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Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Erstes Vierteljahr.

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Das große Wecken
Oswald Meyer von (Schluß)
4.

Schweigend, ohne Lied und Scherz, geht der Marsch, nach Osten, dem
Morgen entgegen. Aber kein zartes Morgenrot jubelt weckend über die Erde,
kein Sonnenstrahl bricht sieghaft durch das schwelende Schwarz, das den Morgen
verhüllt.

Vorwärts, vorwärts in der klaren Morgenkühle. Scharf und beißend
steigt ihnen die Luft entgegen. Und bald sind sie einem Dorfe nah.

Wie ein böser Geist liegt schwelender Qualm darüber. Pestgeruch zieht
weithin wie eine wehrende Mauer: verbranntes Vieh liegt zu Häuf. Nackt
und trostlos starren Pfosten und Sparren in den Himmel: der Häuser Rippen,
abgenagt vom fressenden Brand. Schutt und Trümmer sperren die Straßen.
Quer über den Weg liegt, als sei er als Wächter gefällt, ein Bauer -- zur
Unkenntlichkeit zerfetzt von Hieb und Stich das graubärtige Gesicht.

Weiter über die Dorfstraße. Kein Haus, das unversehrt. Hodl starrt
aus eingeschlagenen Fenstern, toten Augen gleich. Elend und Not. Tiefe
Wunden sind den Mauern geschlagen, ihre Wehr ist zerborsten -- Wind und
Regen und alles Getier findet Einlaß über die Schwelle. Des Herdes Heilig¬
keit ist zerstört. Hausrat und fromme Erinnerung ist auf die Straße gezerrt.

Drohend winken und nicken die Lanzenspitzen durch das Dorf.

Am Weiher liegt es zu Häuf -- was ist es? Warum steht der Pfarrer
dort aufrecht am Baum? Warum kommt er nicht herbei und gibt Auskunft
über das grausige Geschick des Dorfes, über das grausige Durcheinander dort
am blutgefärbten Dorfteich?

Seht ihr nicht? Er ist an die Linde gebunden! Und warum schweigt er
auf unseren Ruf. Seht ihr nicht sein bleiches Gesicht, nicht den eingetrockneten
blutigen Quell aus seinem Mund? Sein Wort mag den Mordbrennern Gottes
Strafe verkündet haben -- sein dräuendes Zorneswort -- da haben sie ihn
zum Schweigen gebracht.

Was winkt dort aus den Lindenästen -- eine Hand -- eine weiße Kinder¬
hand --wo ist der Körper, dem die weiche Hand fehlt?

Sie steigen ab, die braven Reiter. Totengräberdienste tun sie. Sie wissen nicht,
ob sie die Mutter zum Kinde legen. Ob das abgeschlagene Haupt zum Körper
gehört--sie wissen nur: nicht ein Mann ist unter den Toten -- außer
dem Pfarrer. An den Wehrlosen haben sich die Barbaren vergriffen.




Das große Wecken
Oswald Meyer von (Schluß)
4.

Schweigend, ohne Lied und Scherz, geht der Marsch, nach Osten, dem
Morgen entgegen. Aber kein zartes Morgenrot jubelt weckend über die Erde,
kein Sonnenstrahl bricht sieghaft durch das schwelende Schwarz, das den Morgen
verhüllt.

Vorwärts, vorwärts in der klaren Morgenkühle. Scharf und beißend
steigt ihnen die Luft entgegen. Und bald sind sie einem Dorfe nah.

Wie ein böser Geist liegt schwelender Qualm darüber. Pestgeruch zieht
weithin wie eine wehrende Mauer: verbranntes Vieh liegt zu Häuf. Nackt
und trostlos starren Pfosten und Sparren in den Himmel: der Häuser Rippen,
abgenagt vom fressenden Brand. Schutt und Trümmer sperren die Straßen.
Quer über den Weg liegt, als sei er als Wächter gefällt, ein Bauer — zur
Unkenntlichkeit zerfetzt von Hieb und Stich das graubärtige Gesicht.

Weiter über die Dorfstraße. Kein Haus, das unversehrt. Hodl starrt
aus eingeschlagenen Fenstern, toten Augen gleich. Elend und Not. Tiefe
Wunden sind den Mauern geschlagen, ihre Wehr ist zerborsten — Wind und
Regen und alles Getier findet Einlaß über die Schwelle. Des Herdes Heilig¬
keit ist zerstört. Hausrat und fromme Erinnerung ist auf die Straße gezerrt.

Drohend winken und nicken die Lanzenspitzen durch das Dorf.

Am Weiher liegt es zu Häuf — was ist es? Warum steht der Pfarrer
dort aufrecht am Baum? Warum kommt er nicht herbei und gibt Auskunft
über das grausige Geschick des Dorfes, über das grausige Durcheinander dort
am blutgefärbten Dorfteich?

Seht ihr nicht? Er ist an die Linde gebunden! Und warum schweigt er
auf unseren Ruf. Seht ihr nicht sein bleiches Gesicht, nicht den eingetrockneten
blutigen Quell aus seinem Mund? Sein Wort mag den Mordbrennern Gottes
Strafe verkündet haben — sein dräuendes Zorneswort — da haben sie ihn
zum Schweigen gebracht.

Was winkt dort aus den Lindenästen — eine Hand — eine weiße Kinder¬
hand --wo ist der Körper, dem die weiche Hand fehlt?

Sie steigen ab, die braven Reiter. Totengräberdienste tun sie. Sie wissen nicht,
ob sie die Mutter zum Kinde legen. Ob das abgeschlagene Haupt zum Körper
gehört--sie wissen nur: nicht ein Mann ist unter den Toten — außer
dem Pfarrer. An den Wehrlosen haben sich die Barbaren vergriffen.


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[0384] [Abbildung] Das große Wecken Oswald Meyer von (Schluß) 4. Schweigend, ohne Lied und Scherz, geht der Marsch, nach Osten, dem Morgen entgegen. Aber kein zartes Morgenrot jubelt weckend über die Erde, kein Sonnenstrahl bricht sieghaft durch das schwelende Schwarz, das den Morgen verhüllt. Vorwärts, vorwärts in der klaren Morgenkühle. Scharf und beißend steigt ihnen die Luft entgegen. Und bald sind sie einem Dorfe nah. Wie ein böser Geist liegt schwelender Qualm darüber. Pestgeruch zieht weithin wie eine wehrende Mauer: verbranntes Vieh liegt zu Häuf. Nackt und trostlos starren Pfosten und Sparren in den Himmel: der Häuser Rippen, abgenagt vom fressenden Brand. Schutt und Trümmer sperren die Straßen. Quer über den Weg liegt, als sei er als Wächter gefällt, ein Bauer — zur Unkenntlichkeit zerfetzt von Hieb und Stich das graubärtige Gesicht. Weiter über die Dorfstraße. Kein Haus, das unversehrt. Hodl starrt aus eingeschlagenen Fenstern, toten Augen gleich. Elend und Not. Tiefe Wunden sind den Mauern geschlagen, ihre Wehr ist zerborsten — Wind und Regen und alles Getier findet Einlaß über die Schwelle. Des Herdes Heilig¬ keit ist zerstört. Hausrat und fromme Erinnerung ist auf die Straße gezerrt. Drohend winken und nicken die Lanzenspitzen durch das Dorf. Am Weiher liegt es zu Häuf — was ist es? Warum steht der Pfarrer dort aufrecht am Baum? Warum kommt er nicht herbei und gibt Auskunft über das grausige Geschick des Dorfes, über das grausige Durcheinander dort am blutgefärbten Dorfteich? Seht ihr nicht? Er ist an die Linde gebunden! Und warum schweigt er auf unseren Ruf. Seht ihr nicht sein bleiches Gesicht, nicht den eingetrockneten blutigen Quell aus seinem Mund? Sein Wort mag den Mordbrennern Gottes Strafe verkündet haben — sein dräuendes Zorneswort — da haben sie ihn zum Schweigen gebracht. Was winkt dort aus den Lindenästen — eine Hand — eine weiße Kinder¬ hand --wo ist der Körper, dem die weiche Hand fehlt? Sie steigen ab, die braven Reiter. Totengräberdienste tun sie. Sie wissen nicht, ob sie die Mutter zum Kinde legen. Ob das abgeschlagene Haupt zum Körper gehört--sie wissen nur: nicht ein Mann ist unter den Toten — außer dem Pfarrer. An den Wehrlosen haben sich die Barbaren vergriffen.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341901_323097/384>, abgerufen am 29.04.2024.