Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Viertes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Elisabeth

sie diese mit einiger Mühe so weit geöffnet, wie für ihre schmächtige Figur nötig
erschien, durch den schmalen Spalt verschwunden. --

Die große Eingangshalle lag im Dunkeln, nur das Kaminfeuer zeichnete
einen unruhigen Lichtkreis auf die aus rohen Brettern gefügten Dielen. Hier
fand die Erzieherin den Boten des Königs schlafend. Er lehnte, auf seinem
Mantel sitzend, mit dem Rücken an einer der mächtigen Holzsäulen, die Füße
der wärmenden Flamme zugekehrt. Sie beugte sich über ihn, rüttelte ihn an
der Schulter: "Heda. Mann. Eure Botschaft! Ihr kommt vom König?"

Der gebietende Ton der hellen Frauenstimme weckte den Schläfer augen¬
blicklich. Er reckte sich in die Höhe, führte den Saum ihres Kleides an die
Lippen. "Der König entbietet der Prinzessin seinen Gruß und läßt ihr sagen,
daß er nach zwei Nächten Bisley Manor besuchen wird, um seine Tochter zu
sehen."

Die Erzieherin erschrak. Daß der König gerade jetzt während der
Krankheit der Prinzessin kommen mußte! Aber vor dem Boten Heinrichs
wußte sie ihre Besorgnis zu verbergen. "Sagt Eurem Herrn, Mistreß Ashley
werde der Prinzessin des Königs Botschaft überbringen. -- Ihr werdet müde
sein, ruht aus und laßt Euch Essen geben -- aber macht Euch noch vor Mittag
auf den Weg!"

Blinzelnd sah der Mann der Forteilenden nach, bis die Tür sich hinter
ihr geschlossen hatte. Während er sich schlaftrunken in seinen Mantel hüllte
und Anstalten traf, seinen Platz zwischen Säule und Kaminfeuer wieder ein¬
zunehmen, wiederholte er halblaut vor sich hin: "Ausruhen -- essen --
Mistreß Ashley wird der Prinzessin des Königs Botschaft überbringen."

Das Haupt sank ihm zur Seite. . .




Der Tag hatte seine Herrschaft angetreten und mit der Dunkelheit deren
unholde Genossen, Regen und Nebel, nach kurzem Kampfe in die Flucht geschlagen.
Freundlich wie seit langem nicht mehr leuchtete die Sonne auf Dorf und Schloß
Bisley herunter. Ihre ersten Strahlen fanden den Weg in das Turmzimmer
der Erzieherin, die vor einem kleinen Kruzifix knieend ihre Morgenandacht ver¬
richtete. Unruhvoll sah sie zu dem kunstlosen Schnitzwerk aus Elfenbein empor. --

Erst als sie sich nach vielem Hin- und Hereilen in diesen stillen Seiten¬
flügel des Schlosses zurückgezogen hatte, war ihr die Gefahr, der sie gegen¬
überstand, in ihrer ganzen Größe zum Bewußtsein gekommen. In zwei Tagen
wollte der König sein Kind sehen. Ihr, der Erzieherin, hatte Heinrich Tudor
die Sorge für das Wohlergehen seiner Tochter anvertraut; sie allein würde er
für die Krankheit der Prinzessin verantwortlich machen. Sie wußte, daß
Heinrichs Jähzorn jeder Gewalttat sähig war -- hatte man sich doch erst vor
kurzem zu Bisley erzählt, daß er den Haushofmeister der Königin in einer
plötzlichen Aufwallung seines unberechenbaren Temperaments mit dem Degen


Elisabeth

sie diese mit einiger Mühe so weit geöffnet, wie für ihre schmächtige Figur nötig
erschien, durch den schmalen Spalt verschwunden. —

Die große Eingangshalle lag im Dunkeln, nur das Kaminfeuer zeichnete
einen unruhigen Lichtkreis auf die aus rohen Brettern gefügten Dielen. Hier
fand die Erzieherin den Boten des Königs schlafend. Er lehnte, auf seinem
Mantel sitzend, mit dem Rücken an einer der mächtigen Holzsäulen, die Füße
der wärmenden Flamme zugekehrt. Sie beugte sich über ihn, rüttelte ihn an
der Schulter: „Heda. Mann. Eure Botschaft! Ihr kommt vom König?"

Der gebietende Ton der hellen Frauenstimme weckte den Schläfer augen¬
blicklich. Er reckte sich in die Höhe, führte den Saum ihres Kleides an die
Lippen. „Der König entbietet der Prinzessin seinen Gruß und läßt ihr sagen,
daß er nach zwei Nächten Bisley Manor besuchen wird, um seine Tochter zu
sehen."

Die Erzieherin erschrak. Daß der König gerade jetzt während der
Krankheit der Prinzessin kommen mußte! Aber vor dem Boten Heinrichs
wußte sie ihre Besorgnis zu verbergen. „Sagt Eurem Herrn, Mistreß Ashley
werde der Prinzessin des Königs Botschaft überbringen. — Ihr werdet müde
sein, ruht aus und laßt Euch Essen geben — aber macht Euch noch vor Mittag
auf den Weg!"

Blinzelnd sah der Mann der Forteilenden nach, bis die Tür sich hinter
ihr geschlossen hatte. Während er sich schlaftrunken in seinen Mantel hüllte
und Anstalten traf, seinen Platz zwischen Säule und Kaminfeuer wieder ein¬
zunehmen, wiederholte er halblaut vor sich hin: „Ausruhen — essen —
Mistreß Ashley wird der Prinzessin des Königs Botschaft überbringen."

Das Haupt sank ihm zur Seite. . .




Der Tag hatte seine Herrschaft angetreten und mit der Dunkelheit deren
unholde Genossen, Regen und Nebel, nach kurzem Kampfe in die Flucht geschlagen.
Freundlich wie seit langem nicht mehr leuchtete die Sonne auf Dorf und Schloß
Bisley herunter. Ihre ersten Strahlen fanden den Weg in das Turmzimmer
der Erzieherin, die vor einem kleinen Kruzifix knieend ihre Morgenandacht ver¬
richtete. Unruhvoll sah sie zu dem kunstlosen Schnitzwerk aus Elfenbein empor. —

Erst als sie sich nach vielem Hin- und Hereilen in diesen stillen Seiten¬
flügel des Schlosses zurückgezogen hatte, war ihr die Gefahr, der sie gegen¬
überstand, in ihrer ganzen Größe zum Bewußtsein gekommen. In zwei Tagen
wollte der König sein Kind sehen. Ihr, der Erzieherin, hatte Heinrich Tudor
die Sorge für das Wohlergehen seiner Tochter anvertraut; sie allein würde er
für die Krankheit der Prinzessin verantwortlich machen. Sie wußte, daß
Heinrichs Jähzorn jeder Gewalttat sähig war — hatte man sich doch erst vor
kurzem zu Bisley erzählt, daß er den Haushofmeister der Königin in einer
plötzlichen Aufwallung seines unberechenbaren Temperaments mit dem Degen


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <pb facs="#f0183" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/326995"/>
            <fw type="header" place="top"> Elisabeth</fw><lb/>
            <p xml:id="ID_674" prev="#ID_673"> sie diese mit einiger Mühe so weit geöffnet, wie für ihre schmächtige Figur nötig<lb/>
erschien, durch den schmalen Spalt verschwunden. &#x2014;</p><lb/>
            <p xml:id="ID_675"> Die große Eingangshalle lag im Dunkeln, nur das Kaminfeuer zeichnete<lb/>
einen unruhigen Lichtkreis auf die aus rohen Brettern gefügten Dielen. Hier<lb/>
fand die Erzieherin den Boten des Königs schlafend. Er lehnte, auf seinem<lb/>
Mantel sitzend, mit dem Rücken an einer der mächtigen Holzsäulen, die Füße<lb/>
der wärmenden Flamme zugekehrt. Sie beugte sich über ihn, rüttelte ihn an<lb/>
der Schulter: &#x201E;Heda. Mann. Eure Botschaft! Ihr kommt vom König?"</p><lb/>
            <p xml:id="ID_676"> Der gebietende Ton der hellen Frauenstimme weckte den Schläfer augen¬<lb/>
blicklich. Er reckte sich in die Höhe, führte den Saum ihres Kleides an die<lb/>
Lippen. &#x201E;Der König entbietet der Prinzessin seinen Gruß und läßt ihr sagen,<lb/>
daß er nach zwei Nächten Bisley Manor besuchen wird, um seine Tochter zu<lb/>
sehen."</p><lb/>
            <p xml:id="ID_677"> Die Erzieherin erschrak. Daß der König gerade jetzt während der<lb/>
Krankheit der Prinzessin kommen mußte! Aber vor dem Boten Heinrichs<lb/>
wußte sie ihre Besorgnis zu verbergen. &#x201E;Sagt Eurem Herrn, Mistreß Ashley<lb/>
werde der Prinzessin des Königs Botschaft überbringen. &#x2014; Ihr werdet müde<lb/>
sein, ruht aus und laßt Euch Essen geben &#x2014; aber macht Euch noch vor Mittag<lb/>
auf den Weg!"</p><lb/>
            <p xml:id="ID_678"> Blinzelnd sah der Mann der Forteilenden nach, bis die Tür sich hinter<lb/>
ihr geschlossen hatte. Während er sich schlaftrunken in seinen Mantel hüllte<lb/>
und Anstalten traf, seinen Platz zwischen Säule und Kaminfeuer wieder ein¬<lb/>
zunehmen, wiederholte er halblaut vor sich hin: &#x201E;Ausruhen &#x2014; essen &#x2014;<lb/>
Mistreß Ashley wird der Prinzessin des Königs Botschaft überbringen."</p><lb/>
            <p xml:id="ID_679"> Das Haupt sank ihm zur Seite. . .</p><lb/>
            <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
            <p xml:id="ID_680"> Der Tag hatte seine Herrschaft angetreten und mit der Dunkelheit deren<lb/>
unholde Genossen, Regen und Nebel, nach kurzem Kampfe in die Flucht geschlagen.<lb/>
Freundlich wie seit langem nicht mehr leuchtete die Sonne auf Dorf und Schloß<lb/>
Bisley herunter. Ihre ersten Strahlen fanden den Weg in das Turmzimmer<lb/>
der Erzieherin, die vor einem kleinen Kruzifix knieend ihre Morgenandacht ver¬<lb/>
richtete. Unruhvoll sah sie zu dem kunstlosen Schnitzwerk aus Elfenbein empor. &#x2014;</p><lb/>
            <p xml:id="ID_681" next="#ID_682"> Erst als sie sich nach vielem Hin- und Hereilen in diesen stillen Seiten¬<lb/>
flügel des Schlosses zurückgezogen hatte, war ihr die Gefahr, der sie gegen¬<lb/>
überstand, in ihrer ganzen Größe zum Bewußtsein gekommen. In zwei Tagen<lb/>
wollte der König sein Kind sehen. Ihr, der Erzieherin, hatte Heinrich Tudor<lb/>
die Sorge für das Wohlergehen seiner Tochter anvertraut; sie allein würde er<lb/>
für die Krankheit der Prinzessin verantwortlich machen. Sie wußte, daß<lb/>
Heinrichs Jähzorn jeder Gewalttat sähig war &#x2014; hatte man sich doch erst vor<lb/>
kurzem zu Bisley erzählt, daß er den Haushofmeister der Königin in einer<lb/>
plötzlichen Aufwallung seines unberechenbaren Temperaments mit dem Degen</p><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0183] Elisabeth sie diese mit einiger Mühe so weit geöffnet, wie für ihre schmächtige Figur nötig erschien, durch den schmalen Spalt verschwunden. — Die große Eingangshalle lag im Dunkeln, nur das Kaminfeuer zeichnete einen unruhigen Lichtkreis auf die aus rohen Brettern gefügten Dielen. Hier fand die Erzieherin den Boten des Königs schlafend. Er lehnte, auf seinem Mantel sitzend, mit dem Rücken an einer der mächtigen Holzsäulen, die Füße der wärmenden Flamme zugekehrt. Sie beugte sich über ihn, rüttelte ihn an der Schulter: „Heda. Mann. Eure Botschaft! Ihr kommt vom König?" Der gebietende Ton der hellen Frauenstimme weckte den Schläfer augen¬ blicklich. Er reckte sich in die Höhe, führte den Saum ihres Kleides an die Lippen. „Der König entbietet der Prinzessin seinen Gruß und läßt ihr sagen, daß er nach zwei Nächten Bisley Manor besuchen wird, um seine Tochter zu sehen." Die Erzieherin erschrak. Daß der König gerade jetzt während der Krankheit der Prinzessin kommen mußte! Aber vor dem Boten Heinrichs wußte sie ihre Besorgnis zu verbergen. „Sagt Eurem Herrn, Mistreß Ashley werde der Prinzessin des Königs Botschaft überbringen. — Ihr werdet müde sein, ruht aus und laßt Euch Essen geben — aber macht Euch noch vor Mittag auf den Weg!" Blinzelnd sah der Mann der Forteilenden nach, bis die Tür sich hinter ihr geschlossen hatte. Während er sich schlaftrunken in seinen Mantel hüllte und Anstalten traf, seinen Platz zwischen Säule und Kaminfeuer wieder ein¬ zunehmen, wiederholte er halblaut vor sich hin: „Ausruhen — essen — Mistreß Ashley wird der Prinzessin des Königs Botschaft überbringen." Das Haupt sank ihm zur Seite. . . Der Tag hatte seine Herrschaft angetreten und mit der Dunkelheit deren unholde Genossen, Regen und Nebel, nach kurzem Kampfe in die Flucht geschlagen. Freundlich wie seit langem nicht mehr leuchtete die Sonne auf Dorf und Schloß Bisley herunter. Ihre ersten Strahlen fanden den Weg in das Turmzimmer der Erzieherin, die vor einem kleinen Kruzifix knieend ihre Morgenandacht ver¬ richtete. Unruhvoll sah sie zu dem kunstlosen Schnitzwerk aus Elfenbein empor. — Erst als sie sich nach vielem Hin- und Hereilen in diesen stillen Seiten¬ flügel des Schlosses zurückgezogen hatte, war ihr die Gefahr, der sie gegen¬ überstand, in ihrer ganzen Größe zum Bewußtsein gekommen. In zwei Tagen wollte der König sein Kind sehen. Ihr, der Erzieherin, hatte Heinrich Tudor die Sorge für das Wohlergehen seiner Tochter anvertraut; sie allein würde er für die Krankheit der Prinzessin verantwortlich machen. Sie wußte, daß Heinrichs Jähzorn jeder Gewalttat sähig war — hatte man sich doch erst vor kurzem zu Bisley erzählt, daß er den Haushofmeister der Königin in einer plötzlichen Aufwallung seines unberechenbaren Temperaments mit dem Degen

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_326811
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_326811/183
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_326811/183>, abgerufen am 13.05.2024.