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Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Viertes Vierteljahr.

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"Besen, Vesen, selbs gewesen!"
Lin Malerbrief

cum alle die stummen Fragen, wie man sie nunmehr oft auf den
Gesichtern mancher Kunstausstellungsbesucher tieft, einmal Stimme
erhielten, sie sprächen ähnlich, wie Ihr Brief, lieber Freund. "Ist
dies nun das Schöne?"

Wenigen würde das Axiom genügen: "I^e lala, c'e8t Is
beau!" Das meinen Sie auch, wenn Sie sagen: nachdem die Kubisten-,
Futuristen- und sonstigen Veitstänze zeigten, wohin uns die "Umwertung" aller
Malwerte führte, die so um die sechziger Jahre vorigen Säkuls am alten Herd
aller Revolutionen begann, wäre die Zeit da, eine historische Beleuchtung zu
versuchen, der Holzwege, die in solche Wirrnis leiteten. Viele, die imstande
sind, aus dem Kunstwerk wohl Erhebung, Trost, Freude zu schöpfen, aber im
Getriebe ihres Berufes von seinem Entstehen wenig wissen, möchten da für
einige Winke dankbar sein. Wenn Sie, anknüpfend, von den Schweizersälen
der letzten Münchener Internationalen äußern: "so käme man wieder zu den
Höhlenmalern vorgeschichtlicher Zeiten zurück" -- stehen Sie sicher nicht allein.
Daß Sie nicht um Auskunft zu einem Kunstgelehrten wollen, "weil man da
oft mit philosophischen Sätzen und psychologischen Lotungen unbequem zu tun
bekäme," kann man auch nicht ohne weiteres verurteilen. Subjektiv empfinden
Sie freilich, wenn Sie über den Satz eines Dozenten: "vom farbigen Licht,
der ewigen Metamorphose der Erscheinungen, der Negation des Willens im
Gegenstande" schreiben: es hätte Sie die Lust angewandelt, die unverständlichen
Worte nach dem Muster "wenn der Mops mit der Wurst über 'n Eckstein springt",
zu permutieren.

Ich würde einem Versuch zu der erwähnten Beleuchtung das Wort des
größten Künstlers unserer Sprache voransetzen: '

"Es geht durch die ganze Kunst eine Filiation; steht man einen großen
Meister, so findet man immer, daß er das Gute seiner Vorgänger benutzte,
und daß eben dieses ihn groß machte. Männer, wie Rafael, wachsen nicht aus
dem Boden. Sie fußten auf der Antike und dem Besten, was vor ihnen gemacht
worden."




„Besen, Vesen, selbs gewesen!"
Lin Malerbrief

cum alle die stummen Fragen, wie man sie nunmehr oft auf den
Gesichtern mancher Kunstausstellungsbesucher tieft, einmal Stimme
erhielten, sie sprächen ähnlich, wie Ihr Brief, lieber Freund. „Ist
dies nun das Schöne?"

Wenigen würde das Axiom genügen: „I^e lala, c'e8t Is
beau!" Das meinen Sie auch, wenn Sie sagen: nachdem die Kubisten-,
Futuristen- und sonstigen Veitstänze zeigten, wohin uns die „Umwertung" aller
Malwerte führte, die so um die sechziger Jahre vorigen Säkuls am alten Herd
aller Revolutionen begann, wäre die Zeit da, eine historische Beleuchtung zu
versuchen, der Holzwege, die in solche Wirrnis leiteten. Viele, die imstande
sind, aus dem Kunstwerk wohl Erhebung, Trost, Freude zu schöpfen, aber im
Getriebe ihres Berufes von seinem Entstehen wenig wissen, möchten da für
einige Winke dankbar sein. Wenn Sie, anknüpfend, von den Schweizersälen
der letzten Münchener Internationalen äußern: „so käme man wieder zu den
Höhlenmalern vorgeschichtlicher Zeiten zurück" — stehen Sie sicher nicht allein.
Daß Sie nicht um Auskunft zu einem Kunstgelehrten wollen, „weil man da
oft mit philosophischen Sätzen und psychologischen Lotungen unbequem zu tun
bekäme," kann man auch nicht ohne weiteres verurteilen. Subjektiv empfinden
Sie freilich, wenn Sie über den Satz eines Dozenten: „vom farbigen Licht,
der ewigen Metamorphose der Erscheinungen, der Negation des Willens im
Gegenstande" schreiben: es hätte Sie die Lust angewandelt, die unverständlichen
Worte nach dem Muster „wenn der Mops mit der Wurst über 'n Eckstein springt",
zu permutieren.

Ich würde einem Versuch zu der erwähnten Beleuchtung das Wort des
größten Künstlers unserer Sprache voransetzen: '

„Es geht durch die ganze Kunst eine Filiation; steht man einen großen
Meister, so findet man immer, daß er das Gute seiner Vorgänger benutzte,
und daß eben dieses ihn groß machte. Männer, wie Rafael, wachsen nicht aus
dem Boden. Sie fußten auf der Antike und dem Besten, was vor ihnen gemacht
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[0434] [Abbildung] „Besen, Vesen, selbs gewesen!" Lin Malerbrief cum alle die stummen Fragen, wie man sie nunmehr oft auf den Gesichtern mancher Kunstausstellungsbesucher tieft, einmal Stimme erhielten, sie sprächen ähnlich, wie Ihr Brief, lieber Freund. „Ist dies nun das Schöne?" Wenigen würde das Axiom genügen: „I^e lala, c'e8t Is beau!" Das meinen Sie auch, wenn Sie sagen: nachdem die Kubisten-, Futuristen- und sonstigen Veitstänze zeigten, wohin uns die „Umwertung" aller Malwerte führte, die so um die sechziger Jahre vorigen Säkuls am alten Herd aller Revolutionen begann, wäre die Zeit da, eine historische Beleuchtung zu versuchen, der Holzwege, die in solche Wirrnis leiteten. Viele, die imstande sind, aus dem Kunstwerk wohl Erhebung, Trost, Freude zu schöpfen, aber im Getriebe ihres Berufes von seinem Entstehen wenig wissen, möchten da für einige Winke dankbar sein. Wenn Sie, anknüpfend, von den Schweizersälen der letzten Münchener Internationalen äußern: „so käme man wieder zu den Höhlenmalern vorgeschichtlicher Zeiten zurück" — stehen Sie sicher nicht allein. Daß Sie nicht um Auskunft zu einem Kunstgelehrten wollen, „weil man da oft mit philosophischen Sätzen und psychologischen Lotungen unbequem zu tun bekäme," kann man auch nicht ohne weiteres verurteilen. Subjektiv empfinden Sie freilich, wenn Sie über den Satz eines Dozenten: „vom farbigen Licht, der ewigen Metamorphose der Erscheinungen, der Negation des Willens im Gegenstande" schreiben: es hätte Sie die Lust angewandelt, die unverständlichen Worte nach dem Muster „wenn der Mops mit der Wurst über 'n Eckstein springt", zu permutieren. Ich würde einem Versuch zu der erwähnten Beleuchtung das Wort des größten Künstlers unserer Sprache voransetzen: ' „Es geht durch die ganze Kunst eine Filiation; steht man einen großen Meister, so findet man immer, daß er das Gute seiner Vorgänger benutzte, und daß eben dieses ihn groß machte. Männer, wie Rafael, wachsen nicht aus dem Boden. Sie fußten auf der Antike und dem Besten, was vor ihnen gemacht worden."

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_326811/434>, abgerufen am 28.04.2024.