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Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Erstes Vierteljahr.

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Lin "Europäischer Staatenbund"?

daß die Regierung es einsieht, daß "es für den Überschuß an Tatkraft, welche
sich in Italien Raum zu schaffen sucht, dringendere, würdigere und schwerere
Aufgaben gibt und zwar innerhalb der Grenzen des Königreiches selbst, daß
die wahre .Italia irredenta' nicht in Südtirol und Jstrien, sondern direkt um
Rom in der Campagna liegt, und überall da, wo die Malaria ihr Todespanier
aufpflanzt, daß das leidende Italien nicht durch Zeitungsartikel und Parlaments¬
reden von dem Joche zu erlösen sei, das auf ihm lastet, sondern durch die
Spitzhacke und die Schaufel des Drainierungsarbeiters, nicht durch wüste und
lärmende Volksbewegungen, sondern durch zähe, anhaltende und mühevolle
Bodenverbesserung," daß sie es einsieht, !daß nicht Jstrien und Trient erlöst zu
werden brauchen, sondern das Land, das schon einmal der große Scipio der
ewigen Rom" erobert hat, daß die "Italia irredenta" da liegt, wo einst die weiß
schimmernden Tempel, die grünen Haine, die blühenden Wiesen, die ragenden
Städte und die marmornen Säulen der Römer Nordafrikas der Welt verkündeten,
was römische Kultur, römische Kunst und römischer Fleiß der Menschheit
geschenkt hat.




Gin "Europäischer Staatenbund"?
Offener Brief an Professor Heyinans in Groningen

orbemerkung: Der Schreiber des nachfolgenden Briefes erhielt
vor einigen Tagen von Herrn Professor Heymans in Groningen
eine von ihm verfaßte Schrift "An die Bürger der kriegführenden
Staaten" zugesandt, die von dem Komitee "Der Europäische
Staatenbund" herausgegeben ist. Die Schrift betont zunächst,
daß die Neutralen den Vorzug haben, die von beiden kriegführenden Parteien
angeführten Gründe vernehmen und wirklich unparteiisch würdigen zu können.
Die Ursache kriegerischer Auseinandersetzungen erblickt sie im gegenseitigen
Mißtrauen, da ein vermeintlicher Widerstreit der Interessen verschiedener
Staaten fast immer gegenseitiges Mißtrauen zur Voraussetzung habe: "Der
Friede, der von keinem Kriege mehr unterbrochen wird, wird kommen, sobald
das gegenseitige Mißtrauen der Staaten aufgehoben sein wird." Die Erfahrung
lehrt, "daß keine ernstlichen Interessenkonflikte mehr vorkommen, sobald ver¬
schiedene Staaten sich zu einer Rechtsgemeinschaft verbunden haben, welche
gegenseitige Angriffe ausschließt und die innerhalb jedes Staates den Bürgern
der anderen Staaten zustehenden Rechte bestimmt." Me Schrift schließt mit
folgendem Aufruf:


Lin „Europäischer Staatenbund"?

daß die Regierung es einsieht, daß „es für den Überschuß an Tatkraft, welche
sich in Italien Raum zu schaffen sucht, dringendere, würdigere und schwerere
Aufgaben gibt und zwar innerhalb der Grenzen des Königreiches selbst, daß
die wahre .Italia irredenta' nicht in Südtirol und Jstrien, sondern direkt um
Rom in der Campagna liegt, und überall da, wo die Malaria ihr Todespanier
aufpflanzt, daß das leidende Italien nicht durch Zeitungsartikel und Parlaments¬
reden von dem Joche zu erlösen sei, das auf ihm lastet, sondern durch die
Spitzhacke und die Schaufel des Drainierungsarbeiters, nicht durch wüste und
lärmende Volksbewegungen, sondern durch zähe, anhaltende und mühevolle
Bodenverbesserung," daß sie es einsieht, !daß nicht Jstrien und Trient erlöst zu
werden brauchen, sondern das Land, das schon einmal der große Scipio der
ewigen Rom« erobert hat, daß die „Italia irredenta" da liegt, wo einst die weiß
schimmernden Tempel, die grünen Haine, die blühenden Wiesen, die ragenden
Städte und die marmornen Säulen der Römer Nordafrikas der Welt verkündeten,
was römische Kultur, römische Kunst und römischer Fleiß der Menschheit
geschenkt hat.




Gin „Europäischer Staatenbund"?
Offener Brief an Professor Heyinans in Groningen

orbemerkung: Der Schreiber des nachfolgenden Briefes erhielt
vor einigen Tagen von Herrn Professor Heymans in Groningen
eine von ihm verfaßte Schrift „An die Bürger der kriegführenden
Staaten" zugesandt, die von dem Komitee „Der Europäische
Staatenbund" herausgegeben ist. Die Schrift betont zunächst,
daß die Neutralen den Vorzug haben, die von beiden kriegführenden Parteien
angeführten Gründe vernehmen und wirklich unparteiisch würdigen zu können.
Die Ursache kriegerischer Auseinandersetzungen erblickt sie im gegenseitigen
Mißtrauen, da ein vermeintlicher Widerstreit der Interessen verschiedener
Staaten fast immer gegenseitiges Mißtrauen zur Voraussetzung habe: „Der
Friede, der von keinem Kriege mehr unterbrochen wird, wird kommen, sobald
das gegenseitige Mißtrauen der Staaten aufgehoben sein wird." Die Erfahrung
lehrt, „daß keine ernstlichen Interessenkonflikte mehr vorkommen, sobald ver¬
schiedene Staaten sich zu einer Rechtsgemeinschaft verbunden haben, welche
gegenseitige Angriffe ausschließt und die innerhalb jedes Staates den Bürgern
der anderen Staaten zustehenden Rechte bestimmt." Me Schrift schließt mit
folgendem Aufruf:


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[0277] Lin „Europäischer Staatenbund"? daß die Regierung es einsieht, daß „es für den Überschuß an Tatkraft, welche sich in Italien Raum zu schaffen sucht, dringendere, würdigere und schwerere Aufgaben gibt und zwar innerhalb der Grenzen des Königreiches selbst, daß die wahre .Italia irredenta' nicht in Südtirol und Jstrien, sondern direkt um Rom in der Campagna liegt, und überall da, wo die Malaria ihr Todespanier aufpflanzt, daß das leidende Italien nicht durch Zeitungsartikel und Parlaments¬ reden von dem Joche zu erlösen sei, das auf ihm lastet, sondern durch die Spitzhacke und die Schaufel des Drainierungsarbeiters, nicht durch wüste und lärmende Volksbewegungen, sondern durch zähe, anhaltende und mühevolle Bodenverbesserung," daß sie es einsieht, !daß nicht Jstrien und Trient erlöst zu werden brauchen, sondern das Land, das schon einmal der große Scipio der ewigen Rom« erobert hat, daß die „Italia irredenta" da liegt, wo einst die weiß schimmernden Tempel, die grünen Haine, die blühenden Wiesen, die ragenden Städte und die marmornen Säulen der Römer Nordafrikas der Welt verkündeten, was römische Kultur, römische Kunst und römischer Fleiß der Menschheit geschenkt hat. Gin „Europäischer Staatenbund"? Offener Brief an Professor Heyinans in Groningen orbemerkung: Der Schreiber des nachfolgenden Briefes erhielt vor einigen Tagen von Herrn Professor Heymans in Groningen eine von ihm verfaßte Schrift „An die Bürger der kriegführenden Staaten" zugesandt, die von dem Komitee „Der Europäische Staatenbund" herausgegeben ist. Die Schrift betont zunächst, daß die Neutralen den Vorzug haben, die von beiden kriegführenden Parteien angeführten Gründe vernehmen und wirklich unparteiisch würdigen zu können. Die Ursache kriegerischer Auseinandersetzungen erblickt sie im gegenseitigen Mißtrauen, da ein vermeintlicher Widerstreit der Interessen verschiedener Staaten fast immer gegenseitiges Mißtrauen zur Voraussetzung habe: „Der Friede, der von keinem Kriege mehr unterbrochen wird, wird kommen, sobald das gegenseitige Mißtrauen der Staaten aufgehoben sein wird." Die Erfahrung lehrt, „daß keine ernstlichen Interessenkonflikte mehr vorkommen, sobald ver¬ schiedene Staaten sich zu einer Rechtsgemeinschaft verbunden haben, welche gegenseitige Angriffe ausschließt und die innerhalb jedes Staates den Bürgern der anderen Staaten zustehenden Rechte bestimmt." Me Schrift schließt mit folgendem Aufruf:

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341901_323097/277>, abgerufen am 28.04.2024.