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Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Viertes Vierteljahr.

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Reichsspiegel
Die Acmzlerkrise von ^9^3

Der Auszug von Zabern -- die Tatsachen -- ihre Gesetzmäßigkeit -- Regierungs¬
taktik -- ihre Folgen im Reichstage -- die wahren Schuldigen -- böse Aussichten

Zabern. Der trübe Vormittag eines Dezembertages ohne Schnee mit tief¬
hängenden Nebelschwaden. Das sonst so freundliche Städtchen am Fuße der
"Zaberner Steige" macht einen mürrischen Eindruck. Hie und da stehen zwar
Bürger und Handwerker zusammen und scheinen sich etwas zuzuraunen, aber
doch sieht das ganze Bild leer aus. Auf der Hauptstraße, die abfallend vom
alten Schloß über die hochgewölbte Kanalbrücke zum Bahnhof führt, bewegen
sich militärische Fahrzeuge; sie rollen so schnell den Hang hinunter, als eilten
sie aus dem unfreundlichen Ort fortzukommen, und ihre Räder kreischen schmerzhaft
unter dem Druck der Bremsklötze. Bald öffnen sich auch die mächtigen Tor¬
flügel des Schlosses und in langen Reihen, Sektion auf Sektion strömen die
fast kriegsstarken Kompagnien heraus auf den Schloßplatz, um dann rechter
Hand zum Bahnhof abzubiegen. Die beiden Zaberner Bataillone des 2. Ober¬
rheinischen Infanterieregiments Ur. 99 verlassen die Stadt und beziehen Baracken
des Truppenübungsplatzes Hagenau. Mitten im Winter? Mitten in der Aus¬
bildungsperiode? -- Der Kaiser hat es befohlen! -- Warum? Weshalb? --
Ihr hört es, der Kaiser hat es befohlen!

Das kam so: ein junger, unreifer Leutnant war gegen seine elsässischen
Rekruten taktlos, wie junge Leute, nicht nur Leutnants gelegentlich taktlos sein
können. Er ist dafür eingesperrt worden: wegen Zuwiderhandeln gegen das
Verbot, das Wort Wackes zu gebrauchen und wegen vorschriftswidriger Be¬
handlung von Untergebenen. Dem Redakteur des Zaberner Anzeigers gab
dieser Vorgang Anlaß, Offiziere und Unteroffiziere des Regiments in der
gröblichsten Weise anzugreifen und die Bevölkerung gegen die Offiziere auf¬
zureizen. Zwischen dem 8. und 10. November wurden infolgedessen Offiziere
wiederholt, z. B. durch Ansammlungen vor ihrem Stammlokal belästigt.

Am 16. November flog das Gerücht auf, Leutnant von Forstner habe in
der Jnstruktionsstunde die französische Fahne beschimpft. Im Zaberner An¬
zeiger ging die Hetze in verschärfter Form weiter, und in der deutschen wie in
der französischen Presse erschienen die tollsten Behauptungen. Die Versetzung




Reichsspiegel
Die Acmzlerkrise von ^9^3

Der Auszug von Zabern — die Tatsachen — ihre Gesetzmäßigkeit — Regierungs¬
taktik — ihre Folgen im Reichstage — die wahren Schuldigen — böse Aussichten

Zabern. Der trübe Vormittag eines Dezembertages ohne Schnee mit tief¬
hängenden Nebelschwaden. Das sonst so freundliche Städtchen am Fuße der
„Zaberner Steige" macht einen mürrischen Eindruck. Hie und da stehen zwar
Bürger und Handwerker zusammen und scheinen sich etwas zuzuraunen, aber
doch sieht das ganze Bild leer aus. Auf der Hauptstraße, die abfallend vom
alten Schloß über die hochgewölbte Kanalbrücke zum Bahnhof führt, bewegen
sich militärische Fahrzeuge; sie rollen so schnell den Hang hinunter, als eilten
sie aus dem unfreundlichen Ort fortzukommen, und ihre Räder kreischen schmerzhaft
unter dem Druck der Bremsklötze. Bald öffnen sich auch die mächtigen Tor¬
flügel des Schlosses und in langen Reihen, Sektion auf Sektion strömen die
fast kriegsstarken Kompagnien heraus auf den Schloßplatz, um dann rechter
Hand zum Bahnhof abzubiegen. Die beiden Zaberner Bataillone des 2. Ober¬
rheinischen Infanterieregiments Ur. 99 verlassen die Stadt und beziehen Baracken
des Truppenübungsplatzes Hagenau. Mitten im Winter? Mitten in der Aus¬
bildungsperiode? — Der Kaiser hat es befohlen! — Warum? Weshalb? —
Ihr hört es, der Kaiser hat es befohlen!

Das kam so: ein junger, unreifer Leutnant war gegen seine elsässischen
Rekruten taktlos, wie junge Leute, nicht nur Leutnants gelegentlich taktlos sein
können. Er ist dafür eingesperrt worden: wegen Zuwiderhandeln gegen das
Verbot, das Wort Wackes zu gebrauchen und wegen vorschriftswidriger Be¬
handlung von Untergebenen. Dem Redakteur des Zaberner Anzeigers gab
dieser Vorgang Anlaß, Offiziere und Unteroffiziere des Regiments in der
gröblichsten Weise anzugreifen und die Bevölkerung gegen die Offiziere auf¬
zureizen. Zwischen dem 8. und 10. November wurden infolgedessen Offiziere
wiederholt, z. B. durch Ansammlungen vor ihrem Stammlokal belästigt.

Am 16. November flog das Gerücht auf, Leutnant von Forstner habe in
der Jnstruktionsstunde die französische Fahne beschimpft. Im Zaberner An¬
zeiger ging die Hetze in verschärfter Form weiter, und in der deutschen wie in
der französischen Presse erschienen die tollsten Behauptungen. Die Versetzung


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_326811/535>, abgerufen am 27.04.2024.