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Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Viertes Vierteljahr.

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Lin englisches Ncitionaltheater

befinden sich die äußeren Verhältnisse infolge der technischen Erfindungen in
ständiger Umgestaltung; Hand in Hand mit ihr, durch sie veranlaßt und be¬
einflußt, geht die Umwertung fast aller Werte. Die soziale Gesetzgebung, der
Satz von: Schutz des wirtschaftlich Schwachen, haben Gedankengänge hervor¬
gerufen, haben Einflüsse auf unser Empfinden geltend gemacht, welche unseren
Vätern noch unmöglich erschienen. Wir stehen schwerlich am Abschlüsse dieser
Epoche; gerade unser Rechtsempfinden wird in absehbarer Zeit noch weitere
Wandlungen durchmachen. Die Aufgabe unserer gesetzgebenden Gewalten wird
es sein, rechtzeitig diese Wandlungen zu erfassen und die bestehenden Gesetze
entsprechend abzuändern.




Gin englisches Nationaltheater im neunzehnten
Jahrhundert
Samuel phelxs und sein Scidlers Wells-Theater in London
von Dr. Ernst Leopold Stahl

eit ungefähr einem Jahrzehnt taucht in England in Zeitungs¬
artikeln, Versammlungen und selbst in fachmännischer Werken
immer erneut die Forderung nach einem, wie Rudolf vou Gottschall
sich einmal bei uns in Deutschland ausdrückte, "von dem souve¬
ränen Volk geleiteten Nationaltheater" auf. Man erhofft von
ihm, das eine Bühne mit wechselndem Spielplan und einem geschäftlich unab¬
hängigen Direktor werden soll, die lange ersehnte endgültige Erstarkung der
in vieler Hinsicht heute schou beachtenswerten englischen Bühnenkunst und ihrer
Literatur.

Der Gedanke eines nationalen Theaters, der in Deutschland seit den Tagen
der Klassiker häufig einen mehr oder weniger unvollkommenen praktischen Aus¬
druck in unseren Hofbühnen erhielt, ist für England gleichfalls nicht neu. Er
gewann dort auch in einem heute völlig vergessenen, künstlerisch höchst bedeutsamen
Unternehmen seit der Mitte der vierziger Jahre des neunzehnten Jahrhunderts
feste Form, nämlich im Londoner Sudlers Wells - Theater unter der Direktion
von Samuel Phelps. Sadlers Wells war allerdings ein Privatunternehmen,
diente aber -- und das bleibt schließlich immer die wichtigste und höchste
Forderung für ein Nationaltheater -- in weitesten Umfange und nahezu
ausschließlich dem literarischen Drama seines eigenen Volkes.


Lin englisches Ncitionaltheater

befinden sich die äußeren Verhältnisse infolge der technischen Erfindungen in
ständiger Umgestaltung; Hand in Hand mit ihr, durch sie veranlaßt und be¬
einflußt, geht die Umwertung fast aller Werte. Die soziale Gesetzgebung, der
Satz von: Schutz des wirtschaftlich Schwachen, haben Gedankengänge hervor¬
gerufen, haben Einflüsse auf unser Empfinden geltend gemacht, welche unseren
Vätern noch unmöglich erschienen. Wir stehen schwerlich am Abschlüsse dieser
Epoche; gerade unser Rechtsempfinden wird in absehbarer Zeit noch weitere
Wandlungen durchmachen. Die Aufgabe unserer gesetzgebenden Gewalten wird
es sein, rechtzeitig diese Wandlungen zu erfassen und die bestehenden Gesetze
entsprechend abzuändern.




Gin englisches Nationaltheater im neunzehnten
Jahrhundert
Samuel phelxs und sein Scidlers Wells-Theater in London
von Dr. Ernst Leopold Stahl

eit ungefähr einem Jahrzehnt taucht in England in Zeitungs¬
artikeln, Versammlungen und selbst in fachmännischer Werken
immer erneut die Forderung nach einem, wie Rudolf vou Gottschall
sich einmal bei uns in Deutschland ausdrückte, „von dem souve¬
ränen Volk geleiteten Nationaltheater" auf. Man erhofft von
ihm, das eine Bühne mit wechselndem Spielplan und einem geschäftlich unab¬
hängigen Direktor werden soll, die lange ersehnte endgültige Erstarkung der
in vieler Hinsicht heute schou beachtenswerten englischen Bühnenkunst und ihrer
Literatur.

Der Gedanke eines nationalen Theaters, der in Deutschland seit den Tagen
der Klassiker häufig einen mehr oder weniger unvollkommenen praktischen Aus¬
druck in unseren Hofbühnen erhielt, ist für England gleichfalls nicht neu. Er
gewann dort auch in einem heute völlig vergessenen, künstlerisch höchst bedeutsamen
Unternehmen seit der Mitte der vierziger Jahre des neunzehnten Jahrhunderts
feste Form, nämlich im Londoner Sudlers Wells - Theater unter der Direktion
von Samuel Phelps. Sadlers Wells war allerdings ein Privatunternehmen,
diente aber — und das bleibt schließlich immer die wichtigste und höchste
Forderung für ein Nationaltheater — in weitesten Umfange und nahezu
ausschließlich dem literarischen Drama seines eigenen Volkes.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_326811/35>, abgerufen am 28.04.2024.