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Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Drittes Vierteljahr.

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Rückblick auf das Rriegsjahr

uns heranzuziehen. Wir haben inzwischen mancherlei gelernt und werden uns da¬
durch selbst unter unseren heutigen Gegnern Freunde erwerben, wenn die Sonne
der Wahrheit erst durch die schweren Wolken gedrungen sein wird, die den
klaren Verstand bei den anderen heute noch umnebeln. Wir haben auch zu
sparen und hauszuhalten gelernt und sind damit gegen alles spätere Ungemach,
sollte solches nochmals über uns kommen, gefeit. Wir haben mit Erstaunen
gesehen, mit wie wenigem man auskommen kann und haben damit Englands
frevelhaften Aushungerungskrieg zunichte gemacht. Wir haben uns auf uns
selbst besonnen, jede fremdländische Nachäfferei von uns abgeschüttelt. Wir
haben es durch unseren finanziellen Opfermut dahin gebracht, daß unsere Gold¬
vorräte ungemein wuchsen, daß wir kein Geld im Auslande zu suchen brauchen
und unser Geld, mit Ausnahme einer ganz verschwindenden Menge sür
Nahrungsmittellieferungen, dem eigenen Lande zugute kommen lassen können.
Mit einem Worte, wir sind ungemein bescheiden und praktisch geworden, wie
auch würdig in unserer Haltung, was von unseren Feinden als Kleinmut und
Verzagtheit bezeichnet wird! Wir haben auch das merkwürdige erlebt, worauf
bisher noch viel zu wenig hingewiesen wurde, daß unsere sämtlichen Hilfsmittel,
gleichviel ob Kartoffel- und Mehlsperrung, ob Brotkarte oder Festlegung gewisser
Rohstoffe, ob Goldsammlungen oder Jugenderziehung, von unseren Feinden
erst verhöhnt und als Zeichen unserer Schwäche gegeißelt, dann aber
eiligst nachgeahmt wurden I Ohne großen Erfolg, denn dort mangelte es an
gutem Willen und nationalem Empfinden, an Opferfreudigkeit und Selbst¬
zucht. In diesem Augenblick noch müssen in Frankreich die Behörden um das
Gold der Bürger, die es ängstlich verschlossen halten, geradezu betteln! Aus
den täglichen Berichten ist zu ersehen, daß die neuen Kriegsanleihen in den
Ländern des Vierverbandes ein klägliches Fiasko machen und nur mit Hilfe
jener Kniffe hereinzubringen sind, die anzuwenden uns nachgesagt wurde, das
heißt durch einen auf die Finanzinstitute und öffentlichen Sparkassen ausgeübten
Zwang. Wir bereiten inzwischen gelassen und voller Vertrauen auf die privaten
Sparer die dritte Kriegsanleihe vor, an deren Erfolg niemand zweifelt. Und
mag das Kriegswetter noch ein zweites Jahr toben: wir werden uns weiter
einschränken, aber wir werden weder zu hungern noch zu darben brauchen.

Wir können deshalb jeder Möglichkeit getrost in das Auge schauen, weil
wir auf jede Möglichkeit vorbereitet sind. Wir haben den lieben Gott zwar
nicht für uns gepachtet, aber die Vorsehung beschützt noch immer den, der recht
handelt und reinen Gewissens ist, daheim wie draußen. Wir wollen uns nicht
darüber aufregen, daß die Wahrheit im Verlaufe dieses Kriegsjahrcs noch immer
nicht zu den Feinden gedrungen ist, kaum zu den Neutralen, geschweige zu den
Nationen, die sich von England allzu willig und vertrauensselig haben umgarnen
lassen. An dem Tage, an welchem die reine Wahrheit im feindlichen Lager auf¬
tauchen wird, wird der Zorn gegen die Lügner im eigenen Hause ein ungeheuerer,
unser Sieg ein doppelter sein. Es gibt in der Politik wie im Leben eine


Rückblick auf das Rriegsjahr

uns heranzuziehen. Wir haben inzwischen mancherlei gelernt und werden uns da¬
durch selbst unter unseren heutigen Gegnern Freunde erwerben, wenn die Sonne
der Wahrheit erst durch die schweren Wolken gedrungen sein wird, die den
klaren Verstand bei den anderen heute noch umnebeln. Wir haben auch zu
sparen und hauszuhalten gelernt und sind damit gegen alles spätere Ungemach,
sollte solches nochmals über uns kommen, gefeit. Wir haben mit Erstaunen
gesehen, mit wie wenigem man auskommen kann und haben damit Englands
frevelhaften Aushungerungskrieg zunichte gemacht. Wir haben uns auf uns
selbst besonnen, jede fremdländische Nachäfferei von uns abgeschüttelt. Wir
haben es durch unseren finanziellen Opfermut dahin gebracht, daß unsere Gold¬
vorräte ungemein wuchsen, daß wir kein Geld im Auslande zu suchen brauchen
und unser Geld, mit Ausnahme einer ganz verschwindenden Menge sür
Nahrungsmittellieferungen, dem eigenen Lande zugute kommen lassen können.
Mit einem Worte, wir sind ungemein bescheiden und praktisch geworden, wie
auch würdig in unserer Haltung, was von unseren Feinden als Kleinmut und
Verzagtheit bezeichnet wird! Wir haben auch das merkwürdige erlebt, worauf
bisher noch viel zu wenig hingewiesen wurde, daß unsere sämtlichen Hilfsmittel,
gleichviel ob Kartoffel- und Mehlsperrung, ob Brotkarte oder Festlegung gewisser
Rohstoffe, ob Goldsammlungen oder Jugenderziehung, von unseren Feinden
erst verhöhnt und als Zeichen unserer Schwäche gegeißelt, dann aber
eiligst nachgeahmt wurden I Ohne großen Erfolg, denn dort mangelte es an
gutem Willen und nationalem Empfinden, an Opferfreudigkeit und Selbst¬
zucht. In diesem Augenblick noch müssen in Frankreich die Behörden um das
Gold der Bürger, die es ängstlich verschlossen halten, geradezu betteln! Aus
den täglichen Berichten ist zu ersehen, daß die neuen Kriegsanleihen in den
Ländern des Vierverbandes ein klägliches Fiasko machen und nur mit Hilfe
jener Kniffe hereinzubringen sind, die anzuwenden uns nachgesagt wurde, das
heißt durch einen auf die Finanzinstitute und öffentlichen Sparkassen ausgeübten
Zwang. Wir bereiten inzwischen gelassen und voller Vertrauen auf die privaten
Sparer die dritte Kriegsanleihe vor, an deren Erfolg niemand zweifelt. Und
mag das Kriegswetter noch ein zweites Jahr toben: wir werden uns weiter
einschränken, aber wir werden weder zu hungern noch zu darben brauchen.

Wir können deshalb jeder Möglichkeit getrost in das Auge schauen, weil
wir auf jede Möglichkeit vorbereitet sind. Wir haben den lieben Gott zwar
nicht für uns gepachtet, aber die Vorsehung beschützt noch immer den, der recht
handelt und reinen Gewissens ist, daheim wie draußen. Wir wollen uns nicht
darüber aufregen, daß die Wahrheit im Verlaufe dieses Kriegsjahrcs noch immer
nicht zu den Feinden gedrungen ist, kaum zu den Neutralen, geschweige zu den
Nationen, die sich von England allzu willig und vertrauensselig haben umgarnen
lassen. An dem Tage, an welchem die reine Wahrheit im feindlichen Lager auf¬
tauchen wird, wird der Zorn gegen die Lügner im eigenen Hause ein ungeheuerer,
unser Sieg ein doppelter sein. Es gibt in der Politik wie im Leben eine


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[0115] Rückblick auf das Rriegsjahr uns heranzuziehen. Wir haben inzwischen mancherlei gelernt und werden uns da¬ durch selbst unter unseren heutigen Gegnern Freunde erwerben, wenn die Sonne der Wahrheit erst durch die schweren Wolken gedrungen sein wird, die den klaren Verstand bei den anderen heute noch umnebeln. Wir haben auch zu sparen und hauszuhalten gelernt und sind damit gegen alles spätere Ungemach, sollte solches nochmals über uns kommen, gefeit. Wir haben mit Erstaunen gesehen, mit wie wenigem man auskommen kann und haben damit Englands frevelhaften Aushungerungskrieg zunichte gemacht. Wir haben uns auf uns selbst besonnen, jede fremdländische Nachäfferei von uns abgeschüttelt. Wir haben es durch unseren finanziellen Opfermut dahin gebracht, daß unsere Gold¬ vorräte ungemein wuchsen, daß wir kein Geld im Auslande zu suchen brauchen und unser Geld, mit Ausnahme einer ganz verschwindenden Menge sür Nahrungsmittellieferungen, dem eigenen Lande zugute kommen lassen können. Mit einem Worte, wir sind ungemein bescheiden und praktisch geworden, wie auch würdig in unserer Haltung, was von unseren Feinden als Kleinmut und Verzagtheit bezeichnet wird! Wir haben auch das merkwürdige erlebt, worauf bisher noch viel zu wenig hingewiesen wurde, daß unsere sämtlichen Hilfsmittel, gleichviel ob Kartoffel- und Mehlsperrung, ob Brotkarte oder Festlegung gewisser Rohstoffe, ob Goldsammlungen oder Jugenderziehung, von unseren Feinden erst verhöhnt und als Zeichen unserer Schwäche gegeißelt, dann aber eiligst nachgeahmt wurden I Ohne großen Erfolg, denn dort mangelte es an gutem Willen und nationalem Empfinden, an Opferfreudigkeit und Selbst¬ zucht. In diesem Augenblick noch müssen in Frankreich die Behörden um das Gold der Bürger, die es ängstlich verschlossen halten, geradezu betteln! Aus den täglichen Berichten ist zu ersehen, daß die neuen Kriegsanleihen in den Ländern des Vierverbandes ein klägliches Fiasko machen und nur mit Hilfe jener Kniffe hereinzubringen sind, die anzuwenden uns nachgesagt wurde, das heißt durch einen auf die Finanzinstitute und öffentlichen Sparkassen ausgeübten Zwang. Wir bereiten inzwischen gelassen und voller Vertrauen auf die privaten Sparer die dritte Kriegsanleihe vor, an deren Erfolg niemand zweifelt. Und mag das Kriegswetter noch ein zweites Jahr toben: wir werden uns weiter einschränken, aber wir werden weder zu hungern noch zu darben brauchen. Wir können deshalb jeder Möglichkeit getrost in das Auge schauen, weil wir auf jede Möglichkeit vorbereitet sind. Wir haben den lieben Gott zwar nicht für uns gepachtet, aber die Vorsehung beschützt noch immer den, der recht handelt und reinen Gewissens ist, daheim wie draußen. Wir wollen uns nicht darüber aufregen, daß die Wahrheit im Verlaufe dieses Kriegsjahrcs noch immer nicht zu den Feinden gedrungen ist, kaum zu den Neutralen, geschweige zu den Nationen, die sich von England allzu willig und vertrauensselig haben umgarnen lassen. An dem Tage, an welchem die reine Wahrheit im feindlichen Lager auf¬ tauchen wird, wird der Zorn gegen die Lügner im eigenen Hause ein ungeheuerer, unser Sieg ein doppelter sein. Es gibt in der Politik wie im Leben eine

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341901_323972/115>, abgerufen am 11.06.2024.