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Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Drittes Vierteljahr.

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Die heutige Soldatensprache -- ein Vorschlag
zu ihrer Sammlung
Oberlehrer Dr. Alfred wolff von

ereinzelt, gelegentlich, so wie sie aus einem Feldpostbrief hervor¬
sprudeln, als Hör- und Sehenswürdigkeit erwähnt oder wegen
ihrer schlagkräftigen Treffsicherheit allgemein bekannt werden, tauchen
in der Öffentlichkeit Worte auf, mit denen die schaffende Phantasie
unserer Soldaten die deutsche Sprache wirkungsvoll bereichert hat.
Aus einer Gesinnung und Zeit geboren, ein bleibendes Zeugnis für die gestaltende
Kraft schöpferischen Volksgeistes, geben diese Um- und Neubildungen die Eindrücke
wieder, die der Soldat empfängt und gestaltet: ein seelisch hochgesteigerter,
einmaliger Zustand der Geschichte wird im Worte aufgefangen; unbewußt, aber
darum um so bedeutungsvoller werden diese Ausdrücke der Soldatensprache ein
kriegsgeschichtliches Dokument ersten Ranges für Mitwelt und Forscher, in dem
sich Stimmungen, Situationen, Gefühle und Bedürfnisse niederschlagen. Wie
kleine Steinchen eines Mosaiks stehen die Worte da, ein wundervoll treues
Abbild vom Leben und Weben einer großen Zeit; das Mosaik zusammenzusetzen,
daß daraus die Einheit von Sprache und Gesinnung hervorleuchte, oder, ohne
Bild gesprochen, diese Worte der Soldatensprache zu sammeln, in Forschung
und Darstellung in den großen Rahmen deutscher Entwicklung einzuspannen,
scheint mir lockende, lohnende Aufgabe und eine Ehrenpflicht, die die Wissenschaft
daheim den Menschen im Felde abstatten könnte und müßte.

Aber es wäre halt- und grundloser Hochmut, wenn eine solche Aufgabe
nur von Fachgelehrten unternommen würde; ihre Sache sei die Verarbeitung,
die Sammlung Aufgabe der Allgemeinheit, der ja die Träger und Schöpfer
dieser Sprache angehören; die Zusammenarbeit aber, die Annäherung von
Wissenschaft und Öffentlichkeit müßte eine für diesen Zweck geschaffene Organisation
in die Wege leiten, für deren Leitung etwa die deutsche Kommission der Berliner
Akademie der Wissenschaften oder sonst eine amtliche oder private, wissenschaftliche
Vereinigung in Betracht käme. Sie müßte sprachlich geschulte Hilfskräfte, entweder
jetzt schon oder sicher im Frieden, zur Verfügung haben, die über das Grammatische




Die heutige Soldatensprache — ein Vorschlag
zu ihrer Sammlung
Oberlehrer Dr. Alfred wolff von

ereinzelt, gelegentlich, so wie sie aus einem Feldpostbrief hervor¬
sprudeln, als Hör- und Sehenswürdigkeit erwähnt oder wegen
ihrer schlagkräftigen Treffsicherheit allgemein bekannt werden, tauchen
in der Öffentlichkeit Worte auf, mit denen die schaffende Phantasie
unserer Soldaten die deutsche Sprache wirkungsvoll bereichert hat.
Aus einer Gesinnung und Zeit geboren, ein bleibendes Zeugnis für die gestaltende
Kraft schöpferischen Volksgeistes, geben diese Um- und Neubildungen die Eindrücke
wieder, die der Soldat empfängt und gestaltet: ein seelisch hochgesteigerter,
einmaliger Zustand der Geschichte wird im Worte aufgefangen; unbewußt, aber
darum um so bedeutungsvoller werden diese Ausdrücke der Soldatensprache ein
kriegsgeschichtliches Dokument ersten Ranges für Mitwelt und Forscher, in dem
sich Stimmungen, Situationen, Gefühle und Bedürfnisse niederschlagen. Wie
kleine Steinchen eines Mosaiks stehen die Worte da, ein wundervoll treues
Abbild vom Leben und Weben einer großen Zeit; das Mosaik zusammenzusetzen,
daß daraus die Einheit von Sprache und Gesinnung hervorleuchte, oder, ohne
Bild gesprochen, diese Worte der Soldatensprache zu sammeln, in Forschung
und Darstellung in den großen Rahmen deutscher Entwicklung einzuspannen,
scheint mir lockende, lohnende Aufgabe und eine Ehrenpflicht, die die Wissenschaft
daheim den Menschen im Felde abstatten könnte und müßte.

Aber es wäre halt- und grundloser Hochmut, wenn eine solche Aufgabe
nur von Fachgelehrten unternommen würde; ihre Sache sei die Verarbeitung,
die Sammlung Aufgabe der Allgemeinheit, der ja die Träger und Schöpfer
dieser Sprache angehören; die Zusammenarbeit aber, die Annäherung von
Wissenschaft und Öffentlichkeit müßte eine für diesen Zweck geschaffene Organisation
in die Wege leiten, für deren Leitung etwa die deutsche Kommission der Berliner
Akademie der Wissenschaften oder sonst eine amtliche oder private, wissenschaftliche
Vereinigung in Betracht käme. Sie müßte sprachlich geschulte Hilfskräfte, entweder
jetzt schon oder sicher im Frieden, zur Verfügung haben, die über das Grammatische


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[0185] [Abbildung] Die heutige Soldatensprache — ein Vorschlag zu ihrer Sammlung Oberlehrer Dr. Alfred wolff von ereinzelt, gelegentlich, so wie sie aus einem Feldpostbrief hervor¬ sprudeln, als Hör- und Sehenswürdigkeit erwähnt oder wegen ihrer schlagkräftigen Treffsicherheit allgemein bekannt werden, tauchen in der Öffentlichkeit Worte auf, mit denen die schaffende Phantasie unserer Soldaten die deutsche Sprache wirkungsvoll bereichert hat. Aus einer Gesinnung und Zeit geboren, ein bleibendes Zeugnis für die gestaltende Kraft schöpferischen Volksgeistes, geben diese Um- und Neubildungen die Eindrücke wieder, die der Soldat empfängt und gestaltet: ein seelisch hochgesteigerter, einmaliger Zustand der Geschichte wird im Worte aufgefangen; unbewußt, aber darum um so bedeutungsvoller werden diese Ausdrücke der Soldatensprache ein kriegsgeschichtliches Dokument ersten Ranges für Mitwelt und Forscher, in dem sich Stimmungen, Situationen, Gefühle und Bedürfnisse niederschlagen. Wie kleine Steinchen eines Mosaiks stehen die Worte da, ein wundervoll treues Abbild vom Leben und Weben einer großen Zeit; das Mosaik zusammenzusetzen, daß daraus die Einheit von Sprache und Gesinnung hervorleuchte, oder, ohne Bild gesprochen, diese Worte der Soldatensprache zu sammeln, in Forschung und Darstellung in den großen Rahmen deutscher Entwicklung einzuspannen, scheint mir lockende, lohnende Aufgabe und eine Ehrenpflicht, die die Wissenschaft daheim den Menschen im Felde abstatten könnte und müßte. Aber es wäre halt- und grundloser Hochmut, wenn eine solche Aufgabe nur von Fachgelehrten unternommen würde; ihre Sache sei die Verarbeitung, die Sammlung Aufgabe der Allgemeinheit, der ja die Träger und Schöpfer dieser Sprache angehören; die Zusammenarbeit aber, die Annäherung von Wissenschaft und Öffentlichkeit müßte eine für diesen Zweck geschaffene Organisation in die Wege leiten, für deren Leitung etwa die deutsche Kommission der Berliner Akademie der Wissenschaften oder sonst eine amtliche oder private, wissenschaftliche Vereinigung in Betracht käme. Sie müßte sprachlich geschulte Hilfskräfte, entweder jetzt schon oder sicher im Frieden, zur Verfügung haben, die über das Grammatische

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341901_323972/185>, abgerufen am 18.05.2024.