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Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Viertes Vierteljahr.

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Elisabeth

ein neues hinzufüge!), jene Erkenntnis, die meine Liebe in tödlichen Haß ge¬
wandelt, die mein ganzes Leben vergiftet, die mich an den Rand des Wahn¬
sinns gebracht hat, die unerhörte, schier unglaubliche Erkenntnis, die ich kaum
auszusprechen wage---"

Hier brach das Schriftstück ab . . .


II.

Die kranke Prinzessin hatte eine schlechte Nacht gehabt. Durch alle Räume
des Schlosses flog die Kunde. Die Kammerfrau, die an ihrem Bette gewacht,
erzählte es früh am Morgen, als sich das erste Leben im Hause regte, dem
alten Leibarzt, der es im leisen Tone ernster Bekümmernis der Erzieherin,
Mistreß Ashley, mitteilte; diese brachte die Botschaft in den großen Gartensaal,
wo sich das männliche Gesinde aufzuhalten pflegte. "Sie hat sich im Bette
hin- und hergeworfen, laut gestöhnt und weinend nach William Neville ver¬
langt. -- Ellison, geht doch schleunig ins Dorf und bittet die Nevilles. den
Jungen zu wecken und sofort herüberzuschicken. Sagt, daß die Prinzessin ihren
Gespielen erwarte. -- Und Ihr, Macpherson, reitet zum Physikus in die Stadt.
Der Leibarzt will nicht länger allein die Verantwortung tragen."

Von den steinernen Treppenstufen aus, die zur oberen Tür des Garten¬
saals hinausführten, hatte sie es in den durch vier qualmende Pechpsannen er¬
hellten Raum hinuntergerufen. Denen unten erschienen im ungewissen, flackernden
Licht ihre Züge hager, müde und abgehärmt, anders, als sie es an der noch
nicht Dreißigjährigen gewohnt waren; die Zunächstsitzenden glaubten Tränen in
ihren Augen zu erkennen.

Zwei der Leute erhoben sich umständlich vom schweren Eichentisch, an dem
sie ihren Morgenimbiß eingenommen hatten, und schritten gemächlich hinter¬
einander zu dem nach dem Hofe führenden Ausgang. Ein dritter näherte sich
der Erzieherin, die noch immer auf den Stufen vor der oberen Saaltür stand,
mit kleinen Zeichen der Ungeduld den beiden Boten nachsehend. "Es ist ein
Reiter mit Nachricht vom König draußen, Mistreß Ashley," sagte er in unbe¬
holfen lautem Ton, die Hände in die Taschen seines dicken Lederwamses ver¬
senkend.

"Vom König, Hobbs? Und das erfahre ich jetzt erst! Seit wann ist er
da? Warum hat man mich nicht geweckt, als er ankam? Wo finde
ich ihn?"

"Meiner Treu," gab Hobbs zurück, "schon vor dem ersten Hahnenschrei
hielt er draußen im Regen. Er hat nicht schlecht gelärmt, der arme Teufel,
bis ich ihn hörte und ihn, pudelnaß wie er war, hereinließ. Jetzt wärmt er
sich am Kamin, draußen in der Halle."

Die Erzieherin war bereits, den letzten Teil der Antwort des Burschen
vorausahnend, mit wehenden Hauben- und Schürzenbändern die Stufen hin¬
unter und quer durch den Saal zu der großen Flügeltür geeilt und, nachdem


Elisabeth

ein neues hinzufüge!), jene Erkenntnis, die meine Liebe in tödlichen Haß ge¬
wandelt, die mein ganzes Leben vergiftet, die mich an den Rand des Wahn¬
sinns gebracht hat, die unerhörte, schier unglaubliche Erkenntnis, die ich kaum
auszusprechen wage---"

Hier brach das Schriftstück ab . . .


II.

Die kranke Prinzessin hatte eine schlechte Nacht gehabt. Durch alle Räume
des Schlosses flog die Kunde. Die Kammerfrau, die an ihrem Bette gewacht,
erzählte es früh am Morgen, als sich das erste Leben im Hause regte, dem
alten Leibarzt, der es im leisen Tone ernster Bekümmernis der Erzieherin,
Mistreß Ashley, mitteilte; diese brachte die Botschaft in den großen Gartensaal,
wo sich das männliche Gesinde aufzuhalten pflegte. „Sie hat sich im Bette
hin- und hergeworfen, laut gestöhnt und weinend nach William Neville ver¬
langt. — Ellison, geht doch schleunig ins Dorf und bittet die Nevilles. den
Jungen zu wecken und sofort herüberzuschicken. Sagt, daß die Prinzessin ihren
Gespielen erwarte. — Und Ihr, Macpherson, reitet zum Physikus in die Stadt.
Der Leibarzt will nicht länger allein die Verantwortung tragen."

Von den steinernen Treppenstufen aus, die zur oberen Tür des Garten¬
saals hinausführten, hatte sie es in den durch vier qualmende Pechpsannen er¬
hellten Raum hinuntergerufen. Denen unten erschienen im ungewissen, flackernden
Licht ihre Züge hager, müde und abgehärmt, anders, als sie es an der noch
nicht Dreißigjährigen gewohnt waren; die Zunächstsitzenden glaubten Tränen in
ihren Augen zu erkennen.

Zwei der Leute erhoben sich umständlich vom schweren Eichentisch, an dem
sie ihren Morgenimbiß eingenommen hatten, und schritten gemächlich hinter¬
einander zu dem nach dem Hofe führenden Ausgang. Ein dritter näherte sich
der Erzieherin, die noch immer auf den Stufen vor der oberen Saaltür stand,
mit kleinen Zeichen der Ungeduld den beiden Boten nachsehend. „Es ist ein
Reiter mit Nachricht vom König draußen, Mistreß Ashley," sagte er in unbe¬
holfen lautem Ton, die Hände in die Taschen seines dicken Lederwamses ver¬
senkend.

„Vom König, Hobbs? Und das erfahre ich jetzt erst! Seit wann ist er
da? Warum hat man mich nicht geweckt, als er ankam? Wo finde
ich ihn?"

„Meiner Treu," gab Hobbs zurück, „schon vor dem ersten Hahnenschrei
hielt er draußen im Regen. Er hat nicht schlecht gelärmt, der arme Teufel,
bis ich ihn hörte und ihn, pudelnaß wie er war, hereinließ. Jetzt wärmt er
sich am Kamin, draußen in der Halle."

Die Erzieherin war bereits, den letzten Teil der Antwort des Burschen
vorausahnend, mit wehenden Hauben- und Schürzenbändern die Stufen hin¬
unter und quer durch den Saal zu der großen Flügeltür geeilt und, nachdem


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[0182] Elisabeth ein neues hinzufüge!), jene Erkenntnis, die meine Liebe in tödlichen Haß ge¬ wandelt, die mein ganzes Leben vergiftet, die mich an den Rand des Wahn¬ sinns gebracht hat, die unerhörte, schier unglaubliche Erkenntnis, die ich kaum auszusprechen wage---" Hier brach das Schriftstück ab . . . II. Die kranke Prinzessin hatte eine schlechte Nacht gehabt. Durch alle Räume des Schlosses flog die Kunde. Die Kammerfrau, die an ihrem Bette gewacht, erzählte es früh am Morgen, als sich das erste Leben im Hause regte, dem alten Leibarzt, der es im leisen Tone ernster Bekümmernis der Erzieherin, Mistreß Ashley, mitteilte; diese brachte die Botschaft in den großen Gartensaal, wo sich das männliche Gesinde aufzuhalten pflegte. „Sie hat sich im Bette hin- und hergeworfen, laut gestöhnt und weinend nach William Neville ver¬ langt. — Ellison, geht doch schleunig ins Dorf und bittet die Nevilles. den Jungen zu wecken und sofort herüberzuschicken. Sagt, daß die Prinzessin ihren Gespielen erwarte. — Und Ihr, Macpherson, reitet zum Physikus in die Stadt. Der Leibarzt will nicht länger allein die Verantwortung tragen." Von den steinernen Treppenstufen aus, die zur oberen Tür des Garten¬ saals hinausführten, hatte sie es in den durch vier qualmende Pechpsannen er¬ hellten Raum hinuntergerufen. Denen unten erschienen im ungewissen, flackernden Licht ihre Züge hager, müde und abgehärmt, anders, als sie es an der noch nicht Dreißigjährigen gewohnt waren; die Zunächstsitzenden glaubten Tränen in ihren Augen zu erkennen. Zwei der Leute erhoben sich umständlich vom schweren Eichentisch, an dem sie ihren Morgenimbiß eingenommen hatten, und schritten gemächlich hinter¬ einander zu dem nach dem Hofe führenden Ausgang. Ein dritter näherte sich der Erzieherin, die noch immer auf den Stufen vor der oberen Saaltür stand, mit kleinen Zeichen der Ungeduld den beiden Boten nachsehend. „Es ist ein Reiter mit Nachricht vom König draußen, Mistreß Ashley," sagte er in unbe¬ holfen lautem Ton, die Hände in die Taschen seines dicken Lederwamses ver¬ senkend. „Vom König, Hobbs? Und das erfahre ich jetzt erst! Seit wann ist er da? Warum hat man mich nicht geweckt, als er ankam? Wo finde ich ihn?" „Meiner Treu," gab Hobbs zurück, „schon vor dem ersten Hahnenschrei hielt er draußen im Regen. Er hat nicht schlecht gelärmt, der arme Teufel, bis ich ihn hörte und ihn, pudelnaß wie er war, hereinließ. Jetzt wärmt er sich am Kamin, draußen in der Halle." Die Erzieherin war bereits, den letzten Teil der Antwort des Burschen vorausahnend, mit wehenden Hauben- und Schürzenbändern die Stufen hin¬ unter und quer durch den Saal zu der großen Flügeltür geeilt und, nachdem

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_326811/182>, abgerufen am 28.04.2024.