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Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Viertes Vierteljahr.

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Reisebriefe

2. ^UeZro ma non l'roppo

"Herr Doktor möchten zum Kaffee kommen." Was man so Kaffee nennt.
Sardinen, Aufschnitt, goldgelbe Marmelade usw. "Herr Doktor es ist Zeit,
sich zum Lunch fertig zu machen." Sardinen, Aufschnitt, Nieren in Weinsauce,
Filet 5 w Nelson, Kompott, Käse, Kaffee. Kaum hat man den sündhaften Leib
in seinem Zimmer ausgestreckt und eine oprechte hollandske Zigarren geraucht,
klopft dieser Quälgeist von Steward schon wieder: "Herr Doktor möchten zum
Kaffee kommen." Himmeldonnerwetter soll diese verdammte Esserei schon wieder
losgehen? Gott sei Dank, jetzt habe ich vier Stunden Zeit bis zum Diner. Ja¬
wohl: "Herr Doktor, Herr Kapitän läßt sehr bitten, die neue Gänseleberpastete
zu probieren." Nun aber rauft

Soll dieses gotteslästerliche Sybaritentum so weiter gehen? Soll ich mit
meinem wohltrainierten Körper, den ich prinzipiell nicht über 70 Kilo lasse, ein
Kerl im Stabsofftzierformat werden? Oder will dieser dürre Kapitän, dem ich
doch nichts zuleide getan habe, mich auf demselben Fluß, auf derselben breiten
Schelde, zu Tode mästen, wie einst Lamm Götzack in Costers buntem Legenden-
buche den vermeintlichen Verführer seiner Frau?

"Den Wagen vor, ich will nach Hamburg fahren." So half sich Liliencron
über solche dickblütige Situationen hinweg. Bei mir kann (ebenso wie bei dem
Poggfredmann) leider kein Wagen vorfahren. Also muß es heute das Kapitänsgig
tun. Nicht vier adlige Rosse vor meinem Wagen, wohl aber vier frische Jungen
aus der Lüneburger Heide und von den Vorsetzen aus Hamburg. Und die
vier reißen die Riemen mit demselben Temperament durch das Wasser. Denn
an dem Quai konnten wir, als wir gestern bei schwersten Sturm hier einkamen,
nicht festmachen. Beim ersten Versuch wurden wir abgetrieben, der Schlepper
konnte nicht mehr halten, und wir stießen mit dem Hinterteil (des Schiffes) einen
harmlosen, gutmütigen, Hudraulischen Krähn, der uns gar nichts zuleide getan
hatte, um. Also, daß dieser dicke Geselle mit Erdbebenkrachen auf die Nase fiel
und sich dieselbe arg zurichtete.

Also Antwerpen. Kathedrale? Steenmuseum? Börse? Marktplatz? Fällt
mir gar nicht ein. Der Literat ist eingemottet. Auf ein halbes Jahr. Und
ein gräßlich animalischer Mensch ist an seine Stelle getreten, dem man eigentlich
einen Ring durch die Nase ziehen müßte, bevor man ihn von Bord läßt. Und
heute vor vierzehn Tagen schrieb ich noch: "Grundzüge der modernen Ring¬
inszenierung." Na ja.

Cass Weber. Im Boulevardviertel der Vlamenstadt an der Schelde
viele Offiziere der Transatlantikdampfer, alle nach Nationalitäten geordnet.
Eine Damenkapelle spielt. Ihre Primgeigerin ist ein unverkennbarer Pariser
Typ, mit eleganten, sehr dauerhaften Bewegungen, dabei lachend und gurrend,
wie eine große Turteltaube. Sieh da, ein Gruß aus Murgers lachend-weinender
Boheme: in jeder Pause steht vor der Kapelle ein junger schwarz¬
gelockter Mensch, der unverkennbare Südfranzose. Und immer gibt es ein paar


Reisebriefe

2. ^UeZro ma non l'roppo

„Herr Doktor möchten zum Kaffee kommen." Was man so Kaffee nennt.
Sardinen, Aufschnitt, goldgelbe Marmelade usw. „Herr Doktor es ist Zeit,
sich zum Lunch fertig zu machen." Sardinen, Aufschnitt, Nieren in Weinsauce,
Filet 5 w Nelson, Kompott, Käse, Kaffee. Kaum hat man den sündhaften Leib
in seinem Zimmer ausgestreckt und eine oprechte hollandske Zigarren geraucht,
klopft dieser Quälgeist von Steward schon wieder: „Herr Doktor möchten zum
Kaffee kommen." Himmeldonnerwetter soll diese verdammte Esserei schon wieder
losgehen? Gott sei Dank, jetzt habe ich vier Stunden Zeit bis zum Diner. Ja¬
wohl: „Herr Doktor, Herr Kapitän läßt sehr bitten, die neue Gänseleberpastete
zu probieren." Nun aber rauft

Soll dieses gotteslästerliche Sybaritentum so weiter gehen? Soll ich mit
meinem wohltrainierten Körper, den ich prinzipiell nicht über 70 Kilo lasse, ein
Kerl im Stabsofftzierformat werden? Oder will dieser dürre Kapitän, dem ich
doch nichts zuleide getan habe, mich auf demselben Fluß, auf derselben breiten
Schelde, zu Tode mästen, wie einst Lamm Götzack in Costers buntem Legenden-
buche den vermeintlichen Verführer seiner Frau?

„Den Wagen vor, ich will nach Hamburg fahren." So half sich Liliencron
über solche dickblütige Situationen hinweg. Bei mir kann (ebenso wie bei dem
Poggfredmann) leider kein Wagen vorfahren. Also muß es heute das Kapitänsgig
tun. Nicht vier adlige Rosse vor meinem Wagen, wohl aber vier frische Jungen
aus der Lüneburger Heide und von den Vorsetzen aus Hamburg. Und die
vier reißen die Riemen mit demselben Temperament durch das Wasser. Denn
an dem Quai konnten wir, als wir gestern bei schwersten Sturm hier einkamen,
nicht festmachen. Beim ersten Versuch wurden wir abgetrieben, der Schlepper
konnte nicht mehr halten, und wir stießen mit dem Hinterteil (des Schiffes) einen
harmlosen, gutmütigen, Hudraulischen Krähn, der uns gar nichts zuleide getan
hatte, um. Also, daß dieser dicke Geselle mit Erdbebenkrachen auf die Nase fiel
und sich dieselbe arg zurichtete.

Also Antwerpen. Kathedrale? Steenmuseum? Börse? Marktplatz? Fällt
mir gar nicht ein. Der Literat ist eingemottet. Auf ein halbes Jahr. Und
ein gräßlich animalischer Mensch ist an seine Stelle getreten, dem man eigentlich
einen Ring durch die Nase ziehen müßte, bevor man ihn von Bord läßt. Und
heute vor vierzehn Tagen schrieb ich noch: „Grundzüge der modernen Ring¬
inszenierung." Na ja.

Cass Weber. Im Boulevardviertel der Vlamenstadt an der Schelde
viele Offiziere der Transatlantikdampfer, alle nach Nationalitäten geordnet.
Eine Damenkapelle spielt. Ihre Primgeigerin ist ein unverkennbarer Pariser
Typ, mit eleganten, sehr dauerhaften Bewegungen, dabei lachend und gurrend,
wie eine große Turteltaube. Sieh da, ein Gruß aus Murgers lachend-weinender
Boheme: in jeder Pause steht vor der Kapelle ein junger schwarz¬
gelockter Mensch, der unverkennbare Südfranzose. Und immer gibt es ein paar


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[0046] Reisebriefe 2. ^UeZro ma non l'roppo „Herr Doktor möchten zum Kaffee kommen." Was man so Kaffee nennt. Sardinen, Aufschnitt, goldgelbe Marmelade usw. „Herr Doktor es ist Zeit, sich zum Lunch fertig zu machen." Sardinen, Aufschnitt, Nieren in Weinsauce, Filet 5 w Nelson, Kompott, Käse, Kaffee. Kaum hat man den sündhaften Leib in seinem Zimmer ausgestreckt und eine oprechte hollandske Zigarren geraucht, klopft dieser Quälgeist von Steward schon wieder: „Herr Doktor möchten zum Kaffee kommen." Himmeldonnerwetter soll diese verdammte Esserei schon wieder losgehen? Gott sei Dank, jetzt habe ich vier Stunden Zeit bis zum Diner. Ja¬ wohl: „Herr Doktor, Herr Kapitän läßt sehr bitten, die neue Gänseleberpastete zu probieren." Nun aber rauft Soll dieses gotteslästerliche Sybaritentum so weiter gehen? Soll ich mit meinem wohltrainierten Körper, den ich prinzipiell nicht über 70 Kilo lasse, ein Kerl im Stabsofftzierformat werden? Oder will dieser dürre Kapitän, dem ich doch nichts zuleide getan habe, mich auf demselben Fluß, auf derselben breiten Schelde, zu Tode mästen, wie einst Lamm Götzack in Costers buntem Legenden- buche den vermeintlichen Verführer seiner Frau? „Den Wagen vor, ich will nach Hamburg fahren." So half sich Liliencron über solche dickblütige Situationen hinweg. Bei mir kann (ebenso wie bei dem Poggfredmann) leider kein Wagen vorfahren. Also muß es heute das Kapitänsgig tun. Nicht vier adlige Rosse vor meinem Wagen, wohl aber vier frische Jungen aus der Lüneburger Heide und von den Vorsetzen aus Hamburg. Und die vier reißen die Riemen mit demselben Temperament durch das Wasser. Denn an dem Quai konnten wir, als wir gestern bei schwersten Sturm hier einkamen, nicht festmachen. Beim ersten Versuch wurden wir abgetrieben, der Schlepper konnte nicht mehr halten, und wir stießen mit dem Hinterteil (des Schiffes) einen harmlosen, gutmütigen, Hudraulischen Krähn, der uns gar nichts zuleide getan hatte, um. Also, daß dieser dicke Geselle mit Erdbebenkrachen auf die Nase fiel und sich dieselbe arg zurichtete. Also Antwerpen. Kathedrale? Steenmuseum? Börse? Marktplatz? Fällt mir gar nicht ein. Der Literat ist eingemottet. Auf ein halbes Jahr. Und ein gräßlich animalischer Mensch ist an seine Stelle getreten, dem man eigentlich einen Ring durch die Nase ziehen müßte, bevor man ihn von Bord läßt. Und heute vor vierzehn Tagen schrieb ich noch: „Grundzüge der modernen Ring¬ inszenierung." Na ja. Cass Weber. Im Boulevardviertel der Vlamenstadt an der Schelde viele Offiziere der Transatlantikdampfer, alle nach Nationalitäten geordnet. Eine Damenkapelle spielt. Ihre Primgeigerin ist ein unverkennbarer Pariser Typ, mit eleganten, sehr dauerhaften Bewegungen, dabei lachend und gurrend, wie eine große Turteltaube. Sieh da, ein Gruß aus Murgers lachend-weinender Boheme: in jeder Pause steht vor der Kapelle ein junger schwarz¬ gelockter Mensch, der unverkennbare Südfranzose. Und immer gibt es ein paar

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_326811/46>, abgerufen am 28.04.2024.