Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Erstes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite


Zur Genesis des Weltkrieges
Dr. Jan Gyssen von

Dieser Aufsatz untersucht in der Hauptsache ebenso wie der des Herrn
Professor Gerloff in Ur. 2 der Grenzboten d. I. den deutsch-englischen
Gegensatz. Dabei gelangt der Verfasser sowohl was Ursprung als auch
Auswirkungen des Gegensatzes anlangt, zu anderen Ergebnissen als
Herr Professor Gerloff. Und diese erscheinen uns wichtig genug um
,
Die Schriftleitung die Ausführungen zu bringen.

angst ist es ein Gemeinplatz, die panbritische Politik als folge¬
richtiges Niederwerfen der jeweils stärksten Macht zu kennzeichnen.
Wir wissen, daß Spanien, Holland und Frankreich nacheinander
die Segel streichen mrchten; wir wissen auch, daß England sein
gewaltiges Kolonialreich zum Teil aus den Trümmern des über¬
seeischen Besitzes des jeweils niedergerungenen Gegners baute. Weniger ist bekannt,
daß Englands Reichtum und Weltherrschaft sich ursprünglich auf den durchaus
kontinental gerichteten Stockfischhandel gründeten. Nicht Kaufleute und For¬
schungsreisende waren es, die England das hohe Meer in Sehweite rückten,
sondern Fischer. Vor fünfhundert Jahren war Bristol der englische Haupt-
markt, von dem aus ganz Südeuropa mit getrockneten Fischen versorgt wurde.
Unter der Führung eingewanderter Südeuropäer unternahmen englische Fischer
die ersten Vorstöße nach der atlantischen Küste. Und mit diesen Vorstoßen
beginnt die Geschichte des britischen Kolonialreiches. Eine Geschichte, deren
Blätter von kaltherziger Grausamkeit und Gewinnsucht triefen; eine Geschichte,
die uns in der panbritischen Heldengalerie die Clive und Warren Hastings an
erster Stelle zeigt. Und diese indischen Eroberer ernteten Ruhm und Reichtum
just in den Jahrzehnten, da unermündlich englische Schiffe die Sklavenzufuhr
von Afrika nach Amerika besorgten. Das Geschäft war so lohnend, daß
der spanische und französische Wettbewerb die Gewinnrate verdarb, wes¬
halb dann England sich automatisch neu orientierte und zu Beginn


Grenzboten I L


Zur Genesis des Weltkrieges
Dr. Jan Gyssen von

Dieser Aufsatz untersucht in der Hauptsache ebenso wie der des Herrn
Professor Gerloff in Ur. 2 der Grenzboten d. I. den deutsch-englischen
Gegensatz. Dabei gelangt der Verfasser sowohl was Ursprung als auch
Auswirkungen des Gegensatzes anlangt, zu anderen Ergebnissen als
Herr Professor Gerloff. Und diese erscheinen uns wichtig genug um
,
Die Schriftleitung die Ausführungen zu bringen.

angst ist es ein Gemeinplatz, die panbritische Politik als folge¬
richtiges Niederwerfen der jeweils stärksten Macht zu kennzeichnen.
Wir wissen, daß Spanien, Holland und Frankreich nacheinander
die Segel streichen mrchten; wir wissen auch, daß England sein
gewaltiges Kolonialreich zum Teil aus den Trümmern des über¬
seeischen Besitzes des jeweils niedergerungenen Gegners baute. Weniger ist bekannt,
daß Englands Reichtum und Weltherrschaft sich ursprünglich auf den durchaus
kontinental gerichteten Stockfischhandel gründeten. Nicht Kaufleute und For¬
schungsreisende waren es, die England das hohe Meer in Sehweite rückten,
sondern Fischer. Vor fünfhundert Jahren war Bristol der englische Haupt-
markt, von dem aus ganz Südeuropa mit getrockneten Fischen versorgt wurde.
Unter der Führung eingewanderter Südeuropäer unternahmen englische Fischer
die ersten Vorstöße nach der atlantischen Küste. Und mit diesen Vorstoßen
beginnt die Geschichte des britischen Kolonialreiches. Eine Geschichte, deren
Blätter von kaltherziger Grausamkeit und Gewinnsucht triefen; eine Geschichte,
die uns in der panbritischen Heldengalerie die Clive und Warren Hastings an
erster Stelle zeigt. Und diese indischen Eroberer ernteten Ruhm und Reichtum
just in den Jahrzehnten, da unermündlich englische Schiffe die Sklavenzufuhr
von Afrika nach Amerika besorgten. Das Geschäft war so lohnend, daß
der spanische und französische Wettbewerb die Gewinnrate verdarb, wes¬
halb dann England sich automatisch neu orientierte und zu Beginn


Grenzboten I L
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0077" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/323175"/>
          <figure facs="http://media.dwds.de/dta/images/grenzboten_341901_323097/figures/grenzboten_341901_323097_323175_000.jpg"/><lb/>
        </div>
        <div n="1">
          <head> Zur Genesis des Weltkrieges<lb/><note type="byline"> Dr. Jan Gyssen</note> von</head><lb/>
          <note type="argument"> Dieser Aufsatz untersucht in der Hauptsache ebenso wie der des Herrn<lb/>
Professor Gerloff in Ur. 2 der Grenzboten d. I. den deutsch-englischen<lb/>
Gegensatz. Dabei gelangt der Verfasser sowohl was Ursprung als auch<lb/>
Auswirkungen des Gegensatzes anlangt, zu anderen Ergebnissen als<lb/>
Herr Professor Gerloff. Und diese erscheinen uns wichtig genug um<lb/><note type="byline"> ,<lb/>
Die Schriftleitung</note> die Ausführungen zu bringen. </note><lb/>
          <p xml:id="ID_154" next="#ID_155"> angst ist es ein Gemeinplatz, die panbritische Politik als folge¬<lb/>
richtiges Niederwerfen der jeweils stärksten Macht zu kennzeichnen.<lb/>
Wir wissen, daß Spanien, Holland und Frankreich nacheinander<lb/>
die Segel streichen mrchten; wir wissen auch, daß England sein<lb/>
gewaltiges Kolonialreich zum Teil aus den Trümmern des über¬<lb/>
seeischen Besitzes des jeweils niedergerungenen Gegners baute. Weniger ist bekannt,<lb/>
daß Englands Reichtum und Weltherrschaft sich ursprünglich auf den durchaus<lb/>
kontinental gerichteten Stockfischhandel gründeten.  Nicht Kaufleute und For¬<lb/>
schungsreisende waren es, die England das hohe Meer in Sehweite rückten,<lb/>
sondern Fischer.  Vor fünfhundert Jahren war Bristol der englische Haupt-<lb/>
markt, von dem aus ganz Südeuropa mit getrockneten Fischen versorgt wurde.<lb/>
Unter der Führung eingewanderter Südeuropäer unternahmen englische Fischer<lb/>
die ersten Vorstöße nach der atlantischen Küste.  Und mit diesen Vorstoßen<lb/>
beginnt die Geschichte des britischen Kolonialreiches.  Eine Geschichte, deren<lb/>
Blätter von kaltherziger Grausamkeit und Gewinnsucht triefen; eine Geschichte,<lb/>
die uns in der panbritischen Heldengalerie die Clive und Warren Hastings an<lb/>
erster Stelle zeigt.  Und diese indischen Eroberer ernteten Ruhm und Reichtum<lb/>
just in den Jahrzehnten, da unermündlich englische Schiffe die Sklavenzufuhr<lb/>
von Afrika nach Amerika besorgten.  Das Geschäft war so lohnend, daß<lb/>
der spanische und französische Wettbewerb die Gewinnrate verdarb, wes¬<lb/>
halb  dann England sich automatisch  neu orientierte und zu Beginn</p><lb/>
          <fw type="sig" place="bottom"> Grenzboten I L</fw><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0077] [Abbildung] Zur Genesis des Weltkrieges Dr. Jan Gyssen von Dieser Aufsatz untersucht in der Hauptsache ebenso wie der des Herrn Professor Gerloff in Ur. 2 der Grenzboten d. I. den deutsch-englischen Gegensatz. Dabei gelangt der Verfasser sowohl was Ursprung als auch Auswirkungen des Gegensatzes anlangt, zu anderen Ergebnissen als Herr Professor Gerloff. Und diese erscheinen uns wichtig genug um , Die Schriftleitung die Ausführungen zu bringen. angst ist es ein Gemeinplatz, die panbritische Politik als folge¬ richtiges Niederwerfen der jeweils stärksten Macht zu kennzeichnen. Wir wissen, daß Spanien, Holland und Frankreich nacheinander die Segel streichen mrchten; wir wissen auch, daß England sein gewaltiges Kolonialreich zum Teil aus den Trümmern des über¬ seeischen Besitzes des jeweils niedergerungenen Gegners baute. Weniger ist bekannt, daß Englands Reichtum und Weltherrschaft sich ursprünglich auf den durchaus kontinental gerichteten Stockfischhandel gründeten. Nicht Kaufleute und For¬ schungsreisende waren es, die England das hohe Meer in Sehweite rückten, sondern Fischer. Vor fünfhundert Jahren war Bristol der englische Haupt- markt, von dem aus ganz Südeuropa mit getrockneten Fischen versorgt wurde. Unter der Führung eingewanderter Südeuropäer unternahmen englische Fischer die ersten Vorstöße nach der atlantischen Küste. Und mit diesen Vorstoßen beginnt die Geschichte des britischen Kolonialreiches. Eine Geschichte, deren Blätter von kaltherziger Grausamkeit und Gewinnsucht triefen; eine Geschichte, die uns in der panbritischen Heldengalerie die Clive und Warren Hastings an erster Stelle zeigt. Und diese indischen Eroberer ernteten Ruhm und Reichtum just in den Jahrzehnten, da unermündlich englische Schiffe die Sklavenzufuhr von Afrika nach Amerika besorgten. Das Geschäft war so lohnend, daß der spanische und französische Wettbewerb die Gewinnrate verdarb, wes¬ halb dann England sich automatisch neu orientierte und zu Beginn Grenzboten I L

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341901_323097
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341901_323097/77
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341901_323097/77>, abgerufen am 29.04.2024.