Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Zweites Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Belgiens Verfassung und Staatsleben

Bei der großen Bedeutung, die die Tätigkeit der Mittelämter nicht nur
für die Einigung der Jugendpflege, sondern auch für die praktische Arbeit in
der Jugendpflege haben würden, darf man wohl erwarten und hoffen, daß die
Bestrebungen, die auf Schaffung solcher Mittelämter gerichtet find, die staatliche
Billigung und Unterstützung finden werden. Wollen sie doch letzten Endes
auch zugleich mit dazu beitragen, daß der Schatz an reicher erzieherischer
Erfahrung, der in den verschiedenen Zweigen der Jugendpflege bisher erworben
worden ist, allgemeiner und intensiver, ohne die Hemmungen, die durch Zer¬
splitterung und Feindschaft dabei hervorgerufen werden, verwertet wird, zum
Segen unserer Jugend und damit des kommenden großen Deutschland.




Belgiens Verfassung und Staatsleben
Professor Dr. Conrad Bornhak von

Man vergleiche die Aufsätze aus der Feder desselben Verfassers
über "Die Stellung Belgiens zum alten Reich" in Heft 6 d. I. und
über "Die Begründung des Königreichs Belgien" in Heft 12 d. I.

Mle innere Entwicklung eines Staates kann durch nationale, soziale
und religiöse Faktoren bestimmt werden und erscheint ohne
Kenntnis dieser Grundlage vielfach gar nicht verständlich. Die
betreffenden Verhältnisse Belgiens weichen nun von dem uns
geläufigen deutschen Staatsleben so erheblich ab, daß sich dadurch
von selbst eine besondere Entwicklung der inneren Politik ergeben mußte.

Belgien ist zunächst ein national gemischter Staat. Nach der Statistik
von 1910 sprachen nur französisch 2833334, nur vlämisch 3220662, nur
deutsch 31415, französisch und vlämisch 871238, französisch und deutsch 74993,
vlämisch und deutsch 8652, alle drei Sprachen 52547. Die Sprachgrenze hat sich
seit 1830 nicht verschoben, somit wird das Verhältnis unter der erheblich ge¬
ringeren Bevölkerung schon damals dasselbe gewesen sein. Da die Wallonen
nicht vlämisch lernen, wird man die französisch und vlämisch sprechenden Be¬
völkerungselemente fast durchweg dem vlämischen Stamme zurechnen können.
Damit ergeben sich etwa 4000000 Vlamen und 2900000 Wallonen, also
ein ganz erhebliches Übergewicht der Niederdeutschen. Trotzdem erwies sich das
französische Element als das stärkere, einmal dadurch, daß die Wallonen die
französische Schriftsprache annahmen, während das Vlämische nur ein vereinzelter


Belgiens Verfassung und Staatsleben

Bei der großen Bedeutung, die die Tätigkeit der Mittelämter nicht nur
für die Einigung der Jugendpflege, sondern auch für die praktische Arbeit in
der Jugendpflege haben würden, darf man wohl erwarten und hoffen, daß die
Bestrebungen, die auf Schaffung solcher Mittelämter gerichtet find, die staatliche
Billigung und Unterstützung finden werden. Wollen sie doch letzten Endes
auch zugleich mit dazu beitragen, daß der Schatz an reicher erzieherischer
Erfahrung, der in den verschiedenen Zweigen der Jugendpflege bisher erworben
worden ist, allgemeiner und intensiver, ohne die Hemmungen, die durch Zer¬
splitterung und Feindschaft dabei hervorgerufen werden, verwertet wird, zum
Segen unserer Jugend und damit des kommenden großen Deutschland.




Belgiens Verfassung und Staatsleben
Professor Dr. Conrad Bornhak von

Man vergleiche die Aufsätze aus der Feder desselben Verfassers
über „Die Stellung Belgiens zum alten Reich" in Heft 6 d. I. und
über „Die Begründung des Königreichs Belgien" in Heft 12 d. I.

Mle innere Entwicklung eines Staates kann durch nationale, soziale
und religiöse Faktoren bestimmt werden und erscheint ohne
Kenntnis dieser Grundlage vielfach gar nicht verständlich. Die
betreffenden Verhältnisse Belgiens weichen nun von dem uns
geläufigen deutschen Staatsleben so erheblich ab, daß sich dadurch
von selbst eine besondere Entwicklung der inneren Politik ergeben mußte.

Belgien ist zunächst ein national gemischter Staat. Nach der Statistik
von 1910 sprachen nur französisch 2833334, nur vlämisch 3220662, nur
deutsch 31415, französisch und vlämisch 871238, französisch und deutsch 74993,
vlämisch und deutsch 8652, alle drei Sprachen 52547. Die Sprachgrenze hat sich
seit 1830 nicht verschoben, somit wird das Verhältnis unter der erheblich ge¬
ringeren Bevölkerung schon damals dasselbe gewesen sein. Da die Wallonen
nicht vlämisch lernen, wird man die französisch und vlämisch sprechenden Be¬
völkerungselemente fast durchweg dem vlämischen Stamme zurechnen können.
Damit ergeben sich etwa 4000000 Vlamen und 2900000 Wallonen, also
ein ganz erhebliches Übergewicht der Niederdeutschen. Trotzdem erwies sich das
französische Element als das stärkere, einmal dadurch, daß die Wallonen die
französische Schriftsprache annahmen, während das Vlämische nur ein vereinzelter


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0410" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/323949"/>
          <fw type="header" place="top"> Belgiens Verfassung und Staatsleben</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_1342"> Bei der großen Bedeutung, die die Tätigkeit der Mittelämter nicht nur<lb/>
für die Einigung der Jugendpflege, sondern auch für die praktische Arbeit in<lb/>
der Jugendpflege haben würden, darf man wohl erwarten und hoffen, daß die<lb/>
Bestrebungen, die auf Schaffung solcher Mittelämter gerichtet find, die staatliche<lb/>
Billigung und Unterstützung finden werden. Wollen sie doch letzten Endes<lb/>
auch zugleich mit dazu beitragen, daß der Schatz an reicher erzieherischer<lb/>
Erfahrung, der in den verschiedenen Zweigen der Jugendpflege bisher erworben<lb/>
worden ist, allgemeiner und intensiver, ohne die Hemmungen, die durch Zer¬<lb/>
splitterung und Feindschaft dabei hervorgerufen werden, verwertet wird, zum<lb/>
Segen unserer Jugend und damit des kommenden großen Deutschland.</p><lb/>
          <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
        </div>
        <div n="1">
          <head> Belgiens Verfassung und Staatsleben<lb/><note type="byline"> Professor Dr. Conrad Bornhak</note> von </head><lb/>
          <p xml:id="ID_1343"> Man vergleiche die Aufsätze aus der Feder desselben Verfassers<lb/>
über &#x201E;Die Stellung Belgiens zum alten Reich" in Heft 6 d. I. und<lb/>
über &#x201E;Die Begründung des Königreichs Belgien" in Heft 12 d. I.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1344"> Mle innere Entwicklung eines Staates kann durch nationale, soziale<lb/>
und religiöse Faktoren bestimmt werden und erscheint ohne<lb/>
Kenntnis dieser Grundlage vielfach gar nicht verständlich. Die<lb/>
betreffenden Verhältnisse Belgiens weichen nun von dem uns<lb/>
geläufigen deutschen Staatsleben so erheblich ab, daß sich dadurch<lb/>
von selbst eine besondere Entwicklung der inneren Politik ergeben mußte.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1345" next="#ID_1346"> Belgien ist zunächst ein national gemischter Staat. Nach der Statistik<lb/>
von 1910 sprachen nur französisch 2833334, nur vlämisch 3220662, nur<lb/>
deutsch 31415, französisch und vlämisch 871238, französisch und deutsch 74993,<lb/>
vlämisch und deutsch 8652, alle drei Sprachen 52547. Die Sprachgrenze hat sich<lb/>
seit 1830 nicht verschoben, somit wird das Verhältnis unter der erheblich ge¬<lb/>
ringeren Bevölkerung schon damals dasselbe gewesen sein. Da die Wallonen<lb/>
nicht vlämisch lernen, wird man die französisch und vlämisch sprechenden Be¬<lb/>
völkerungselemente fast durchweg dem vlämischen Stamme zurechnen können.<lb/>
Damit ergeben sich etwa 4000000 Vlamen und 2900000 Wallonen, also<lb/>
ein ganz erhebliches Übergewicht der Niederdeutschen. Trotzdem erwies sich das<lb/>
französische Element als das stärkere, einmal dadurch, daß die Wallonen die<lb/>
französische Schriftsprache annahmen, während das Vlämische nur ein vereinzelter</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0410] Belgiens Verfassung und Staatsleben Bei der großen Bedeutung, die die Tätigkeit der Mittelämter nicht nur für die Einigung der Jugendpflege, sondern auch für die praktische Arbeit in der Jugendpflege haben würden, darf man wohl erwarten und hoffen, daß die Bestrebungen, die auf Schaffung solcher Mittelämter gerichtet find, die staatliche Billigung und Unterstützung finden werden. Wollen sie doch letzten Endes auch zugleich mit dazu beitragen, daß der Schatz an reicher erzieherischer Erfahrung, der in den verschiedenen Zweigen der Jugendpflege bisher erworben worden ist, allgemeiner und intensiver, ohne die Hemmungen, die durch Zer¬ splitterung und Feindschaft dabei hervorgerufen werden, verwertet wird, zum Segen unserer Jugend und damit des kommenden großen Deutschland. Belgiens Verfassung und Staatsleben Professor Dr. Conrad Bornhak von Man vergleiche die Aufsätze aus der Feder desselben Verfassers über „Die Stellung Belgiens zum alten Reich" in Heft 6 d. I. und über „Die Begründung des Königreichs Belgien" in Heft 12 d. I. Mle innere Entwicklung eines Staates kann durch nationale, soziale und religiöse Faktoren bestimmt werden und erscheint ohne Kenntnis dieser Grundlage vielfach gar nicht verständlich. Die betreffenden Verhältnisse Belgiens weichen nun von dem uns geläufigen deutschen Staatsleben so erheblich ab, daß sich dadurch von selbst eine besondere Entwicklung der inneren Politik ergeben mußte. Belgien ist zunächst ein national gemischter Staat. Nach der Statistik von 1910 sprachen nur französisch 2833334, nur vlämisch 3220662, nur deutsch 31415, französisch und vlämisch 871238, französisch und deutsch 74993, vlämisch und deutsch 8652, alle drei Sprachen 52547. Die Sprachgrenze hat sich seit 1830 nicht verschoben, somit wird das Verhältnis unter der erheblich ge¬ ringeren Bevölkerung schon damals dasselbe gewesen sein. Da die Wallonen nicht vlämisch lernen, wird man die französisch und vlämisch sprechenden Be¬ völkerungselemente fast durchweg dem vlämischen Stamme zurechnen können. Damit ergeben sich etwa 4000000 Vlamen und 2900000 Wallonen, also ein ganz erhebliches Übergewicht der Niederdeutschen. Trotzdem erwies sich das französische Element als das stärkere, einmal dadurch, daß die Wallonen die französische Schriftsprache annahmen, während das Vlämische nur ein vereinzelter

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341901_323538
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341901_323538/410
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341901_323538/410>, abgerufen am 10.05.2024.