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Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Drittes Vierteljahr.

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Der große Krieg

Friedensbau in Trümmer ging. Mobilmachung und Aufmarsch sind nun be¬
endet. Trotz jenes Befehls, der unseren Truppen an der Westgrenze anfänglich verbot,
vor Montag, dem 3. August, abends 7 Uhr, die französische Grenze zu über'
schreiten, erfolgreicher, wie es die kühne Phantasie des Hoffnungsvollsten je
erwartet. Vierzehn Tage nach Ausgabe des Mobilmachungsbefehls war
unser Land schon frei vom Feinde, eine feindliche Festung in unserem
Besitz, eine Reihe kleinerer und größerer Gefechte haben mit verhältnismäßig
geringen Opfern Mobilmachung und Aufmarsch unseres westlichen Gegners
empfindlich gestört und -- was mir fast das Bedeutsamste angesichts der Welt¬
lage und der Ursache dieses Krieges scheinen will: die Welt erfährt, muß
erkennen, daß unsere Gegner sich zum wenigsten seit Ausbruch des Krieges
gegenseitig angelogen und betrogen haben. Dieser moralische Erfolg wird später,
vielleicht schon in sehr naher Zukunft ganz besonders schwer zu unseren Gunsten
ins Gewicht fallen. -- Am neunzehnten Mobilmachungstage ist auf den alten
Schlachtfeldern westlich Metz, wohin die Franzosen mit starken Kräften vor¬
gestoßen hatten, schon die erste große Schlacht geschlagen und eine der feind¬
lichen Armeen befindet sich auf fluchtartigem Rückzüge. Unsere junge Flotte
erlebt einen eigenartigen Triumph: das seegewaltige Albion wagt sie nicht an¬
zugreifen, trotz seiner Überlegenheit! Welch ein ehrenvolles Zeugnis!

Für uns Zurückgebliebene ist jetzt schwere Zeit: lahmgelegt in der Aus¬
übung des gewohnten Berufs und zum Teil zur Untätigkeit verurteilt, sind
Herzen und Gedanken bei unseren kämpfenden Brüdern, Söhnen und Freunden.
Aber wir hören zeitweilig nichts, immer nur sehr verspätet, von ihnen,
erfahren kaum, wo sich die einzelnen uns besonders nahe stehenden Männer
und Jünglinge befinden. Dem Lärm auf Straßen und Bahnhöfen des
Inlandes ist eine öde Stille gefolgt. Der strategische Aufmarsch ist seit
Sonntag dem 1(>. August beendet! Was an die Grenzen mußte, befindet sich
dort. Das Große Hauptquartier, der Kaiser mit dem Reichskanzler und
dem Minister des Äußeren haben die Hauptstadt verlassen. Berlin hat bis
auf weiteres seine ausschlaggebende Bedeutung verloren. Um so größer ist
das Leben an den Grenzen. Besonders im Westen. Dort ist der zur
Offensive erzogene Gegner bereits versammelt. Die große Schachpartie ist
gerüstet, die Figuren, stehen auf ihren Feldern. Die ersten kleinen Gefechte,
die die Absichten der Spieler verschleiern sollen, finden statt. Wie ein Nebel
schieben sich zwischen die Heere die Patrouillen und Aufllärungstruppen,
während diese die taktisch notwendigen Märsche, vorwärts, rückwärts, seit¬
wärts, hin und zurück und wieder hin ausführen. Es ist die schicksalsschwere'
Zeit der Vorbereitung zu den großen Schlachten. Die Zeit des Ansatzes zum
ganzen Feldzuge. Vorbereitende Gefechte, die auch dann keine ausschlaggebende
Bedeutung haben können, wenn sie wie jüngst bei Metz mehr als eine halbe
Million Streiter gegeneinanderstellen. Große Märsche! marschieren! marschieren!
Das ist die erste große Aufgabe für die versammelten Armeen, -- richtig


Der große Krieg

Friedensbau in Trümmer ging. Mobilmachung und Aufmarsch sind nun be¬
endet. Trotz jenes Befehls, der unseren Truppen an der Westgrenze anfänglich verbot,
vor Montag, dem 3. August, abends 7 Uhr, die französische Grenze zu über'
schreiten, erfolgreicher, wie es die kühne Phantasie des Hoffnungsvollsten je
erwartet. Vierzehn Tage nach Ausgabe des Mobilmachungsbefehls war
unser Land schon frei vom Feinde, eine feindliche Festung in unserem
Besitz, eine Reihe kleinerer und größerer Gefechte haben mit verhältnismäßig
geringen Opfern Mobilmachung und Aufmarsch unseres westlichen Gegners
empfindlich gestört und — was mir fast das Bedeutsamste angesichts der Welt¬
lage und der Ursache dieses Krieges scheinen will: die Welt erfährt, muß
erkennen, daß unsere Gegner sich zum wenigsten seit Ausbruch des Krieges
gegenseitig angelogen und betrogen haben. Dieser moralische Erfolg wird später,
vielleicht schon in sehr naher Zukunft ganz besonders schwer zu unseren Gunsten
ins Gewicht fallen. — Am neunzehnten Mobilmachungstage ist auf den alten
Schlachtfeldern westlich Metz, wohin die Franzosen mit starken Kräften vor¬
gestoßen hatten, schon die erste große Schlacht geschlagen und eine der feind¬
lichen Armeen befindet sich auf fluchtartigem Rückzüge. Unsere junge Flotte
erlebt einen eigenartigen Triumph: das seegewaltige Albion wagt sie nicht an¬
zugreifen, trotz seiner Überlegenheit! Welch ein ehrenvolles Zeugnis!

Für uns Zurückgebliebene ist jetzt schwere Zeit: lahmgelegt in der Aus¬
übung des gewohnten Berufs und zum Teil zur Untätigkeit verurteilt, sind
Herzen und Gedanken bei unseren kämpfenden Brüdern, Söhnen und Freunden.
Aber wir hören zeitweilig nichts, immer nur sehr verspätet, von ihnen,
erfahren kaum, wo sich die einzelnen uns besonders nahe stehenden Männer
und Jünglinge befinden. Dem Lärm auf Straßen und Bahnhöfen des
Inlandes ist eine öde Stille gefolgt. Der strategische Aufmarsch ist seit
Sonntag dem 1(>. August beendet! Was an die Grenzen mußte, befindet sich
dort. Das Große Hauptquartier, der Kaiser mit dem Reichskanzler und
dem Minister des Äußeren haben die Hauptstadt verlassen. Berlin hat bis
auf weiteres seine ausschlaggebende Bedeutung verloren. Um so größer ist
das Leben an den Grenzen. Besonders im Westen. Dort ist der zur
Offensive erzogene Gegner bereits versammelt. Die große Schachpartie ist
gerüstet, die Figuren, stehen auf ihren Feldern. Die ersten kleinen Gefechte,
die die Absichten der Spieler verschleiern sollen, finden statt. Wie ein Nebel
schieben sich zwischen die Heere die Patrouillen und Aufllärungstruppen,
während diese die taktisch notwendigen Märsche, vorwärts, rückwärts, seit¬
wärts, hin und zurück und wieder hin ausführen. Es ist die schicksalsschwere'
Zeit der Vorbereitung zu den großen Schlachten. Die Zeit des Ansatzes zum
ganzen Feldzuge. Vorbereitende Gefechte, die auch dann keine ausschlaggebende
Bedeutung haben können, wenn sie wie jüngst bei Metz mehr als eine halbe
Million Streiter gegeneinanderstellen. Große Märsche! marschieren! marschieren!
Das ist die erste große Aufgabe für die versammelten Armeen, — richtig


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[0302] Der große Krieg Friedensbau in Trümmer ging. Mobilmachung und Aufmarsch sind nun be¬ endet. Trotz jenes Befehls, der unseren Truppen an der Westgrenze anfänglich verbot, vor Montag, dem 3. August, abends 7 Uhr, die französische Grenze zu über' schreiten, erfolgreicher, wie es die kühne Phantasie des Hoffnungsvollsten je erwartet. Vierzehn Tage nach Ausgabe des Mobilmachungsbefehls war unser Land schon frei vom Feinde, eine feindliche Festung in unserem Besitz, eine Reihe kleinerer und größerer Gefechte haben mit verhältnismäßig geringen Opfern Mobilmachung und Aufmarsch unseres westlichen Gegners empfindlich gestört und — was mir fast das Bedeutsamste angesichts der Welt¬ lage und der Ursache dieses Krieges scheinen will: die Welt erfährt, muß erkennen, daß unsere Gegner sich zum wenigsten seit Ausbruch des Krieges gegenseitig angelogen und betrogen haben. Dieser moralische Erfolg wird später, vielleicht schon in sehr naher Zukunft ganz besonders schwer zu unseren Gunsten ins Gewicht fallen. — Am neunzehnten Mobilmachungstage ist auf den alten Schlachtfeldern westlich Metz, wohin die Franzosen mit starken Kräften vor¬ gestoßen hatten, schon die erste große Schlacht geschlagen und eine der feind¬ lichen Armeen befindet sich auf fluchtartigem Rückzüge. Unsere junge Flotte erlebt einen eigenartigen Triumph: das seegewaltige Albion wagt sie nicht an¬ zugreifen, trotz seiner Überlegenheit! Welch ein ehrenvolles Zeugnis! Für uns Zurückgebliebene ist jetzt schwere Zeit: lahmgelegt in der Aus¬ übung des gewohnten Berufs und zum Teil zur Untätigkeit verurteilt, sind Herzen und Gedanken bei unseren kämpfenden Brüdern, Söhnen und Freunden. Aber wir hören zeitweilig nichts, immer nur sehr verspätet, von ihnen, erfahren kaum, wo sich die einzelnen uns besonders nahe stehenden Männer und Jünglinge befinden. Dem Lärm auf Straßen und Bahnhöfen des Inlandes ist eine öde Stille gefolgt. Der strategische Aufmarsch ist seit Sonntag dem 1(>. August beendet! Was an die Grenzen mußte, befindet sich dort. Das Große Hauptquartier, der Kaiser mit dem Reichskanzler und dem Minister des Äußeren haben die Hauptstadt verlassen. Berlin hat bis auf weiteres seine ausschlaggebende Bedeutung verloren. Um so größer ist das Leben an den Grenzen. Besonders im Westen. Dort ist der zur Offensive erzogene Gegner bereits versammelt. Die große Schachpartie ist gerüstet, die Figuren, stehen auf ihren Feldern. Die ersten kleinen Gefechte, die die Absichten der Spieler verschleiern sollen, finden statt. Wie ein Nebel schieben sich zwischen die Heere die Patrouillen und Aufllärungstruppen, während diese die taktisch notwendigen Märsche, vorwärts, rückwärts, seit¬ wärts, hin und zurück und wieder hin ausführen. Es ist die schicksalsschwere' Zeit der Vorbereitung zu den großen Schlachten. Die Zeit des Ansatzes zum ganzen Feldzuge. Vorbereitende Gefechte, die auch dann keine ausschlaggebende Bedeutung haben können, wenn sie wie jüngst bei Metz mehr als eine halbe Million Streiter gegeneinanderstellen. Große Märsche! marschieren! marschieren! Das ist die erste große Aufgabe für die versammelten Armeen, — richtig

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341899_328733/302>, abgerufen am 18.05.2024.