Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Erstes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Holland, der Trabant

Glauben, gleichen Institutionen für Millionen ihrer anders redenden, anders
glaubenden, anders fühlenden Untertanen: das sind ihre Ziele, die sich als
kurzsichtige Utopie herausstellen werden. Durch das Verfolgen dieser Ziele
werden nur die Gefahren heraufbeschworen, welchen man entgehen will. Die
Ostseeprovinzen gingen den Polen verloren, als diese sie polonisieren wollten;
Schweden mußte deren Besitz aufgeben, nachdem es Livland hart bedrückt und
die Rechte des Landes gebrochen hatte; Rußland folgt den Bahnen seiner Be¬
sitzvorgänger." -- So urteilte und verurteilte bereits vor dreißig Jahren
Rußlands innere Politik der Verfasser der "Bedrückung der Deutschen in den
Ostseeprovinzen" (Leipzig 188N).

(Schlich folgt)




Holland, der Trabant
Alfred Ruhcmann von

n Frankreich wächst das Mißtrauen gegen Holland zusehends.
Warum, wüßte man wahrlich nicht zu sagen, denn unserseits-
sind wir aus unserer Zurückhaltung gegenüber diesem neutralen
Staate zu keiner Stunde des gegenwärtigen Konfliktes heraus¬
getreten. Wir haben uns damit begnügt. Holland auf spätere
politische und wirtschaftliche Gefahren aufmerksam zu machen, Gefahren, die
unausbleiblich sein werden, die ihm aber durchaus nicht von deutscher Seite zu
erwachsen brauchen. Getreu unserem Grundsatze den Neutralen gegenüber,
lassen wir die Ereignisse sprechen, warten wir die Ereignisse ab. Uns kann
jeder ehrliche Freund willkommen sein, unsere nationale Würde verbietet uns
indessen, den, der durchaus nicht will, zu überzeugen, daß es besser sei, mit
uns, als gegen uns zu marschieren. Frankreich drängt aber augenscheinlich
Holland zu einer Entscheidung, zu einer Parteinahme gegen uns, auf die es,
wie vor allen England, seit Anbeginn des Krieges wartet. Es ärgert sich, daß
diese Parteinahme der Niederlande noch immer nicht erfolgen will, und
in seinem Ärger nennt es sie unsern "Trabanten", wirft es ihnen vor, sie
könnten unserer planetenhaften Anziehungskraft nicht widerstehen. Frankreich
verleumdet damit Holland und sucht über dieses Landes bisher vorwurfsfreie
Neutralität Zweifel zu erwecken. Mögen sich die Beteiligten unter sich darüber
einig werden, wie weit diese Behauptung der wirklichen Lage entspricht.

Während Frankreich einerseits über Holland aus Ärger spöttelt, macht
Holland nach wie vor in Frankreich große Anstrengungen, um die dortigen


Holland, der Trabant

Glauben, gleichen Institutionen für Millionen ihrer anders redenden, anders
glaubenden, anders fühlenden Untertanen: das sind ihre Ziele, die sich als
kurzsichtige Utopie herausstellen werden. Durch das Verfolgen dieser Ziele
werden nur die Gefahren heraufbeschworen, welchen man entgehen will. Die
Ostseeprovinzen gingen den Polen verloren, als diese sie polonisieren wollten;
Schweden mußte deren Besitz aufgeben, nachdem es Livland hart bedrückt und
die Rechte des Landes gebrochen hatte; Rußland folgt den Bahnen seiner Be¬
sitzvorgänger." — So urteilte und verurteilte bereits vor dreißig Jahren
Rußlands innere Politik der Verfasser der „Bedrückung der Deutschen in den
Ostseeprovinzen" (Leipzig 188N).

(Schlich folgt)




Holland, der Trabant
Alfred Ruhcmann von

n Frankreich wächst das Mißtrauen gegen Holland zusehends.
Warum, wüßte man wahrlich nicht zu sagen, denn unserseits-
sind wir aus unserer Zurückhaltung gegenüber diesem neutralen
Staate zu keiner Stunde des gegenwärtigen Konfliktes heraus¬
getreten. Wir haben uns damit begnügt. Holland auf spätere
politische und wirtschaftliche Gefahren aufmerksam zu machen, Gefahren, die
unausbleiblich sein werden, die ihm aber durchaus nicht von deutscher Seite zu
erwachsen brauchen. Getreu unserem Grundsatze den Neutralen gegenüber,
lassen wir die Ereignisse sprechen, warten wir die Ereignisse ab. Uns kann
jeder ehrliche Freund willkommen sein, unsere nationale Würde verbietet uns
indessen, den, der durchaus nicht will, zu überzeugen, daß es besser sei, mit
uns, als gegen uns zu marschieren. Frankreich drängt aber augenscheinlich
Holland zu einer Entscheidung, zu einer Parteinahme gegen uns, auf die es,
wie vor allen England, seit Anbeginn des Krieges wartet. Es ärgert sich, daß
diese Parteinahme der Niederlande noch immer nicht erfolgen will, und
in seinem Ärger nennt es sie unsern „Trabanten", wirft es ihnen vor, sie
könnten unserer planetenhaften Anziehungskraft nicht widerstehen. Frankreich
verleumdet damit Holland und sucht über dieses Landes bisher vorwurfsfreie
Neutralität Zweifel zu erwecken. Mögen sich die Beteiligten unter sich darüber
einig werden, wie weit diese Behauptung der wirklichen Lage entspricht.

Während Frankreich einerseits über Holland aus Ärger spöttelt, macht
Holland nach wie vor in Frankreich große Anstrengungen, um die dortigen


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0226" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/323323"/>
          <fw type="header" place="top"> Holland, der Trabant</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_717" prev="#ID_716"> Glauben, gleichen Institutionen für Millionen ihrer anders redenden, anders<lb/>
glaubenden, anders fühlenden Untertanen: das sind ihre Ziele, die sich als<lb/>
kurzsichtige Utopie herausstellen werden. Durch das Verfolgen dieser Ziele<lb/>
werden nur die Gefahren heraufbeschworen, welchen man entgehen will. Die<lb/>
Ostseeprovinzen gingen den Polen verloren, als diese sie polonisieren wollten;<lb/>
Schweden mußte deren Besitz aufgeben, nachdem es Livland hart bedrückt und<lb/>
die Rechte des Landes gebrochen hatte; Rußland folgt den Bahnen seiner Be¬<lb/>
sitzvorgänger." &#x2014; So urteilte und verurteilte bereits vor dreißig Jahren<lb/>
Rußlands innere Politik der Verfasser der &#x201E;Bedrückung der Deutschen in den<lb/>
Ostseeprovinzen" (Leipzig 188N).</p><lb/>
          <p xml:id="ID_718"> (Schlich folgt)</p><lb/>
          <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
        </div>
        <div n="1">
          <head> Holland, der Trabant<lb/><note type="byline"> Alfred Ruhcmann</note> von</head><lb/>
          <p xml:id="ID_719"> n Frankreich wächst das Mißtrauen gegen Holland zusehends.<lb/>
Warum, wüßte man wahrlich nicht zu sagen, denn unserseits-<lb/>
sind wir aus unserer Zurückhaltung gegenüber diesem neutralen<lb/>
Staate zu keiner Stunde des gegenwärtigen Konfliktes heraus¬<lb/>
getreten. Wir haben uns damit begnügt. Holland auf spätere<lb/>
politische und wirtschaftliche Gefahren aufmerksam zu machen, Gefahren, die<lb/>
unausbleiblich sein werden, die ihm aber durchaus nicht von deutscher Seite zu<lb/>
erwachsen brauchen. Getreu unserem Grundsatze den Neutralen gegenüber,<lb/>
lassen wir die Ereignisse sprechen, warten wir die Ereignisse ab. Uns kann<lb/>
jeder ehrliche Freund willkommen sein, unsere nationale Würde verbietet uns<lb/>
indessen, den, der durchaus nicht will, zu überzeugen, daß es besser sei, mit<lb/>
uns, als gegen uns zu marschieren. Frankreich drängt aber augenscheinlich<lb/>
Holland zu einer Entscheidung, zu einer Parteinahme gegen uns, auf die es,<lb/>
wie vor allen England, seit Anbeginn des Krieges wartet. Es ärgert sich, daß<lb/>
diese Parteinahme der Niederlande noch immer nicht erfolgen will, und<lb/>
in seinem Ärger nennt es sie unsern &#x201E;Trabanten", wirft es ihnen vor, sie<lb/>
könnten unserer planetenhaften Anziehungskraft nicht widerstehen. Frankreich<lb/>
verleumdet damit Holland und sucht über dieses Landes bisher vorwurfsfreie<lb/>
Neutralität Zweifel zu erwecken. Mögen sich die Beteiligten unter sich darüber<lb/>
einig werden, wie weit diese Behauptung der wirklichen Lage entspricht.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_720" next="#ID_721"> Während Frankreich einerseits über Holland aus Ärger spöttelt, macht<lb/>
Holland nach wie vor in Frankreich große Anstrengungen, um die dortigen</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0226] Holland, der Trabant Glauben, gleichen Institutionen für Millionen ihrer anders redenden, anders glaubenden, anders fühlenden Untertanen: das sind ihre Ziele, die sich als kurzsichtige Utopie herausstellen werden. Durch das Verfolgen dieser Ziele werden nur die Gefahren heraufbeschworen, welchen man entgehen will. Die Ostseeprovinzen gingen den Polen verloren, als diese sie polonisieren wollten; Schweden mußte deren Besitz aufgeben, nachdem es Livland hart bedrückt und die Rechte des Landes gebrochen hatte; Rußland folgt den Bahnen seiner Be¬ sitzvorgänger." — So urteilte und verurteilte bereits vor dreißig Jahren Rußlands innere Politik der Verfasser der „Bedrückung der Deutschen in den Ostseeprovinzen" (Leipzig 188N). (Schlich folgt) Holland, der Trabant Alfred Ruhcmann von n Frankreich wächst das Mißtrauen gegen Holland zusehends. Warum, wüßte man wahrlich nicht zu sagen, denn unserseits- sind wir aus unserer Zurückhaltung gegenüber diesem neutralen Staate zu keiner Stunde des gegenwärtigen Konfliktes heraus¬ getreten. Wir haben uns damit begnügt. Holland auf spätere politische und wirtschaftliche Gefahren aufmerksam zu machen, Gefahren, die unausbleiblich sein werden, die ihm aber durchaus nicht von deutscher Seite zu erwachsen brauchen. Getreu unserem Grundsatze den Neutralen gegenüber, lassen wir die Ereignisse sprechen, warten wir die Ereignisse ab. Uns kann jeder ehrliche Freund willkommen sein, unsere nationale Würde verbietet uns indessen, den, der durchaus nicht will, zu überzeugen, daß es besser sei, mit uns, als gegen uns zu marschieren. Frankreich drängt aber augenscheinlich Holland zu einer Entscheidung, zu einer Parteinahme gegen uns, auf die es, wie vor allen England, seit Anbeginn des Krieges wartet. Es ärgert sich, daß diese Parteinahme der Niederlande noch immer nicht erfolgen will, und in seinem Ärger nennt es sie unsern „Trabanten", wirft es ihnen vor, sie könnten unserer planetenhaften Anziehungskraft nicht widerstehen. Frankreich verleumdet damit Holland und sucht über dieses Landes bisher vorwurfsfreie Neutralität Zweifel zu erwecken. Mögen sich die Beteiligten unter sich darüber einig werden, wie weit diese Behauptung der wirklichen Lage entspricht. Während Frankreich einerseits über Holland aus Ärger spöttelt, macht Holland nach wie vor in Frankreich große Anstrengungen, um die dortigen

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341901_323097
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341901_323097/226
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341901_323097/226>, abgerufen am 28.04.2024.