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Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Zweites Vierteljahr.

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Alle" Manuskripten ist Porto hinzuzufügen, da andernfalls bei Ablehnung eine Rücksendung
nicht verbiirgt werden kann.

Der Zweck in der Politik
Vf. Paul Leldkeller von

! ir wären übel beraten, wollten wir uns bei Amateuranthropologen
und Anhängern einer Rassentheorie als Weltanschauung Auskunft
holen, um was es sich in diesem Kriege handelt. Hat man es
I doch fertig gebracht, aus interessegeleiteter Liebhaberei, die immer
die wissenschaftliche Unschuld verunreinigt, den starken germanischen
Einschlag Britanniens zu leugnen. In schärfsten Gegensatz zu diesem
Naturalismus und Materialismus stehen die politischen Tatsachen. Gegen uns
kämpft verwandtes Blut, und nicht nur das englische. Und wenn es wahr sein
soll, daß die Stimme des Blutes ein geheiligtes Naturgebot enthält, das sich
nicht übertönen läßt: wie kommt es, daß sie nicht in den Franzosen und
Russen spricht, mit deren Blut sich doch auch, wenn auch schwächer, das unsere
mischt? Anderseits kämpfen an unserer Seite Polen, Litauer und Juden.
Sie haben auf das Ehrenprädikat "deutsch-völkisch" a priori nicht in geringerem
Grade Anspruch als die sich unnachweislich von reinerer Rasse Dünkenden. Dazu
kommt das ganze bunte Völkergemisch Österreichs, vom Galizier bis zum Tiroler
und istrischen Italiener. Sie alle eint das Bewußtsein einer gemeinsamen
großen Sache, die weit hinausgeht über eine einfache bloße Familiensimpelei
im großen, welche die einseitige Betonung der Völkerverwandtschaft doch ist und
welche noch niemals in der Geschichte das gegenseitige Zerfleischen verhindert hat.

Mit den germanischen Stämmen, die zu Hermanns Zeiten das heutige
Deutschland bewohnten, haben wir nicht viel mehr gemeinsam als das
Territorium. Mag für den Zusammenschluß von Stämmen die Verwandtschaft
den Ausschlag geben, größere Volksverbände pflegen sich nach ganz anderen
Gesichtspunkten zu gruppieren. Die Betonung des Blutbandes steht anfangs
allerdings obenan. Sie ist der primitive Zweck einer primitiven Politik. Der
Stammesegoismus kennt kein höheres Bedürfnis als die eigene politische Sicher-
srellung. Indem er diese durch Unterwerfung feindlicher Stämme um so besser
zu erreichen glaubt, wird die Eroberung fremden Landes die erste Konsequenz


Grenzboten II 191ö 13


Alle« Manuskripten ist Porto hinzuzufügen, da andernfalls bei Ablehnung eine Rücksendung
nicht verbiirgt werden kann.

Der Zweck in der Politik
Vf. Paul Leldkeller von

! ir wären übel beraten, wollten wir uns bei Amateuranthropologen
und Anhängern einer Rassentheorie als Weltanschauung Auskunft
holen, um was es sich in diesem Kriege handelt. Hat man es
I doch fertig gebracht, aus interessegeleiteter Liebhaberei, die immer
die wissenschaftliche Unschuld verunreinigt, den starken germanischen
Einschlag Britanniens zu leugnen. In schärfsten Gegensatz zu diesem
Naturalismus und Materialismus stehen die politischen Tatsachen. Gegen uns
kämpft verwandtes Blut, und nicht nur das englische. Und wenn es wahr sein
soll, daß die Stimme des Blutes ein geheiligtes Naturgebot enthält, das sich
nicht übertönen läßt: wie kommt es, daß sie nicht in den Franzosen und
Russen spricht, mit deren Blut sich doch auch, wenn auch schwächer, das unsere
mischt? Anderseits kämpfen an unserer Seite Polen, Litauer und Juden.
Sie haben auf das Ehrenprädikat „deutsch-völkisch" a priori nicht in geringerem
Grade Anspruch als die sich unnachweislich von reinerer Rasse Dünkenden. Dazu
kommt das ganze bunte Völkergemisch Österreichs, vom Galizier bis zum Tiroler
und istrischen Italiener. Sie alle eint das Bewußtsein einer gemeinsamen
großen Sache, die weit hinausgeht über eine einfache bloße Familiensimpelei
im großen, welche die einseitige Betonung der Völkerverwandtschaft doch ist und
welche noch niemals in der Geschichte das gegenseitige Zerfleischen verhindert hat.

Mit den germanischen Stämmen, die zu Hermanns Zeiten das heutige
Deutschland bewohnten, haben wir nicht viel mehr gemeinsam als das
Territorium. Mag für den Zusammenschluß von Stämmen die Verwandtschaft
den Ausschlag geben, größere Volksverbände pflegen sich nach ganz anderen
Gesichtspunkten zu gruppieren. Die Betonung des Blutbandes steht anfangs
allerdings obenan. Sie ist der primitive Zweck einer primitiven Politik. Der
Stammesegoismus kennt kein höheres Bedürfnis als die eigene politische Sicher-
srellung. Indem er diese durch Unterwerfung feindlicher Stämme um so besser
zu erreichen glaubt, wird die Eroberung fremden Landes die erste Konsequenz


Grenzboten II 191ö 13
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341901_323538/205>, abgerufen am 27.04.2024.