienen I. und II. Band, III. Band
erscheint demnächst. Freiburg i. Br., Herdersche Verlagshandlung.


Luther und Jesuit
V Eugen Fische on

le ein Götze, von dem noch einige Neste stehen geblieben sind, so
wird Luthers Bild vollends vor uns abgetragen. Der es tut. ist
ein Professor in Innsbruck, Mitglied der Gesellschaft Jesu, namens
Hartmann Grisar.*)

Ich habe im Kampf um Menschenliebe eine Wahrheit entdeckt,
die ich so ausspreche: Verstehen heißt mitschuldig sein. Jeder Gedanke ist eine
Tat; jedes Nachdenken ist ein wenn auch in Herz und Hirn zurückgehaltenes
nachtun; Sündlosigkeit ist ein leeres Wort und auch Jesus konnte keinem
verzeihen, ohne zuvor mit ihm zu sündigen.

Der Jesuit, der sich jahrelang mit Luther beschäftigte, hat sich also jahre¬
lang zu seinem Mitschuldigen gemacht. Daß er damit auch allen, die Luther
lieben, zum Freunde geworden ist, war mein erstes Gefühl. Dann überlegte ich
mir, wie er diese Gedanken, durch die er Tag für Tag lutherisch wurde, in
seinen Betrachtungen vor Gott verantwortet haben mag. Nachdem ich das
Buch gelesen, weiß ich es. Er hat nur die Ansätze der Geistesbewegung
Luthers mitgemacht, genau soweit, als die sogenannten sündigen Anwandlungen
auch im Kloster alltäglich und anerkannt sind. An dieser Grenze angekommen,
floh er entsetzt die Wege zurück, während Luther weiter geschritten ist, in ein
Land hinein, wo ihm kein Mönch folgen wird, ohne sich vor dem Richterstuhl
der Kirche zum Empörer zu machen.

Deshalb fühlen wir bei Grisar den Herzschlag Luthers nicht. Wir vermissen
sogar Empfindungen, die in der kirchenfreien Luft allmählich überall gediehen
sind; den geistigen Bestand, der sich in Goethe zusammenfaßt. Es ist erstaunlich,
wie man den Ausfall dieses Besitzes spürt. Bei Grisar sällt er wirklich aus und
seine Sprache macht deshalb auf uns weltlich Gebildete ganz erschreckend den
Eindruck der hilflos exerzierenden Armut. Weltlied ist ja Goethe und nicht
kirchlich, das ist wahr. Von ihm geführt glauben wir aber doch tiefer zu sein
und finden auf diesen Wegen auch Luther.



*) Luther von Hartmann Grisar. Drei Bände. Erschienen I. und II. Band, III. Band
erscheint demnächst. Freiburg i. Br., Herdersche Verlagshandlung.
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[0066] [Abbildung] Luther und Jesuit V Eugen Fische on le ein Götze, von dem noch einige Neste stehen geblieben sind, so wird Luthers Bild vollends vor uns abgetragen. Der es tut. ist ein Professor in Innsbruck, Mitglied der Gesellschaft Jesu, namens Hartmann Grisar.*) Ich habe im Kampf um Menschenliebe eine Wahrheit entdeckt, die ich so ausspreche: Verstehen heißt mitschuldig sein. Jeder Gedanke ist eine Tat; jedes Nachdenken ist ein wenn auch in Herz und Hirn zurückgehaltenes nachtun; Sündlosigkeit ist ein leeres Wort und auch Jesus konnte keinem verzeihen, ohne zuvor mit ihm zu sündigen. Der Jesuit, der sich jahrelang mit Luther beschäftigte, hat sich also jahre¬ lang zu seinem Mitschuldigen gemacht. Daß er damit auch allen, die Luther lieben, zum Freunde geworden ist, war mein erstes Gefühl. Dann überlegte ich mir, wie er diese Gedanken, durch die er Tag für Tag lutherisch wurde, in seinen Betrachtungen vor Gott verantwortet haben mag. Nachdem ich das Buch gelesen, weiß ich es. Er hat nur die Ansätze der Geistesbewegung Luthers mitgemacht, genau soweit, als die sogenannten sündigen Anwandlungen auch im Kloster alltäglich und anerkannt sind. An dieser Grenze angekommen, floh er entsetzt die Wege zurück, während Luther weiter geschritten ist, in ein Land hinein, wo ihm kein Mönch folgen wird, ohne sich vor dem Richterstuhl der Kirche zum Empörer zu machen. Deshalb fühlen wir bei Grisar den Herzschlag Luthers nicht. Wir vermissen sogar Empfindungen, die in der kirchenfreien Luft allmählich überall gediehen sind; den geistigen Bestand, der sich in Goethe zusammenfaßt. Es ist erstaunlich, wie man den Ausfall dieses Besitzes spürt. Bei Grisar sällt er wirklich aus und seine Sprache macht deshalb auf uns weltlich Gebildete ganz erschreckend den Eindruck der hilflos exerzierenden Armut. Weltlied ist ja Goethe und nicht kirchlich, das ist wahr. Von ihm geführt glauben wir aber doch tiefer zu sein und finden auf diesen Wegen auch Luther. *) Luther von Hartmann Grisar. Drei Bände. Erschienen I. und II. Band, III. Band erscheint demnächst. Freiburg i. Br., Herdersche Verlagshandlung.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341895_322400/66>, abgerufen am 08.05.2024.