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Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Drittes Vierteljahr.

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III.

Wird man auf dieses Bildungsideal die deutsche höhere Schule in Zukunft
gründen? Noch scheint die Säkulare Bedeutung dieses Wendepunktes unserer
nationalen Geschichte auch für unser Erziehungs- und Unterrichtswesen nicht
überall so anerkannt zu werden, wie bei jenem radikalen Gymnasialdirektor im
Schützengraben.*) Aber während ich dies schreibe, kommt mir eine erste
öffentliche Äußerung aus den Kreisen der deutschen Schulregierungen in die
Hände, deren Verfasser, der hessische Geheime Oberschulrat Block, in seinen
Zukunstsforderungen etwa die gleichen Wege geht wie der vorliegende Aufsatz.**)
Insbesondere bemerkenswert erscheint es, daß Block für die drei Fächer
Deutsch, Geschichte und Erdkunde im Verhältnis zum gegenwärtigen Stand die
doppelte Zahl an Unterrichtsstunden auf Kosten sonstiger Fächer in Aussicht
nimmt. In der Tat, man darf die Mühe und das Odium nicht scheuen, unter
den bisherigen Bestand der Unterrichtsgegenstände zu treten, um sie auf ihren
Bildungswert kritisch zu sichten und die dieser Prüfung nicht standhaltenden
Fächer rücksichtslos zurückzudrängen oder auszumerzen.

Daß derartige Notwendigkeiten auch im Volke gefühlt werden, ersieht man
zum Beispiel daraus, daß sich in Tageszeitungen bereits eine Erörterung über
die Frage erhoben hat, ob diese oder jene Fremdsprache nach dem Kriege in
unserem höheren Unterricht noch eine Stelle haben dürfe. Natürlich ist diese
Prüfung nicht nur für die Sprachen am Platze. In fehr verständiger Weise
ist die Frage des Bildungswertes in einem soeben erschienenen Buche "Stoffe
und Probleme des Geschichtsunterrichts***) von Fritz Friedrich erörtert worden
(Leipzig 1915, Teubner). Er geht von dem alten, aber in der Praxis immer
wieder übersehemn Grundsatz aus, daß unsere höheren Schulen nicht Vorschulen
für diesen oder jenen Beruf sein sollen, sondern daß ihr Unterricht die Auf¬
gabe hat, durch Schulung des Denkens, des Urteils und der Fähigkeit, selb¬
ständige geistige Arbeit zu leisten, eine allgemeine Grundlage für jede Art
wissenschaftlichen Studiums zu legen; die von der Erdenschwere unmittelbarer
praktischer Benutzbarkeit freien, allgemein bildenden Unterrichtszweige seien also
in den Vordergrund der Bewertung zu stellen. "Als solche müssen nicht





") Vergleiche Anmerkung Seite 141.
"Der Lehrplan der höheren Schulen nach dem Krieg", im Tag vom 29. Juni
1916. Man geht Wohl nicht fehl, wenn man hierin das Programm für die künftige höhere
Schule in Hessen erblickt, das hiermit die Führung auf dem Wege der Reform übernimmt^
Das Buch, aus dessen grundsätzlichen Teile ich hier einiges aushebe, kann in
einem Hauptteil, der didaktische Erörterungen und Winke enthält, an dieser Stelle nicht
weiter besprochen werden. Es sei jedoch den Geschichtslehrern unter der Grenzbotengememde
warm empfohlen. In der Bewertung der Staatengeschichte stimme ich mit F. nicht ganz
überein. Desgleichen in der Ablehnung jedes Gedankens an ein höheres Walten in der
Geschichte. Was war Rankes Jdeenlehre anderes? Und soll nun der Gedanke einer Mission
des deutschen Volkes im Völkerdasein, der uns heute wieder so nahe liegt, em Gedanke von
hoher ethischer Fruchtbarkeit, der Schule fernbleiben?

III.

Wird man auf dieses Bildungsideal die deutsche höhere Schule in Zukunft
gründen? Noch scheint die Säkulare Bedeutung dieses Wendepunktes unserer
nationalen Geschichte auch für unser Erziehungs- und Unterrichtswesen nicht
überall so anerkannt zu werden, wie bei jenem radikalen Gymnasialdirektor im
Schützengraben.*) Aber während ich dies schreibe, kommt mir eine erste
öffentliche Äußerung aus den Kreisen der deutschen Schulregierungen in die
Hände, deren Verfasser, der hessische Geheime Oberschulrat Block, in seinen
Zukunstsforderungen etwa die gleichen Wege geht wie der vorliegende Aufsatz.**)
Insbesondere bemerkenswert erscheint es, daß Block für die drei Fächer
Deutsch, Geschichte und Erdkunde im Verhältnis zum gegenwärtigen Stand die
doppelte Zahl an Unterrichtsstunden auf Kosten sonstiger Fächer in Aussicht
nimmt. In der Tat, man darf die Mühe und das Odium nicht scheuen, unter
den bisherigen Bestand der Unterrichtsgegenstände zu treten, um sie auf ihren
Bildungswert kritisch zu sichten und die dieser Prüfung nicht standhaltenden
Fächer rücksichtslos zurückzudrängen oder auszumerzen.

Daß derartige Notwendigkeiten auch im Volke gefühlt werden, ersieht man
zum Beispiel daraus, daß sich in Tageszeitungen bereits eine Erörterung über
die Frage erhoben hat, ob diese oder jene Fremdsprache nach dem Kriege in
unserem höheren Unterricht noch eine Stelle haben dürfe. Natürlich ist diese
Prüfung nicht nur für die Sprachen am Platze. In fehr verständiger Weise
ist die Frage des Bildungswertes in einem soeben erschienenen Buche „Stoffe
und Probleme des Geschichtsunterrichts***) von Fritz Friedrich erörtert worden
(Leipzig 1915, Teubner). Er geht von dem alten, aber in der Praxis immer
wieder übersehemn Grundsatz aus, daß unsere höheren Schulen nicht Vorschulen
für diesen oder jenen Beruf sein sollen, sondern daß ihr Unterricht die Auf¬
gabe hat, durch Schulung des Denkens, des Urteils und der Fähigkeit, selb¬
ständige geistige Arbeit zu leisten, eine allgemeine Grundlage für jede Art
wissenschaftlichen Studiums zu legen; die von der Erdenschwere unmittelbarer
praktischer Benutzbarkeit freien, allgemein bildenden Unterrichtszweige seien also
in den Vordergrund der Bewertung zu stellen. „Als solche müssen nicht





") Vergleiche Anmerkung Seite 141.
„Der Lehrplan der höheren Schulen nach dem Krieg", im Tag vom 29. Juni
1916. Man geht Wohl nicht fehl, wenn man hierin das Programm für die künftige höhere
Schule in Hessen erblickt, das hiermit die Führung auf dem Wege der Reform übernimmt^
Das Buch, aus dessen grundsätzlichen Teile ich hier einiges aushebe, kann in
einem Hauptteil, der didaktische Erörterungen und Winke enthält, an dieser Stelle nicht
weiter besprochen werden. Es sei jedoch den Geschichtslehrern unter der Grenzbotengememde
warm empfohlen. In der Bewertung der Staatengeschichte stimme ich mit F. nicht ganz
überein. Desgleichen in der Ablehnung jedes Gedankens an ein höheres Walten in der
Geschichte. Was war Rankes Jdeenlehre anderes? Und soll nun der Gedanke einer Mission
des deutschen Volkes im Völkerdasein, der uns heute wieder so nahe liegt, em Gedanke von
hoher ethischer Fruchtbarkeit, der Schule fernbleiben?
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[0155] III. Wird man auf dieses Bildungsideal die deutsche höhere Schule in Zukunft gründen? Noch scheint die Säkulare Bedeutung dieses Wendepunktes unserer nationalen Geschichte auch für unser Erziehungs- und Unterrichtswesen nicht überall so anerkannt zu werden, wie bei jenem radikalen Gymnasialdirektor im Schützengraben.*) Aber während ich dies schreibe, kommt mir eine erste öffentliche Äußerung aus den Kreisen der deutschen Schulregierungen in die Hände, deren Verfasser, der hessische Geheime Oberschulrat Block, in seinen Zukunstsforderungen etwa die gleichen Wege geht wie der vorliegende Aufsatz.**) Insbesondere bemerkenswert erscheint es, daß Block für die drei Fächer Deutsch, Geschichte und Erdkunde im Verhältnis zum gegenwärtigen Stand die doppelte Zahl an Unterrichtsstunden auf Kosten sonstiger Fächer in Aussicht nimmt. In der Tat, man darf die Mühe und das Odium nicht scheuen, unter den bisherigen Bestand der Unterrichtsgegenstände zu treten, um sie auf ihren Bildungswert kritisch zu sichten und die dieser Prüfung nicht standhaltenden Fächer rücksichtslos zurückzudrängen oder auszumerzen. Daß derartige Notwendigkeiten auch im Volke gefühlt werden, ersieht man zum Beispiel daraus, daß sich in Tageszeitungen bereits eine Erörterung über die Frage erhoben hat, ob diese oder jene Fremdsprache nach dem Kriege in unserem höheren Unterricht noch eine Stelle haben dürfe. Natürlich ist diese Prüfung nicht nur für die Sprachen am Platze. In fehr verständiger Weise ist die Frage des Bildungswertes in einem soeben erschienenen Buche „Stoffe und Probleme des Geschichtsunterrichts***) von Fritz Friedrich erörtert worden (Leipzig 1915, Teubner). Er geht von dem alten, aber in der Praxis immer wieder übersehemn Grundsatz aus, daß unsere höheren Schulen nicht Vorschulen für diesen oder jenen Beruf sein sollen, sondern daß ihr Unterricht die Auf¬ gabe hat, durch Schulung des Denkens, des Urteils und der Fähigkeit, selb¬ ständige geistige Arbeit zu leisten, eine allgemeine Grundlage für jede Art wissenschaftlichen Studiums zu legen; die von der Erdenschwere unmittelbarer praktischer Benutzbarkeit freien, allgemein bildenden Unterrichtszweige seien also in den Vordergrund der Bewertung zu stellen. „Als solche müssen nicht ") Vergleiche Anmerkung Seite 141. „Der Lehrplan der höheren Schulen nach dem Krieg", im Tag vom 29. Juni 1916. Man geht Wohl nicht fehl, wenn man hierin das Programm für die künftige höhere Schule in Hessen erblickt, das hiermit die Führung auf dem Wege der Reform übernimmt^ Das Buch, aus dessen grundsätzlichen Teile ich hier einiges aushebe, kann in einem Hauptteil, der didaktische Erörterungen und Winke enthält, an dieser Stelle nicht weiter besprochen werden. Es sei jedoch den Geschichtslehrern unter der Grenzbotengememde warm empfohlen. In der Bewertung der Staatengeschichte stimme ich mit F. nicht ganz überein. Desgleichen in der Ablehnung jedes Gedankens an ein höheres Walten in der Geschichte. Was war Rankes Jdeenlehre anderes? Und soll nun der Gedanke einer Mission des deutschen Volkes im Völkerdasein, der uns heute wieder so nahe liegt, em Gedanke von hoher ethischer Fruchtbarkeit, der Schule fernbleiben?

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341901_323972/155>, abgerufen am 19.05.2024.