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Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Drittes Vierteljahr.

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Die Friedensziele von ^S<5

ausgleichende Gerechtigkeit, sie wird nicht zögern ihr Wort zu sagen, wenn die
Stunde gekommen sein wird. Weil wir in diese Gerechtigkeit unser volles
Vertrauen setzen, sind wir nach dem ersten Freudenrausche über den schnellen
Siegeszug unserer Heere still und erwartungsvoll geworden, aber nicht verzagt
und kleinlaut, wie unsere Gegner glauben machen wollen. Wir haben, wohin
auch immer wir blicken, das voraus, daß wir in diesem ersten Kriegsjahre
siegreich geblieben sind. Es rückt sich uns heute schon die Gewißheit zukünftiger
deutscher Größe vor die Augen, weil wir nirgends gefehlt und den uns auf¬
gezwungenen Umständen gemäß ehrlich gefochten und gehandelt haben. Wir
werden in ernsten Dankesfeiern und im Wohltun, in stillem Gedenken derjenigen,
die für eine gute und nationale Sache gefallen sind, den Jahrestag des Kriegs¬
beginnes begehen und frohen Mutes das zweite Kriegsjahr antreten. Es bedarf
für den Augenblick keines lauten Siegesjubels, keiner äußerlichen Ehrung, keines
Gedenksteines. Ein Wort allein soll aussprechen, was wir jenen, die mitgestritten
und mitgelitten, das heißt, der ganzen Nation schulden:

Der Dank des Vaterlandes!




Die Friedensziele von M5
Dr. Scina Stern Von

s war am 7. Juli 1815, als die drei Monarchen von Rußland,
Österreich und Preußen zum zweiten Male in kurzer Zeit ihren
siegreichen Einzug in Paris hielten. Das Drama der hundert
Tage war zu Ende gespielt. Der Löwe, der zwanzig Jahre
lang Europa geschreckt, gedemütigt, gepeinigt hatte, war gefangen.
Der Kampf zwischen den legitimen Mächten und dem kühnen Usurpator, zwischen
Nationalismus und weltumspannenden Imperialismus war zugunsten des
ersteren entschieden. In dem gigantischen Ringen waren die Grenzen der Staaten
verwischt, waren Länder untergegangen und neue entstanden, waren Herrscher
verjagt und auf den Thron alter, ehrwürdiger Dynastien mutige Schlachten¬
führer und Günstlinge gesetzt, war die Vergangenheit ausgelöscht, die Tradition
verleugnet worden. Dies Chaos zu entwirren und auf den Trümmern des
napoleonischen Reiches eine neue Welt zu bauen, war schon die Aufgabe des
Wiener Kongresses gewesen. Aber die große Zeit war spurlos an den Ver-


Die Friedensziele von ^S<5

ausgleichende Gerechtigkeit, sie wird nicht zögern ihr Wort zu sagen, wenn die
Stunde gekommen sein wird. Weil wir in diese Gerechtigkeit unser volles
Vertrauen setzen, sind wir nach dem ersten Freudenrausche über den schnellen
Siegeszug unserer Heere still und erwartungsvoll geworden, aber nicht verzagt
und kleinlaut, wie unsere Gegner glauben machen wollen. Wir haben, wohin
auch immer wir blicken, das voraus, daß wir in diesem ersten Kriegsjahre
siegreich geblieben sind. Es rückt sich uns heute schon die Gewißheit zukünftiger
deutscher Größe vor die Augen, weil wir nirgends gefehlt und den uns auf¬
gezwungenen Umständen gemäß ehrlich gefochten und gehandelt haben. Wir
werden in ernsten Dankesfeiern und im Wohltun, in stillem Gedenken derjenigen,
die für eine gute und nationale Sache gefallen sind, den Jahrestag des Kriegs¬
beginnes begehen und frohen Mutes das zweite Kriegsjahr antreten. Es bedarf
für den Augenblick keines lauten Siegesjubels, keiner äußerlichen Ehrung, keines
Gedenksteines. Ein Wort allein soll aussprechen, was wir jenen, die mitgestritten
und mitgelitten, das heißt, der ganzen Nation schulden:

Der Dank des Vaterlandes!




Die Friedensziele von M5
Dr. Scina Stern Von

s war am 7. Juli 1815, als die drei Monarchen von Rußland,
Österreich und Preußen zum zweiten Male in kurzer Zeit ihren
siegreichen Einzug in Paris hielten. Das Drama der hundert
Tage war zu Ende gespielt. Der Löwe, der zwanzig Jahre
lang Europa geschreckt, gedemütigt, gepeinigt hatte, war gefangen.
Der Kampf zwischen den legitimen Mächten und dem kühnen Usurpator, zwischen
Nationalismus und weltumspannenden Imperialismus war zugunsten des
ersteren entschieden. In dem gigantischen Ringen waren die Grenzen der Staaten
verwischt, waren Länder untergegangen und neue entstanden, waren Herrscher
verjagt und auf den Thron alter, ehrwürdiger Dynastien mutige Schlachten¬
führer und Günstlinge gesetzt, war die Vergangenheit ausgelöscht, die Tradition
verleugnet worden. Dies Chaos zu entwirren und auf den Trümmern des
napoleonischen Reiches eine neue Welt zu bauen, war schon die Aufgabe des
Wiener Kongresses gewesen. Aber die große Zeit war spurlos an den Ver-


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[0116] Die Friedensziele von ^S<5 ausgleichende Gerechtigkeit, sie wird nicht zögern ihr Wort zu sagen, wenn die Stunde gekommen sein wird. Weil wir in diese Gerechtigkeit unser volles Vertrauen setzen, sind wir nach dem ersten Freudenrausche über den schnellen Siegeszug unserer Heere still und erwartungsvoll geworden, aber nicht verzagt und kleinlaut, wie unsere Gegner glauben machen wollen. Wir haben, wohin auch immer wir blicken, das voraus, daß wir in diesem ersten Kriegsjahre siegreich geblieben sind. Es rückt sich uns heute schon die Gewißheit zukünftiger deutscher Größe vor die Augen, weil wir nirgends gefehlt und den uns auf¬ gezwungenen Umständen gemäß ehrlich gefochten und gehandelt haben. Wir werden in ernsten Dankesfeiern und im Wohltun, in stillem Gedenken derjenigen, die für eine gute und nationale Sache gefallen sind, den Jahrestag des Kriegs¬ beginnes begehen und frohen Mutes das zweite Kriegsjahr antreten. Es bedarf für den Augenblick keines lauten Siegesjubels, keiner äußerlichen Ehrung, keines Gedenksteines. Ein Wort allein soll aussprechen, was wir jenen, die mitgestritten und mitgelitten, das heißt, der ganzen Nation schulden: Der Dank des Vaterlandes! Die Friedensziele von M5 Dr. Scina Stern Von s war am 7. Juli 1815, als die drei Monarchen von Rußland, Österreich und Preußen zum zweiten Male in kurzer Zeit ihren siegreichen Einzug in Paris hielten. Das Drama der hundert Tage war zu Ende gespielt. Der Löwe, der zwanzig Jahre lang Europa geschreckt, gedemütigt, gepeinigt hatte, war gefangen. Der Kampf zwischen den legitimen Mächten und dem kühnen Usurpator, zwischen Nationalismus und weltumspannenden Imperialismus war zugunsten des ersteren entschieden. In dem gigantischen Ringen waren die Grenzen der Staaten verwischt, waren Länder untergegangen und neue entstanden, waren Herrscher verjagt und auf den Thron alter, ehrwürdiger Dynastien mutige Schlachten¬ führer und Günstlinge gesetzt, war die Vergangenheit ausgelöscht, die Tradition verleugnet worden. Dies Chaos zu entwirren und auf den Trümmern des napoleonischen Reiches eine neue Welt zu bauen, war schon die Aufgabe des Wiener Kongresses gewesen. Aber die große Zeit war spurlos an den Ver-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341901_323972/116>, abgerufen am 19.05.2024.