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Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Zweites Vierteljahr.

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Von deutscher Aultur und deutscher Freiheit
Auch eine Ariegsbetrachtung
or, zur. et prit. Erich Zung o. ö. Professor der Rechte von (Schluß)

Der zweite große Kampf der Deutschen war geistigerer Art; er galt der
Befreiung der Gewissen von der dogmatischen Schablone, die von derselben
mittelitalienischen Stadt ausging, die auch noch in Trümmern eine anscheinend
unüberwindliche Suggestion des von ihr ausgehenden Weltimperiums ausübte.
Man darf die Reformation als einen deutschen Kampf bezeichnen, denn die
älteren Bestrebungen auf eine Erneuerung des Glaubens, in Südfrankreich, in
England, in den flämischen Ländern, waren doch eben nicht erfolgreich gewesen,
und nur die deutsche Bewegung ist in die Breite und auf die Dauer durch-
gedrungen. Man sollte sich durch die Unzulänglichkeit und Halbheit der
sogenannten Reformation, die besonders in ihrer lutherischen Gestalt sofort wieder
in gleiche oder ähnliche Fehler verfiel wie die alte Kirche, und durch die furchtbaren
politischen Schädigungen, die die Reformation mittelbar über Deutschland brachte,
nicht den Blick trüben lassen für ihr eigentliches geistiges Wesen; dieses ist vielleicht
in der Herder-Goethescher Zeit zu einem schärferen, jedenfalls zu einem höheren
Ausdruck gelangt als in den Männern des sechzehnten Jahrhunderts. Jene
weiteren, mittelbaren Errungenschaften der Reformation sind dem heutigen deutschen
Katholizismus zunächst durch die tridentinischen Reformen und mittelbar durch
die Beseitigung seiner Alleinherrschaft ebenso zugute gekommen wie den Gegnern
und haben ihm zu einer Verinnerlichung und Vertiefung verholfen, die er ohne
die Notwendigkeit des steten Kampfes kaum erreicht hätte, und die ihm andersw"
fehlt. Zwischen dem wirklich auf dem Kulturniveau seiner Nation stehenden
deutschen Katholiken von heute und etwa einem venetianischen Landgeistlichen,
selbst wenn er auf dem päpstlichen Stuhle sitzt, ist der Unterschied der wirklich
in ihnen lebenden religiös-metaphysischen Überzeugungen größer als zwischen
jenem katholischen Deutschen und einem nichtkatholischen Deutschen. Deutschheit
im tiefsten Sinne ist auch eine ethische Grundstimmung und damit eine Religion.

Es gibt eine wundervolle Stelle in Goethes Tagebüchern, vom V.Januar 1812,
die sich vielleicht einmal diejenigen Deutschen verschiedener Bekenntnisse gesagt




Von deutscher Aultur und deutscher Freiheit
Auch eine Ariegsbetrachtung
or, zur. et prit. Erich Zung o. ö. Professor der Rechte von (Schluß)

Der zweite große Kampf der Deutschen war geistigerer Art; er galt der
Befreiung der Gewissen von der dogmatischen Schablone, die von derselben
mittelitalienischen Stadt ausging, die auch noch in Trümmern eine anscheinend
unüberwindliche Suggestion des von ihr ausgehenden Weltimperiums ausübte.
Man darf die Reformation als einen deutschen Kampf bezeichnen, denn die
älteren Bestrebungen auf eine Erneuerung des Glaubens, in Südfrankreich, in
England, in den flämischen Ländern, waren doch eben nicht erfolgreich gewesen,
und nur die deutsche Bewegung ist in die Breite und auf die Dauer durch-
gedrungen. Man sollte sich durch die Unzulänglichkeit und Halbheit der
sogenannten Reformation, die besonders in ihrer lutherischen Gestalt sofort wieder
in gleiche oder ähnliche Fehler verfiel wie die alte Kirche, und durch die furchtbaren
politischen Schädigungen, die die Reformation mittelbar über Deutschland brachte,
nicht den Blick trüben lassen für ihr eigentliches geistiges Wesen; dieses ist vielleicht
in der Herder-Goethescher Zeit zu einem schärferen, jedenfalls zu einem höheren
Ausdruck gelangt als in den Männern des sechzehnten Jahrhunderts. Jene
weiteren, mittelbaren Errungenschaften der Reformation sind dem heutigen deutschen
Katholizismus zunächst durch die tridentinischen Reformen und mittelbar durch
die Beseitigung seiner Alleinherrschaft ebenso zugute gekommen wie den Gegnern
und haben ihm zu einer Verinnerlichung und Vertiefung verholfen, die er ohne
die Notwendigkeit des steten Kampfes kaum erreicht hätte, und die ihm andersw»
fehlt. Zwischen dem wirklich auf dem Kulturniveau seiner Nation stehenden
deutschen Katholiken von heute und etwa einem venetianischen Landgeistlichen,
selbst wenn er auf dem päpstlichen Stuhle sitzt, ist der Unterschied der wirklich
in ihnen lebenden religiös-metaphysischen Überzeugungen größer als zwischen
jenem katholischen Deutschen und einem nichtkatholischen Deutschen. Deutschheit
im tiefsten Sinne ist auch eine ethische Grundstimmung und damit eine Religion.

Es gibt eine wundervolle Stelle in Goethes Tagebüchern, vom V.Januar 1812,
die sich vielleicht einmal diejenigen Deutschen verschiedener Bekenntnisse gesagt


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[0276] [Abbildung] Von deutscher Aultur und deutscher Freiheit Auch eine Ariegsbetrachtung or, zur. et prit. Erich Zung o. ö. Professor der Rechte von (Schluß) Der zweite große Kampf der Deutschen war geistigerer Art; er galt der Befreiung der Gewissen von der dogmatischen Schablone, die von derselben mittelitalienischen Stadt ausging, die auch noch in Trümmern eine anscheinend unüberwindliche Suggestion des von ihr ausgehenden Weltimperiums ausübte. Man darf die Reformation als einen deutschen Kampf bezeichnen, denn die älteren Bestrebungen auf eine Erneuerung des Glaubens, in Südfrankreich, in England, in den flämischen Ländern, waren doch eben nicht erfolgreich gewesen, und nur die deutsche Bewegung ist in die Breite und auf die Dauer durch- gedrungen. Man sollte sich durch die Unzulänglichkeit und Halbheit der sogenannten Reformation, die besonders in ihrer lutherischen Gestalt sofort wieder in gleiche oder ähnliche Fehler verfiel wie die alte Kirche, und durch die furchtbaren politischen Schädigungen, die die Reformation mittelbar über Deutschland brachte, nicht den Blick trüben lassen für ihr eigentliches geistiges Wesen; dieses ist vielleicht in der Herder-Goethescher Zeit zu einem schärferen, jedenfalls zu einem höheren Ausdruck gelangt als in den Männern des sechzehnten Jahrhunderts. Jene weiteren, mittelbaren Errungenschaften der Reformation sind dem heutigen deutschen Katholizismus zunächst durch die tridentinischen Reformen und mittelbar durch die Beseitigung seiner Alleinherrschaft ebenso zugute gekommen wie den Gegnern und haben ihm zu einer Verinnerlichung und Vertiefung verholfen, die er ohne die Notwendigkeit des steten Kampfes kaum erreicht hätte, und die ihm andersw» fehlt. Zwischen dem wirklich auf dem Kulturniveau seiner Nation stehenden deutschen Katholiken von heute und etwa einem venetianischen Landgeistlichen, selbst wenn er auf dem päpstlichen Stuhle sitzt, ist der Unterschied der wirklich in ihnen lebenden religiös-metaphysischen Überzeugungen größer als zwischen jenem katholischen Deutschen und einem nichtkatholischen Deutschen. Deutschheit im tiefsten Sinne ist auch eine ethische Grundstimmung und damit eine Religion. Es gibt eine wundervolle Stelle in Goethes Tagebüchern, vom V.Januar 1812, die sich vielleicht einmal diejenigen Deutschen verschiedener Bekenntnisse gesagt

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341901_323538/276>, abgerufen am 01.05.2024.