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Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Viertes Vierteljahr.

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(Line dramatische Hoffnung
(Franz Dülberg) von Dr. Arthur rvestpha

s ist eine bis zum Überdruß wiederholte Weisheit, daß unsere Zeit die
Fühlung mit der großen Stiltragödie verloren hat. Von geschäfts¬
tüchtigen Kunstmaklern verkündet und weiter verhandelt, hat sie
jahrelang dazu dienen müssen, der betrübenden Unfruchtbarkeit
unserer Dramatik ein freundliches Mäntelchen umzuhängen. Heute
lockt man damit keinen Hund mehr hinterm Ofen hervor. Beschönigungsversuche
sind noch immer wohlfeil wie Brombeeren. Aber der ästhetische Katzenjammer,
der aus dem zeitgenössischen deutschen Theater ruht, wird dadurch nicht besser,
daß man ihn erklärt, entschuldigt oder gar totschweigt. Wer den Dingen offen
ins Auge sieht, wird die Gründe dieses Katzenjammers weniger in der Wesensart
einer gewiß unruhigen, gewiß ratlosem und gewiß zur Analyse drängenden
Epoche, als vielmehr in der Ohnmacht der gerade herrschenden Dichtergeneration
suchen. Daß die Sehnsucht auch unseres Geschlechts nach der großen Stil"
tragödie drängt, beweist ein Blick auf die zahllosen Versuche, die in den letzten
zehn Jahren in allen Lagern unternommen worden sind, beweist, wenn man so
will, auch schon die Schnelligkeit, mit der seinerzeit das enge, nüchterne, pedantische
Naturalistendogma abgehalftert wurde. Überall regt sich das Verlangen nach
großen Problemen, nach künstlerischer Distanzierung, nach einer dramatischen
Kunst, die über das Gegenständliche, über das Abstrakte hinaus eine erhöhte
Bedeutung gewinnt. Aber dies Verlangen, diese unverkennbare Sehnsucht hat,
wo sie glaubensstarke Apostel und Propagandisten der Tat brauchte, fast durchweg
ein müdes, zaghaftes und ratloses Geschlecht gefunden. Die Zeit war und ist
dem erträumten Ideal zehnfach, hundertfach reif. Nur die Männer, die berufen
wären, den Traum in die Wirklichkeit zu übersetzen -- nur sie find bis zum
heutigen Tage so gut wie völlig ausgeblieben.

Der deutsche Dramatiker Franz Dülberg. dem die vorliegende Untersuchung
gilt, gebirt zu der kleinen, nur allzu kleine" Schar, an die sich unsere arg




(Line dramatische Hoffnung
(Franz Dülberg) von Dr. Arthur rvestpha

s ist eine bis zum Überdruß wiederholte Weisheit, daß unsere Zeit die
Fühlung mit der großen Stiltragödie verloren hat. Von geschäfts¬
tüchtigen Kunstmaklern verkündet und weiter verhandelt, hat sie
jahrelang dazu dienen müssen, der betrübenden Unfruchtbarkeit
unserer Dramatik ein freundliches Mäntelchen umzuhängen. Heute
lockt man damit keinen Hund mehr hinterm Ofen hervor. Beschönigungsversuche
sind noch immer wohlfeil wie Brombeeren. Aber der ästhetische Katzenjammer,
der aus dem zeitgenössischen deutschen Theater ruht, wird dadurch nicht besser,
daß man ihn erklärt, entschuldigt oder gar totschweigt. Wer den Dingen offen
ins Auge sieht, wird die Gründe dieses Katzenjammers weniger in der Wesensart
einer gewiß unruhigen, gewiß ratlosem und gewiß zur Analyse drängenden
Epoche, als vielmehr in der Ohnmacht der gerade herrschenden Dichtergeneration
suchen. Daß die Sehnsucht auch unseres Geschlechts nach der großen Stil»
tragödie drängt, beweist ein Blick auf die zahllosen Versuche, die in den letzten
zehn Jahren in allen Lagern unternommen worden sind, beweist, wenn man so
will, auch schon die Schnelligkeit, mit der seinerzeit das enge, nüchterne, pedantische
Naturalistendogma abgehalftert wurde. Überall regt sich das Verlangen nach
großen Problemen, nach künstlerischer Distanzierung, nach einer dramatischen
Kunst, die über das Gegenständliche, über das Abstrakte hinaus eine erhöhte
Bedeutung gewinnt. Aber dies Verlangen, diese unverkennbare Sehnsucht hat,
wo sie glaubensstarke Apostel und Propagandisten der Tat brauchte, fast durchweg
ein müdes, zaghaftes und ratloses Geschlecht gefunden. Die Zeit war und ist
dem erträumten Ideal zehnfach, hundertfach reif. Nur die Männer, die berufen
wären, den Traum in die Wirklichkeit zu übersetzen — nur sie find bis zum
heutigen Tage so gut wie völlig ausgeblieben.

Der deutsche Dramatiker Franz Dülberg. dem die vorliegende Untersuchung
gilt, gebirt zu der kleinen, nur allzu kleine» Schar, an die sich unsere arg


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[0329] [Abbildung] (Line dramatische Hoffnung (Franz Dülberg) von Dr. Arthur rvestpha s ist eine bis zum Überdruß wiederholte Weisheit, daß unsere Zeit die Fühlung mit der großen Stiltragödie verloren hat. Von geschäfts¬ tüchtigen Kunstmaklern verkündet und weiter verhandelt, hat sie jahrelang dazu dienen müssen, der betrübenden Unfruchtbarkeit unserer Dramatik ein freundliches Mäntelchen umzuhängen. Heute lockt man damit keinen Hund mehr hinterm Ofen hervor. Beschönigungsversuche sind noch immer wohlfeil wie Brombeeren. Aber der ästhetische Katzenjammer, der aus dem zeitgenössischen deutschen Theater ruht, wird dadurch nicht besser, daß man ihn erklärt, entschuldigt oder gar totschweigt. Wer den Dingen offen ins Auge sieht, wird die Gründe dieses Katzenjammers weniger in der Wesensart einer gewiß unruhigen, gewiß ratlosem und gewiß zur Analyse drängenden Epoche, als vielmehr in der Ohnmacht der gerade herrschenden Dichtergeneration suchen. Daß die Sehnsucht auch unseres Geschlechts nach der großen Stil» tragödie drängt, beweist ein Blick auf die zahllosen Versuche, die in den letzten zehn Jahren in allen Lagern unternommen worden sind, beweist, wenn man so will, auch schon die Schnelligkeit, mit der seinerzeit das enge, nüchterne, pedantische Naturalistendogma abgehalftert wurde. Überall regt sich das Verlangen nach großen Problemen, nach künstlerischer Distanzierung, nach einer dramatischen Kunst, die über das Gegenständliche, über das Abstrakte hinaus eine erhöhte Bedeutung gewinnt. Aber dies Verlangen, diese unverkennbare Sehnsucht hat, wo sie glaubensstarke Apostel und Propagandisten der Tat brauchte, fast durchweg ein müdes, zaghaftes und ratloses Geschlecht gefunden. Die Zeit war und ist dem erträumten Ideal zehnfach, hundertfach reif. Nur die Männer, die berufen wären, den Traum in die Wirklichkeit zu übersetzen — nur sie find bis zum heutigen Tage so gut wie völlig ausgeblieben. Der deutsche Dramatiker Franz Dülberg. dem die vorliegende Untersuchung gilt, gebirt zu der kleinen, nur allzu kleine» Schar, an die sich unsere arg

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_326811/329>, abgerufen am 27.04.2024.