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Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Erstes Vierteljahr.

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Der Haß und das Wesen des Deutschen
Friedrich Furie von

s ist doch eine auffallende Erscheinung, daß sich im gegenwärtigen
Kriege unsere Gefühle weitaus mehr gegen den Briten richten
als gegen unseren alten Erbfeind im Westen und unseren
slawischen Nachbar im Osten. Denn die von England gegen
uns angewandte Kriegführung wird man als eine ausreichende
Erklärung dafür nicht ansehen können, da die Kriegführung Frankreichs -- von
der Rußlands gar nicht zu reden -- in keinem Sinne als humaner bezeichnet
werden darf. Vielmehr unterscheidet sich jene im Grunde nur der Art nach
von der der beiden anderen Gegner, und man darf selbstverständlich davon
überzeugt sein, daß beide, wenn sie nur eben die Möglichkeit dazu besäßen,
genau ebenso gegen uns verfahren würden wie England. So werden wir den
Grund für jene Erscheinung in der Hauptsache darin zu suchen haben, daß wir
uns an das Vorhandensein sowohl der französischen Rachegelüste, als auch der
Pläne des Panslawismus oder meinetwegen des Zarismus längst gewöhnt
hatten, und daß damit sogar die Gefühle, die uns von Väter- und Urväterzeit
her besonders gegen den allzeit raublustigen westlichen Nachbarn bewegten, viel
von ihrer ursprünglichen Frische verloren haben. Es ist eine allgemeine psycho¬
logische Erfahrung, die damit wieder bestätigt wird, nämlich die, daß bei
öfterer Wiederholung desselben Inhalts das mit diesem verbundene Gefühl
nach und nach schwächer wird, bis es endlich bis zu einem gewissen Grade
abstumpft. An die Stelle der Gefühle war mit der Gewöhnung kühle
Berechnung getreten, die besser noch als jene zur steten Bereitschaft führte.

Nun bestand zwar seit langem auch gegenüber unserem Vetter über dem
Kanal einiges Mißtrauen, aber das war auf unserer Seite doch nur ein
solches, wie es etwa zwischen zwei Brüdern herrscht, die im gleichen Stadtviertel
das gleiche Geschäft betreiben. An einen wirklichen offenen Bruch wollte
niemand glauben. Wozu denn auch sonst die so häufig in Szene gesetzten Ver¬
brüderungsfeste, die von uns in gutmütigen Glauben gefeiert wurden I Da
trat plötzlich der im geheimen längst vorbereitete Verrat zutage, und nun
ging es wie eine Woge des Hasses durch die Schichten unseres Volkes. Und
dies Gefühl ist inzwischen eher gewachsen als schwächer geworden. Aber ist es




Der Haß und das Wesen des Deutschen
Friedrich Furie von

s ist doch eine auffallende Erscheinung, daß sich im gegenwärtigen
Kriege unsere Gefühle weitaus mehr gegen den Briten richten
als gegen unseren alten Erbfeind im Westen und unseren
slawischen Nachbar im Osten. Denn die von England gegen
uns angewandte Kriegführung wird man als eine ausreichende
Erklärung dafür nicht ansehen können, da die Kriegführung Frankreichs — von
der Rußlands gar nicht zu reden — in keinem Sinne als humaner bezeichnet
werden darf. Vielmehr unterscheidet sich jene im Grunde nur der Art nach
von der der beiden anderen Gegner, und man darf selbstverständlich davon
überzeugt sein, daß beide, wenn sie nur eben die Möglichkeit dazu besäßen,
genau ebenso gegen uns verfahren würden wie England. So werden wir den
Grund für jene Erscheinung in der Hauptsache darin zu suchen haben, daß wir
uns an das Vorhandensein sowohl der französischen Rachegelüste, als auch der
Pläne des Panslawismus oder meinetwegen des Zarismus längst gewöhnt
hatten, und daß damit sogar die Gefühle, die uns von Väter- und Urväterzeit
her besonders gegen den allzeit raublustigen westlichen Nachbarn bewegten, viel
von ihrer ursprünglichen Frische verloren haben. Es ist eine allgemeine psycho¬
logische Erfahrung, die damit wieder bestätigt wird, nämlich die, daß bei
öfterer Wiederholung desselben Inhalts das mit diesem verbundene Gefühl
nach und nach schwächer wird, bis es endlich bis zu einem gewissen Grade
abstumpft. An die Stelle der Gefühle war mit der Gewöhnung kühle
Berechnung getreten, die besser noch als jene zur steten Bereitschaft führte.

Nun bestand zwar seit langem auch gegenüber unserem Vetter über dem
Kanal einiges Mißtrauen, aber das war auf unserer Seite doch nur ein
solches, wie es etwa zwischen zwei Brüdern herrscht, die im gleichen Stadtviertel
das gleiche Geschäft betreiben. An einen wirklichen offenen Bruch wollte
niemand glauben. Wozu denn auch sonst die so häufig in Szene gesetzten Ver¬
brüderungsfeste, die von uns in gutmütigen Glauben gefeiert wurden I Da
trat plötzlich der im geheimen längst vorbereitete Verrat zutage, und nun
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dies Gefühl ist inzwischen eher gewachsen als schwächer geworden. Aber ist es


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[0352] [Abbildung] Der Haß und das Wesen des Deutschen Friedrich Furie von s ist doch eine auffallende Erscheinung, daß sich im gegenwärtigen Kriege unsere Gefühle weitaus mehr gegen den Briten richten als gegen unseren alten Erbfeind im Westen und unseren slawischen Nachbar im Osten. Denn die von England gegen uns angewandte Kriegführung wird man als eine ausreichende Erklärung dafür nicht ansehen können, da die Kriegführung Frankreichs — von der Rußlands gar nicht zu reden — in keinem Sinne als humaner bezeichnet werden darf. Vielmehr unterscheidet sich jene im Grunde nur der Art nach von der der beiden anderen Gegner, und man darf selbstverständlich davon überzeugt sein, daß beide, wenn sie nur eben die Möglichkeit dazu besäßen, genau ebenso gegen uns verfahren würden wie England. So werden wir den Grund für jene Erscheinung in der Hauptsache darin zu suchen haben, daß wir uns an das Vorhandensein sowohl der französischen Rachegelüste, als auch der Pläne des Panslawismus oder meinetwegen des Zarismus längst gewöhnt hatten, und daß damit sogar die Gefühle, die uns von Väter- und Urväterzeit her besonders gegen den allzeit raublustigen westlichen Nachbarn bewegten, viel von ihrer ursprünglichen Frische verloren haben. Es ist eine allgemeine psycho¬ logische Erfahrung, die damit wieder bestätigt wird, nämlich die, daß bei öfterer Wiederholung desselben Inhalts das mit diesem verbundene Gefühl nach und nach schwächer wird, bis es endlich bis zu einem gewissen Grade abstumpft. An die Stelle der Gefühle war mit der Gewöhnung kühle Berechnung getreten, die besser noch als jene zur steten Bereitschaft führte. Nun bestand zwar seit langem auch gegenüber unserem Vetter über dem Kanal einiges Mißtrauen, aber das war auf unserer Seite doch nur ein solches, wie es etwa zwischen zwei Brüdern herrscht, die im gleichen Stadtviertel das gleiche Geschäft betreiben. An einen wirklichen offenen Bruch wollte niemand glauben. Wozu denn auch sonst die so häufig in Szene gesetzten Ver¬ brüderungsfeste, die von uns in gutmütigen Glauben gefeiert wurden I Da trat plötzlich der im geheimen längst vorbereitete Verrat zutage, und nun ging es wie eine Woge des Hasses durch die Schichten unseres Volkes. Und dies Gefühl ist inzwischen eher gewachsen als schwächer geworden. Aber ist es

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341901_323097/352>, abgerufen am 28.04.2024.