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Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Drittes Vierteljahr.

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Der große Arieg
Rückblicke
von George Lleinoiv

er große Krieg! Wie viele haben diesen Krieg herbeigesehnt!
Wie viele Deutsche setzen auf ihn die größten Hoffnungen sür die
Nation, wie viele Nationen denken durch ihn heraufzukommen,
wie viele Volkskreise in den betroffenen Staaten durch ihn ihre
Lage zu verbessern! Man denke an die russische Intelligenz, an
die französischen Royalisten, an die Polen und die osteuropäischen Juden. Es
steht alles auf einer Karte.--Es ist eine furchtbare Spekulation, die in
der Luft liegt, dieser Krieg!

Für uns Deutsche hat er verheißungsvoll begonnen. Er wurde uns
aufgenötigt; und so lebt im letzten unserer Volksgenossen die Überzeugung,
daß wir für eine gerechte, große Sache zu kämpfen berufen sind, die
das blutige Kriegshandwerk heiligt--uns selbst und der Mitwelt gegen¬
über. Das ist schon ein ungeheurer Borsprung, den wir unseren an Zahl
überlegenen Gegnern voraus haben. Die Mobilmachung, die erste seit fünf-
undvierzig Jahren, wickelte sich ab, als hätte die Nation ein halbes Jahr¬
hundert nichts anderes getrieben, wie Mobilmachung geübt! keine Störung!
eigentlich kaum eine Reibung! Während die wirtschaftliche und soziale Friedens¬
verfassung des Landes vor unseren Augen zerbrach, während Stück um Stück sich
aus dem gewaltigen Friedensaufbau herauslöste und zerfiel, wuchs, anfänglich
verdeckt durch die ungeheuren Menschenstrome, die an den Mobilmachungsorten
zusammenfluteten, gegeneinander anstrebten, einander fortschwemmten und die
Luft mit Tosen erfüllten, wuchs immer gewaltiger, immer straffer die Kriegs¬
organisation empor, die mit fast spielerischer Gelassenheit die Millionen verschlang,
einkleidete, Bewaffnete ordnete, in die Riesenschachteln der Eisenbahn verstände
und an den Bestimmungsort beförderte. Vierzehn Tage nach dem ersten Mohn--
machungstage missen wir nicht was wir mehr anstaunen sollen, den neuen
Wunderbau unseres kriegerischen Aufmarsches oder die gelassene Art, wie der


Grenzboten III 1914 20


Der große Arieg
Rückblicke
von George Lleinoiv

er große Krieg! Wie viele haben diesen Krieg herbeigesehnt!
Wie viele Deutsche setzen auf ihn die größten Hoffnungen sür die
Nation, wie viele Nationen denken durch ihn heraufzukommen,
wie viele Volkskreise in den betroffenen Staaten durch ihn ihre
Lage zu verbessern! Man denke an die russische Intelligenz, an
die französischen Royalisten, an die Polen und die osteuropäischen Juden. Es
steht alles auf einer Karte.--Es ist eine furchtbare Spekulation, die in
der Luft liegt, dieser Krieg!

Für uns Deutsche hat er verheißungsvoll begonnen. Er wurde uns
aufgenötigt; und so lebt im letzten unserer Volksgenossen die Überzeugung,
daß wir für eine gerechte, große Sache zu kämpfen berufen sind, die
das blutige Kriegshandwerk heiligt--uns selbst und der Mitwelt gegen¬
über. Das ist schon ein ungeheurer Borsprung, den wir unseren an Zahl
überlegenen Gegnern voraus haben. Die Mobilmachung, die erste seit fünf-
undvierzig Jahren, wickelte sich ab, als hätte die Nation ein halbes Jahr¬
hundert nichts anderes getrieben, wie Mobilmachung geübt! keine Störung!
eigentlich kaum eine Reibung! Während die wirtschaftliche und soziale Friedens¬
verfassung des Landes vor unseren Augen zerbrach, während Stück um Stück sich
aus dem gewaltigen Friedensaufbau herauslöste und zerfiel, wuchs, anfänglich
verdeckt durch die ungeheuren Menschenstrome, die an den Mobilmachungsorten
zusammenfluteten, gegeneinander anstrebten, einander fortschwemmten und die
Luft mit Tosen erfüllten, wuchs immer gewaltiger, immer straffer die Kriegs¬
organisation empor, die mit fast spielerischer Gelassenheit die Millionen verschlang,
einkleidete, Bewaffnete ordnete, in die Riesenschachteln der Eisenbahn verstände
und an den Bestimmungsort beförderte. Vierzehn Tage nach dem ersten Mohn--
machungstage missen wir nicht was wir mehr anstaunen sollen, den neuen
Wunderbau unseres kriegerischen Aufmarsches oder die gelassene Art, wie der


Grenzboten III 1914 20
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[0301] [Abbildung] Der große Arieg Rückblicke von George Lleinoiv er große Krieg! Wie viele haben diesen Krieg herbeigesehnt! Wie viele Deutsche setzen auf ihn die größten Hoffnungen sür die Nation, wie viele Nationen denken durch ihn heraufzukommen, wie viele Volkskreise in den betroffenen Staaten durch ihn ihre Lage zu verbessern! Man denke an die russische Intelligenz, an die französischen Royalisten, an die Polen und die osteuropäischen Juden. Es steht alles auf einer Karte.--Es ist eine furchtbare Spekulation, die in der Luft liegt, dieser Krieg! Für uns Deutsche hat er verheißungsvoll begonnen. Er wurde uns aufgenötigt; und so lebt im letzten unserer Volksgenossen die Überzeugung, daß wir für eine gerechte, große Sache zu kämpfen berufen sind, die das blutige Kriegshandwerk heiligt--uns selbst und der Mitwelt gegen¬ über. Das ist schon ein ungeheurer Borsprung, den wir unseren an Zahl überlegenen Gegnern voraus haben. Die Mobilmachung, die erste seit fünf- undvierzig Jahren, wickelte sich ab, als hätte die Nation ein halbes Jahr¬ hundert nichts anderes getrieben, wie Mobilmachung geübt! keine Störung! eigentlich kaum eine Reibung! Während die wirtschaftliche und soziale Friedens¬ verfassung des Landes vor unseren Augen zerbrach, während Stück um Stück sich aus dem gewaltigen Friedensaufbau herauslöste und zerfiel, wuchs, anfänglich verdeckt durch die ungeheuren Menschenstrome, die an den Mobilmachungsorten zusammenfluteten, gegeneinander anstrebten, einander fortschwemmten und die Luft mit Tosen erfüllten, wuchs immer gewaltiger, immer straffer die Kriegs¬ organisation empor, die mit fast spielerischer Gelassenheit die Millionen verschlang, einkleidete, Bewaffnete ordnete, in die Riesenschachteln der Eisenbahn verstände und an den Bestimmungsort beförderte. Vierzehn Tage nach dem ersten Mohn-- machungstage missen wir nicht was wir mehr anstaunen sollen, den neuen Wunderbau unseres kriegerischen Aufmarsches oder die gelassene Art, wie der Grenzboten III 1914 20

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341899_328733/301>, abgerufen am 02.05.2024.