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Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Viertes Vierteljahr.

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Philosophie als Kunst

Heute hat Rußland den Teil seines Besitzes, in dem die Polen ethno¬
graphisch herrschen, soweit isoliert, wie es die Katkow und Genossen in den
1870 er Jahren forderten. Jetzt muß es sich bald entscheiden, ob die russische
Regierung die Polen benutzen will, um die alten Träume und Pläne, in denen
die Weichselmündung eine so große Rolle spielt, zu verwirklichen, oder ob sie
die Polen ihrem Schicksal überlassen will. Für die Polen ist ein wichtiger
Augenblick herangerückt und so ist es denn auch kein Zufall, wenn die Franzosen
ihren russischen Bundesgenossen raten, sich mit den Polen auszusöhnen. Schon
im Jahre 1863 hatte Bonjean in einer Kammersitzung ausgeführt: >,Ja Kussie
Serail pour non8 I'aliis le piu8 naturel, 8i erttre eile et non8 it n'^ evait
le fantüms ac poloZne".




Philosophie als Aunst
von Chr. Boeck

uf der Tagung der Schopenhauer-Gesellschaft ist es zu lebhaften
Auseinandersetzungen darüber gekommen, ob die Philosophie eine
Kunst oder eine Wissenschaft ist. Der innerste Kern des Streites
wird darin gelegen haben, daß die rein wissenschaftlich fühlenden
I Mitglieder aufs heftigste dagegen protestieren zu müssen glaubten,
daß ihre Wissenschaft, die Philosophie, in den Kreis des Subjektiven und damit
Ungewissen gezogen werde, wie es zu geschehen scheint, wenn man sie als Kunst
bezeichnet, während die, die auf das ganze Dasein in einer Weise reagieren,
durch die sie sich dem Künstler verwandt fühlen, auch die Tätigkeit des Philo¬
sophen am besten zu würdigen vermeinten, wenn sie sie als eine künstlerische
auffaßten. Es scheint also eine Art von Ansichts- oder Geschmackssache zu sein,
ob man die Philosophie eine Wissenschaft oder eine Kunst nennt. Immerhin
liegen da Beziehungen vor, die bedeutsam genug sind, um ihnen einen Augen¬
blick nachzugehen.

Es ist kein Zufall, daß gerade bei einer Zusammenkunft, die unter dem
Namen Schopenhauer stand, diese Streitrede aufkam. Denn wenn eine Philo¬
sophie wie ein Kunstwerk im besten Sinne anmutet, so ist es die Schopen-
hauersche; und wenn bei einem Philosophen das Schaffen je dem des Künstlers


Philosophie als Kunst

Heute hat Rußland den Teil seines Besitzes, in dem die Polen ethno¬
graphisch herrschen, soweit isoliert, wie es die Katkow und Genossen in den
1870 er Jahren forderten. Jetzt muß es sich bald entscheiden, ob die russische
Regierung die Polen benutzen will, um die alten Träume und Pläne, in denen
die Weichselmündung eine so große Rolle spielt, zu verwirklichen, oder ob sie
die Polen ihrem Schicksal überlassen will. Für die Polen ist ein wichtiger
Augenblick herangerückt und so ist es denn auch kein Zufall, wenn die Franzosen
ihren russischen Bundesgenossen raten, sich mit den Polen auszusöhnen. Schon
im Jahre 1863 hatte Bonjean in einer Kammersitzung ausgeführt: >,Ja Kussie
Serail pour non8 I'aliis le piu8 naturel, 8i erttre eile et non8 it n'^ evait
le fantüms ac poloZne".




Philosophie als Aunst
von Chr. Boeck

uf der Tagung der Schopenhauer-Gesellschaft ist es zu lebhaften
Auseinandersetzungen darüber gekommen, ob die Philosophie eine
Kunst oder eine Wissenschaft ist. Der innerste Kern des Streites
wird darin gelegen haben, daß die rein wissenschaftlich fühlenden
I Mitglieder aufs heftigste dagegen protestieren zu müssen glaubten,
daß ihre Wissenschaft, die Philosophie, in den Kreis des Subjektiven und damit
Ungewissen gezogen werde, wie es zu geschehen scheint, wenn man sie als Kunst
bezeichnet, während die, die auf das ganze Dasein in einer Weise reagieren,
durch die sie sich dem Künstler verwandt fühlen, auch die Tätigkeit des Philo¬
sophen am besten zu würdigen vermeinten, wenn sie sie als eine künstlerische
auffaßten. Es scheint also eine Art von Ansichts- oder Geschmackssache zu sein,
ob man die Philosophie eine Wissenschaft oder eine Kunst nennt. Immerhin
liegen da Beziehungen vor, die bedeutsam genug sind, um ihnen einen Augen¬
blick nachzugehen.

Es ist kein Zufall, daß gerade bei einer Zusammenkunft, die unter dem
Namen Schopenhauer stand, diese Streitrede aufkam. Denn wenn eine Philo¬
sophie wie ein Kunstwerk im besten Sinne anmutet, so ist es die Schopen-
hauersche; und wenn bei einem Philosophen das Schaffen je dem des Künstlers


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[0563] Philosophie als Kunst Heute hat Rußland den Teil seines Besitzes, in dem die Polen ethno¬ graphisch herrschen, soweit isoliert, wie es die Katkow und Genossen in den 1870 er Jahren forderten. Jetzt muß es sich bald entscheiden, ob die russische Regierung die Polen benutzen will, um die alten Träume und Pläne, in denen die Weichselmündung eine so große Rolle spielt, zu verwirklichen, oder ob sie die Polen ihrem Schicksal überlassen will. Für die Polen ist ein wichtiger Augenblick herangerückt und so ist es denn auch kein Zufall, wenn die Franzosen ihren russischen Bundesgenossen raten, sich mit den Polen auszusöhnen. Schon im Jahre 1863 hatte Bonjean in einer Kammersitzung ausgeführt: >,Ja Kussie Serail pour non8 I'aliis le piu8 naturel, 8i erttre eile et non8 it n'^ evait le fantüms ac poloZne". Philosophie als Aunst von Chr. Boeck uf der Tagung der Schopenhauer-Gesellschaft ist es zu lebhaften Auseinandersetzungen darüber gekommen, ob die Philosophie eine Kunst oder eine Wissenschaft ist. Der innerste Kern des Streites wird darin gelegen haben, daß die rein wissenschaftlich fühlenden I Mitglieder aufs heftigste dagegen protestieren zu müssen glaubten, daß ihre Wissenschaft, die Philosophie, in den Kreis des Subjektiven und damit Ungewissen gezogen werde, wie es zu geschehen scheint, wenn man sie als Kunst bezeichnet, während die, die auf das ganze Dasein in einer Weise reagieren, durch die sie sich dem Künstler verwandt fühlen, auch die Tätigkeit des Philo¬ sophen am besten zu würdigen vermeinten, wenn sie sie als eine künstlerische auffaßten. Es scheint also eine Art von Ansichts- oder Geschmackssache zu sein, ob man die Philosophie eine Wissenschaft oder eine Kunst nennt. Immerhin liegen da Beziehungen vor, die bedeutsam genug sind, um ihnen einen Augen¬ blick nachzugehen. Es ist kein Zufall, daß gerade bei einer Zusammenkunft, die unter dem Namen Schopenhauer stand, diese Streitrede aufkam. Denn wenn eine Philo¬ sophie wie ein Kunstwerk im besten Sinne anmutet, so ist es die Schopen- hauersche; und wenn bei einem Philosophen das Schaffen je dem des Künstlers

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_326811/563>, abgerufen am 27.04.2024.