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Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Viertes Vierteljahr.

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"Pate Binßwanger," sagte er, "ich bin wieder unartig gewesen und die
Mutter hat daheim geweint. Du mußt mit ihr reden und ihr sagen, daß ich
wieder gut sein will. Willst du?"

"Ich will," sagte der Pate, "sei nur ruhig, sie hat dich ja lieb."

Nun war das Feuer kleingebrannt, und Augustus starrte mit denselben
großen schläfrigen Augen in die schwache Röte wie einstmals in seiner frühen
Kindheit, und der Pate nahm seinen Kopf auf den Schoß, eine feine frohe
Musik klang zart und selig durch die finstere Stube und tausend kleine,
strahlende Geister kamen geschwebt und kreisten srohmütig in kunstvollen Ver¬
schlingungen umeinander und in Paaren durch die Luft. Und Augustus schaute
und lauschte und tat alle seine zarten Kindersinne weit dem wiedergefundenen
Paradiese auf.

Einmal war ihm, als habe ihn seine Mutter gerufen; aber er war zu
müde, und der Pate hatte ihm ja versprochen, mit ihr zu reden. Und als
er eingeschlafen war, legte ihm der Pate die Hände zusammen und lauschte
an seinem stillgewordenen Herzen, bis es in der Stube völlig Nacht ge¬
worden war.




Unterhaltungsliteratur MZ
von Sr. Arthur Westpha

er Strom literarischer Neuerscheinungen, der gerade zur Weihnachts-
zeit bedrohlich anzuschwellen pflegt, bringt auch diesmal das übliche
Gemisch aus falschen und wahren Werten, aus bescheidener Könner¬
schaft und gespreizter Unfähigkeit. Daß dabei die gespreizte Un-
fähigkeit im Übergewicht ist, liegt nun einmal am Wesen dieser
unvollkommensten aller Welten. Überall im Leben drückt der kalte Routinier den
ernsthaft Suchenden an die Wand, überall schreit der große Mund und die Reklame¬
trommel die paar echten Töne nieder, die aus leidenden und ehrlich ringenden
Menschenseelen emporsteigen. Darum wird jeder, der aus Neigung und Beruf
eine Art Kontrolle über den hemmungslos flutenden Strom literarischer Neu¬
erscheinungen ausübt, vor allen Dingen darauf zu achten haben, daß hier keine
Grenzverwirrung eintritt, daß der Tempel der Kunst von Zöllnern und Krämern
rein bleibt, und daß alle falschen Werte, die unter einer BKdermannsmaske ein-
geschmuggelt werden sollen, kurzerhand erkannt und beim rechten Namen genannt
werden.


Unterhaltungsliteratur ^ Z

„Pate Binßwanger," sagte er, „ich bin wieder unartig gewesen und die
Mutter hat daheim geweint. Du mußt mit ihr reden und ihr sagen, daß ich
wieder gut sein will. Willst du?"

„Ich will," sagte der Pate, „sei nur ruhig, sie hat dich ja lieb."

Nun war das Feuer kleingebrannt, und Augustus starrte mit denselben
großen schläfrigen Augen in die schwache Röte wie einstmals in seiner frühen
Kindheit, und der Pate nahm seinen Kopf auf den Schoß, eine feine frohe
Musik klang zart und selig durch die finstere Stube und tausend kleine,
strahlende Geister kamen geschwebt und kreisten srohmütig in kunstvollen Ver¬
schlingungen umeinander und in Paaren durch die Luft. Und Augustus schaute
und lauschte und tat alle seine zarten Kindersinne weit dem wiedergefundenen
Paradiese auf.

Einmal war ihm, als habe ihn seine Mutter gerufen; aber er war zu
müde, und der Pate hatte ihm ja versprochen, mit ihr zu reden. Und als
er eingeschlafen war, legte ihm der Pate die Hände zusammen und lauschte
an seinem stillgewordenen Herzen, bis es in der Stube völlig Nacht ge¬
worden war.




Unterhaltungsliteratur MZ
von Sr. Arthur Westpha

er Strom literarischer Neuerscheinungen, der gerade zur Weihnachts-
zeit bedrohlich anzuschwellen pflegt, bringt auch diesmal das übliche
Gemisch aus falschen und wahren Werten, aus bescheidener Könner¬
schaft und gespreizter Unfähigkeit. Daß dabei die gespreizte Un-
fähigkeit im Übergewicht ist, liegt nun einmal am Wesen dieser
unvollkommensten aller Welten. Überall im Leben drückt der kalte Routinier den
ernsthaft Suchenden an die Wand, überall schreit der große Mund und die Reklame¬
trommel die paar echten Töne nieder, die aus leidenden und ehrlich ringenden
Menschenseelen emporsteigen. Darum wird jeder, der aus Neigung und Beruf
eine Art Kontrolle über den hemmungslos flutenden Strom literarischer Neu¬
erscheinungen ausübt, vor allen Dingen darauf zu achten haben, daß hier keine
Grenzverwirrung eintritt, daß der Tempel der Kunst von Zöllnern und Krämern
rein bleibt, und daß alle falschen Werte, die unter einer BKdermannsmaske ein-
geschmuggelt werden sollen, kurzerhand erkannt und beim rechten Namen genannt
werden.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_326811/585>, abgerufen am 28.04.2024.