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Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Viertes Vierteljahr.

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venis Diderot

Britenlande und Trambahnklingeln, Gesichter in allen Tinten der menschlichen
Farbenpalette. Um dich wogt und singt es. Wonniges Schwimmen in diesem
Strome, von dessen Oberfläche du dich unbekümmerst tragen läßt.

Genießt es, unerkannt zu sein in diesem Menschenmeer. Niemand, der um
dich weiß, niemand, der ahnt, was in dir ist an Hoffen und Fürchten. Was
gestern dir das Haupt beugte und morgen vielleicht es wieder emporheben wird
zum Licht. Du schreitest wieder ruhig und stolz, wie du lange nicht schrittest,
ordnetst dich gerne in den Rhythmus dieser Massen und fühlst dich doch an
ihrer Oberfläche. . .

Und drüben dort im Osten, wo die Parallelen der Lampenreihen sich in
der Unendlichkeit schneiden, ahnst du das verblassende Bild der Heimat. . .

(Fortsetzung folgt)




Denis Diderot
Zu seinem zweihundertsten Geburtstag
von Wilhelm Hacipe

/^F""S^N^-Vin 3. Oktober 1713 wurde dem frommen und wohlangesehenen
Messerschmied Didier Diderot zu Langres in der Champagne ein
Sohn geboren, der seinem Vater mancherlei Sorgen machen sollte.
Es war Denis Diderot, der in der Geschichte als einer der Sterne
der französischen Aufklärungsperiode neben Voltaire und Rousseau
glänzt.

Der junge Denis war hochbegabt, aber mit einer glühenden Wißbegierde
vereinigte er einen ebenso großen Hang zur Ungebundenheit. Er wurde zum
geistlichen Stand bestimmt und den Jesuiten zur Erziehung übergeben; im
zwölften Lebensjahre erhielt er die Tonsur. Sein Lerneifer war groß, aber
gegen die Theologie zeigte er eine unüberwindliche Abneigung. Auch mit der
juristischen Berufstätigkeit, der er sich dann zwei Jahre widmete, konnte er sich
nicht befreunden, und schließlich erklärte er auf die Frage, was er denn werden
wolle, rund heraus: nichts.

Er ist denn auch "nichts" geworden, insofern, als er keinen bestimmten
Beruf ergriff; aber er ist "alles" geworden in dem Sinne, daß es kaum ein
Gebiet des Wissens und der künstlerischen oder technischen Tätigkeit gab, in


venis Diderot

Britenlande und Trambahnklingeln, Gesichter in allen Tinten der menschlichen
Farbenpalette. Um dich wogt und singt es. Wonniges Schwimmen in diesem
Strome, von dessen Oberfläche du dich unbekümmerst tragen läßt.

Genießt es, unerkannt zu sein in diesem Menschenmeer. Niemand, der um
dich weiß, niemand, der ahnt, was in dir ist an Hoffen und Fürchten. Was
gestern dir das Haupt beugte und morgen vielleicht es wieder emporheben wird
zum Licht. Du schreitest wieder ruhig und stolz, wie du lange nicht schrittest,
ordnetst dich gerne in den Rhythmus dieser Massen und fühlst dich doch an
ihrer Oberfläche. . .

Und drüben dort im Osten, wo die Parallelen der Lampenreihen sich in
der Unendlichkeit schneiden, ahnst du das verblassende Bild der Heimat. . .

(Fortsetzung folgt)




Denis Diderot
Zu seinem zweihundertsten Geburtstag
von Wilhelm Hacipe

/^F»»S^N^-Vin 3. Oktober 1713 wurde dem frommen und wohlangesehenen
Messerschmied Didier Diderot zu Langres in der Champagne ein
Sohn geboren, der seinem Vater mancherlei Sorgen machen sollte.
Es war Denis Diderot, der in der Geschichte als einer der Sterne
der französischen Aufklärungsperiode neben Voltaire und Rousseau
glänzt.

Der junge Denis war hochbegabt, aber mit einer glühenden Wißbegierde
vereinigte er einen ebenso großen Hang zur Ungebundenheit. Er wurde zum
geistlichen Stand bestimmt und den Jesuiten zur Erziehung übergeben; im
zwölften Lebensjahre erhielt er die Tonsur. Sein Lerneifer war groß, aber
gegen die Theologie zeigte er eine unüberwindliche Abneigung. Auch mit der
juristischen Berufstätigkeit, der er sich dann zwei Jahre widmete, konnte er sich
nicht befreunden, und schließlich erklärte er auf die Frage, was er denn werden
wolle, rund heraus: nichts.

Er ist denn auch „nichts" geworden, insofern, als er keinen bestimmten
Beruf ergriff; aber er ist „alles" geworden in dem Sinne, daß es kaum ein
Gebiet des Wissens und der künstlerischen oder technischen Tätigkeit gab, in


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_326811/50>, abgerufen am 28.04.2024.