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Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Erstes Vierteljahr.

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Der Urieg und die Neuphilologen
Professor Dr. Robert petsch von

n der "Hilfe" hat jüngst Dr. Hansemann bewegliche Worte über die
inneren Nöte gesprochen, in die der Lehrer des Französischen und
des Englischen an unseren höheren Schulen durch die Kriegslage
versetzt wird. Er soll durchaus in den Seelen seiner jugendlichen
Zuhörer Begeisterung oder doch warme innere Teilnahme für ein
fremdsprachliches Literaturwerk, also auch für seinen Schöpfer und weiterhin für
die Gesellschaft und das Volk erwecken, dessen Geist das Werk entsprungen ist. und
kann doch nicht leugnen und verbergen, daß er diesem Volk durch die Vorgänge
des Tages ebenso entfremdet ist, wie die Jungen und Mädchen da vor ihm. Mit
wissenschaftlicher Objektivität ist da nicht viel getan; die wird schon den berufenen
Lehrern des Fachs an unseren Hochschulen schwer genug und mancher von ihnen
seufzt am Semesteranfang, falls ihn nicht ein gütiges Schicksal in die Lage ver¬
setzt hat. mit den beklagenswerten Auswüchsen französischer und englischer Unkultur
laeues abzurechnen.

Aber schließlich muß auch der zurückbleibende Lehrer seine Pflicht tun, und
auf deutsche Art tun: nicht aus Zwang, sondern mit freudigem Herzen. Wie ist
das möglich? Zunächst einmal vielleicht nur in dem Gedanken, daß, was wir
auch tun, im Felde oder daheim, dem neuen, dem alten, dem einen Vaterlande
dient, dessen geistiger Entwicklungsgang durch den Krieg nicht unterbunden, noch
auch gewaltsam in fremde Bahnen gedrängt werden darf. Nur wenn wir uns
sagen müßten, daß der Betrieb der fremden Sprachen und Literaturen auf unseren
höheren Schulen an sich zu verwerfen sei, nur dann könnten wir jetzt die Hände
sinken lassen oder mit einer gewissen Verdrossenheit an die Arbeit gehen. Aber
so gewiß es ist, daß der Unterricht in der Muttersprache und in allem, was die
Kultur unseres eigenen Vaterlandes angeht, im Mittelpunkt des Unterrichts stehen
soll und in Zukunft, wills Gott, noch viel mehr als bisher stehen wird, so sicher
ist es, daß ein gut Teil Wissen um die höchsten geistigen Errungenschaften der jetzt
von ihren Regierungscliquen gegen uns versetzten Nachbarvölker für das tiefere
Verständnis unserer eigenen Kultur unentbehrlich ist.

Ich brauche dem Neuphilologen nicht zu sagen, wie reich unsere Literatur
wieder und wieder durch die englische und die französische befruchtet worden ist;
aber ich möchte hier auf einen wichtigen Punkt noch eigens hinweisen. Ich gehöre


10'


Der Urieg und die Neuphilologen
Professor Dr. Robert petsch von

n der „Hilfe" hat jüngst Dr. Hansemann bewegliche Worte über die
inneren Nöte gesprochen, in die der Lehrer des Französischen und
des Englischen an unseren höheren Schulen durch die Kriegslage
versetzt wird. Er soll durchaus in den Seelen seiner jugendlichen
Zuhörer Begeisterung oder doch warme innere Teilnahme für ein
fremdsprachliches Literaturwerk, also auch für seinen Schöpfer und weiterhin für
die Gesellschaft und das Volk erwecken, dessen Geist das Werk entsprungen ist. und
kann doch nicht leugnen und verbergen, daß er diesem Volk durch die Vorgänge
des Tages ebenso entfremdet ist, wie die Jungen und Mädchen da vor ihm. Mit
wissenschaftlicher Objektivität ist da nicht viel getan; die wird schon den berufenen
Lehrern des Fachs an unseren Hochschulen schwer genug und mancher von ihnen
seufzt am Semesteranfang, falls ihn nicht ein gütiges Schicksal in die Lage ver¬
setzt hat. mit den beklagenswerten Auswüchsen französischer und englischer Unkultur
laeues abzurechnen.

Aber schließlich muß auch der zurückbleibende Lehrer seine Pflicht tun, und
auf deutsche Art tun: nicht aus Zwang, sondern mit freudigem Herzen. Wie ist
das möglich? Zunächst einmal vielleicht nur in dem Gedanken, daß, was wir
auch tun, im Felde oder daheim, dem neuen, dem alten, dem einen Vaterlande
dient, dessen geistiger Entwicklungsgang durch den Krieg nicht unterbunden, noch
auch gewaltsam in fremde Bahnen gedrängt werden darf. Nur wenn wir uns
sagen müßten, daß der Betrieb der fremden Sprachen und Literaturen auf unseren
höheren Schulen an sich zu verwerfen sei, nur dann könnten wir jetzt die Hände
sinken lassen oder mit einer gewissen Verdrossenheit an die Arbeit gehen. Aber
so gewiß es ist, daß der Unterricht in der Muttersprache und in allem, was die
Kultur unseres eigenen Vaterlandes angeht, im Mittelpunkt des Unterrichts stehen
soll und in Zukunft, wills Gott, noch viel mehr als bisher stehen wird, so sicher
ist es, daß ein gut Teil Wissen um die höchsten geistigen Errungenschaften der jetzt
von ihren Regierungscliquen gegen uns versetzten Nachbarvölker für das tiefere
Verständnis unserer eigenen Kultur unentbehrlich ist.

Ich brauche dem Neuphilologen nicht zu sagen, wie reich unsere Literatur
wieder und wieder durch die englische und die französische befruchtet worden ist;
aber ich möchte hier auf einen wichtigen Punkt noch eigens hinweisen. Ich gehöre


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[0159] [Abbildung] Der Urieg und die Neuphilologen Professor Dr. Robert petsch von n der „Hilfe" hat jüngst Dr. Hansemann bewegliche Worte über die inneren Nöte gesprochen, in die der Lehrer des Französischen und des Englischen an unseren höheren Schulen durch die Kriegslage versetzt wird. Er soll durchaus in den Seelen seiner jugendlichen Zuhörer Begeisterung oder doch warme innere Teilnahme für ein fremdsprachliches Literaturwerk, also auch für seinen Schöpfer und weiterhin für die Gesellschaft und das Volk erwecken, dessen Geist das Werk entsprungen ist. und kann doch nicht leugnen und verbergen, daß er diesem Volk durch die Vorgänge des Tages ebenso entfremdet ist, wie die Jungen und Mädchen da vor ihm. Mit wissenschaftlicher Objektivität ist da nicht viel getan; die wird schon den berufenen Lehrern des Fachs an unseren Hochschulen schwer genug und mancher von ihnen seufzt am Semesteranfang, falls ihn nicht ein gütiges Schicksal in die Lage ver¬ setzt hat. mit den beklagenswerten Auswüchsen französischer und englischer Unkultur laeues abzurechnen. Aber schließlich muß auch der zurückbleibende Lehrer seine Pflicht tun, und auf deutsche Art tun: nicht aus Zwang, sondern mit freudigem Herzen. Wie ist das möglich? Zunächst einmal vielleicht nur in dem Gedanken, daß, was wir auch tun, im Felde oder daheim, dem neuen, dem alten, dem einen Vaterlande dient, dessen geistiger Entwicklungsgang durch den Krieg nicht unterbunden, noch auch gewaltsam in fremde Bahnen gedrängt werden darf. Nur wenn wir uns sagen müßten, daß der Betrieb der fremden Sprachen und Literaturen auf unseren höheren Schulen an sich zu verwerfen sei, nur dann könnten wir jetzt die Hände sinken lassen oder mit einer gewissen Verdrossenheit an die Arbeit gehen. Aber so gewiß es ist, daß der Unterricht in der Muttersprache und in allem, was die Kultur unseres eigenen Vaterlandes angeht, im Mittelpunkt des Unterrichts stehen soll und in Zukunft, wills Gott, noch viel mehr als bisher stehen wird, so sicher ist es, daß ein gut Teil Wissen um die höchsten geistigen Errungenschaften der jetzt von ihren Regierungscliquen gegen uns versetzten Nachbarvölker für das tiefere Verständnis unserer eigenen Kultur unentbehrlich ist. Ich brauche dem Neuphilologen nicht zu sagen, wie reich unsere Literatur wieder und wieder durch die englische und die französische befruchtet worden ist; aber ich möchte hier auf einen wichtigen Punkt noch eigens hinweisen. Ich gehöre 10'

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341901_323097/159>, abgerufen am 29.04.2024.