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Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Viertes Vierteljahr.

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Reichsspiegel

Forstners wurde gefordert. Unter dem Druck dieser Gerüchte, die, wenn man
das Material nachträglich in Ruhe durchstudiert, den Eindruck einer systema¬
tischen, nach ganz bestimmten Grundsätzen geleiteten Agitation entstehen lassen,
steigerte sich die Anmaßung eines Teils der Zaberner Bevölkerung dem Militär
gegenüber so, daß der Garnisonälteste, Oberst von Reuter, aus seiner Reserve
heraustreten mußte, zum Schutz von des Königs Rock.

Am 26. November werden Offiziere, die sich auf der Straße zeigen, von
johlenden Burschen und Kindern umringt; am 28. wird in Dettweiler schon
eine geschlossene Abteilung beschimpft und auf dem Schloßplatz, der sich vor
dem als Kaserne eingerichteten Schloß hinzieht, werden vom Dienst heimkehrende
Offiziere beleidigt, mit Steinen beworfen usw.




Schon in den ersten Novembertagen hatten die im Wirtshaus belästigten
Offiziere feststellen müssen, daß sie bei der ordentlichen städtischen Polizei keinen
Schutz finden konnten: auf der Wachstube befand sich nur ein Mann als Hüter
der Ordnung und der konnte seinen Posten nicht verlassen. Am 26. November
waren einzelne Individuen so aggressiv, daß Tätlichketten befürchtet werden
mußten; zwei von ihnen wurden durch Wachmannschaften des Regiments fest¬
genommen und der Polizei überwiesen. Am 28. November schützen sich die
umringten und angebrüllten Offiziere, darunter der schwer beleidigte Leutnant
von Forstner, durch Verhaftung ihrer Beleidiger, die sie nach dem ihnen gesetzlich
zustehenden Ehrennotwehrrecht mit der blanken Waffe hätten zum Schweigen
bringen dürfen. Um solchem Unheil vorzubeugen hat Oberst von Reuter den
Schloßplatz räumen lassen und Patrouillen durch die Straßen geschickt, die jede
Menschenansammlung verhinderten. Bei der Räumung des Schloßplatzes wurden
siebenundzwanzig Personen verhaftet und aus Gründen, die sich vielleicht aus
den lokalen Verhältnissen ergeben, die jedenfalls noch nicht aufgeklärt sind, in
einem Keller des Schlosses die Nacht über in Gewahrsam genommen.




Die juristische Seite des militärischen Vorgehens findet in zwei Aufsätzen
der Kölnischen Zeitung und einem in der Kreuzzeitung übereinstimmende Be¬
leuchtung. Der Havelberger Amtsrichter, Herr Dr. von Katte, ein Mann der
äußersten Rechten, stützt seine Beweisführung ganz allgemein auf Otto Mayers
Darlegungen in Bindings Handbuch der deutschen Rechtswissenschaft. Er stellt
mit Mayer fest, "daß das Heer auf Grund seiner verwaltungsrechtlichen Selbst¬
verteidigung (ich möchte noch lieber sagen, auf Grund der ihm übertragenen
polizeilichen Funktionen) seine Dienstgebäude, Übungsplätze, Festungswerke usw.
selbständig gegen Angriffe schützt. Alle Formen der Gewaltanwendung mögen
dazu dienen. Die Festnahme der Person des Angreifers kann dabei um der
begangenen strafbaren Handlung willen nach den Regeln der Strafprozeßordnung


Reichsspiegel

Forstners wurde gefordert. Unter dem Druck dieser Gerüchte, die, wenn man
das Material nachträglich in Ruhe durchstudiert, den Eindruck einer systema¬
tischen, nach ganz bestimmten Grundsätzen geleiteten Agitation entstehen lassen,
steigerte sich die Anmaßung eines Teils der Zaberner Bevölkerung dem Militär
gegenüber so, daß der Garnisonälteste, Oberst von Reuter, aus seiner Reserve
heraustreten mußte, zum Schutz von des Königs Rock.

Am 26. November werden Offiziere, die sich auf der Straße zeigen, von
johlenden Burschen und Kindern umringt; am 28. wird in Dettweiler schon
eine geschlossene Abteilung beschimpft und auf dem Schloßplatz, der sich vor
dem als Kaserne eingerichteten Schloß hinzieht, werden vom Dienst heimkehrende
Offiziere beleidigt, mit Steinen beworfen usw.




Schon in den ersten Novembertagen hatten die im Wirtshaus belästigten
Offiziere feststellen müssen, daß sie bei der ordentlichen städtischen Polizei keinen
Schutz finden konnten: auf der Wachstube befand sich nur ein Mann als Hüter
der Ordnung und der konnte seinen Posten nicht verlassen. Am 26. November
waren einzelne Individuen so aggressiv, daß Tätlichketten befürchtet werden
mußten; zwei von ihnen wurden durch Wachmannschaften des Regiments fest¬
genommen und der Polizei überwiesen. Am 28. November schützen sich die
umringten und angebrüllten Offiziere, darunter der schwer beleidigte Leutnant
von Forstner, durch Verhaftung ihrer Beleidiger, die sie nach dem ihnen gesetzlich
zustehenden Ehrennotwehrrecht mit der blanken Waffe hätten zum Schweigen
bringen dürfen. Um solchem Unheil vorzubeugen hat Oberst von Reuter den
Schloßplatz räumen lassen und Patrouillen durch die Straßen geschickt, die jede
Menschenansammlung verhinderten. Bei der Räumung des Schloßplatzes wurden
siebenundzwanzig Personen verhaftet und aus Gründen, die sich vielleicht aus
den lokalen Verhältnissen ergeben, die jedenfalls noch nicht aufgeklärt sind, in
einem Keller des Schlosses die Nacht über in Gewahrsam genommen.




Die juristische Seite des militärischen Vorgehens findet in zwei Aufsätzen
der Kölnischen Zeitung und einem in der Kreuzzeitung übereinstimmende Be¬
leuchtung. Der Havelberger Amtsrichter, Herr Dr. von Katte, ein Mann der
äußersten Rechten, stützt seine Beweisführung ganz allgemein auf Otto Mayers
Darlegungen in Bindings Handbuch der deutschen Rechtswissenschaft. Er stellt
mit Mayer fest, „daß das Heer auf Grund seiner verwaltungsrechtlichen Selbst¬
verteidigung (ich möchte noch lieber sagen, auf Grund der ihm übertragenen
polizeilichen Funktionen) seine Dienstgebäude, Übungsplätze, Festungswerke usw.
selbständig gegen Angriffe schützt. Alle Formen der Gewaltanwendung mögen
dazu dienen. Die Festnahme der Person des Angreifers kann dabei um der
begangenen strafbaren Handlung willen nach den Regeln der Strafprozeßordnung


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[0536] Reichsspiegel Forstners wurde gefordert. Unter dem Druck dieser Gerüchte, die, wenn man das Material nachträglich in Ruhe durchstudiert, den Eindruck einer systema¬ tischen, nach ganz bestimmten Grundsätzen geleiteten Agitation entstehen lassen, steigerte sich die Anmaßung eines Teils der Zaberner Bevölkerung dem Militär gegenüber so, daß der Garnisonälteste, Oberst von Reuter, aus seiner Reserve heraustreten mußte, zum Schutz von des Königs Rock. Am 26. November werden Offiziere, die sich auf der Straße zeigen, von johlenden Burschen und Kindern umringt; am 28. wird in Dettweiler schon eine geschlossene Abteilung beschimpft und auf dem Schloßplatz, der sich vor dem als Kaserne eingerichteten Schloß hinzieht, werden vom Dienst heimkehrende Offiziere beleidigt, mit Steinen beworfen usw. Schon in den ersten Novembertagen hatten die im Wirtshaus belästigten Offiziere feststellen müssen, daß sie bei der ordentlichen städtischen Polizei keinen Schutz finden konnten: auf der Wachstube befand sich nur ein Mann als Hüter der Ordnung und der konnte seinen Posten nicht verlassen. Am 26. November waren einzelne Individuen so aggressiv, daß Tätlichketten befürchtet werden mußten; zwei von ihnen wurden durch Wachmannschaften des Regiments fest¬ genommen und der Polizei überwiesen. Am 28. November schützen sich die umringten und angebrüllten Offiziere, darunter der schwer beleidigte Leutnant von Forstner, durch Verhaftung ihrer Beleidiger, die sie nach dem ihnen gesetzlich zustehenden Ehrennotwehrrecht mit der blanken Waffe hätten zum Schweigen bringen dürfen. Um solchem Unheil vorzubeugen hat Oberst von Reuter den Schloßplatz räumen lassen und Patrouillen durch die Straßen geschickt, die jede Menschenansammlung verhinderten. Bei der Räumung des Schloßplatzes wurden siebenundzwanzig Personen verhaftet und aus Gründen, die sich vielleicht aus den lokalen Verhältnissen ergeben, die jedenfalls noch nicht aufgeklärt sind, in einem Keller des Schlosses die Nacht über in Gewahrsam genommen. Die juristische Seite des militärischen Vorgehens findet in zwei Aufsätzen der Kölnischen Zeitung und einem in der Kreuzzeitung übereinstimmende Be¬ leuchtung. Der Havelberger Amtsrichter, Herr Dr. von Katte, ein Mann der äußersten Rechten, stützt seine Beweisführung ganz allgemein auf Otto Mayers Darlegungen in Bindings Handbuch der deutschen Rechtswissenschaft. Er stellt mit Mayer fest, „daß das Heer auf Grund seiner verwaltungsrechtlichen Selbst¬ verteidigung (ich möchte noch lieber sagen, auf Grund der ihm übertragenen polizeilichen Funktionen) seine Dienstgebäude, Übungsplätze, Festungswerke usw. selbständig gegen Angriffe schützt. Alle Formen der Gewaltanwendung mögen dazu dienen. Die Festnahme der Person des Angreifers kann dabei um der begangenen strafbaren Handlung willen nach den Regeln der Strafprozeßordnung

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_326811/536>, abgerufen am 11.05.2024.