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Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Drittes Vierteljahr.

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Die Notwendigkeit einer deutschen Pflichtjugendwehr
Amtsrichter Dr. Max Philipp von

inmer vernehmlicher, immer dringlicher tönt aus den verschiedensten
Lagern der Ruf nach Einführung der deutschen Zwangsjugendwehr
an unser Ohr. Nicht lange mehr kann Volksvertretung und
Regierung sich diesem aus der Volksmitte selbst hervorgehenden
Wunsch nach Ausgestaltung unserer Rüstung verschließen. In
der Tat steht nach der Auffassung maßgebender Kreise eine gesetzliche Regelung
vor der Tür, nach welcher die deutschen Jugendkompagnien eine pflichtmäßige
Einrichtung werden. Wir wissen nicht, welche Absichten im einzelnen die
Regierung hat. Die Ansichten derjenigen von uns, die seit Jahren in der
praktischen Jugendpflege stehen und jetzt als Leiter der militärischen Jugend¬
kompagnien ein Jahr lang neue Erfahrungen gesammelt haben, dürfen aber
nicht ungehört bleiben. Der Aufsatz von Dr. Warstat in Nummer 23 dieser
Zeitschrift mit seinen vortrefflichen Anregungen war deshalb mit besonderer
Freude zu begrüßen. Die folgenden Ausführungen sollen einen Versuch bedeuten,
jene Anregungen vom Standpunkt der in der praktischen Arbeit militärischer
Jugendvorbereitung gesammelten Erfahrung zu ergänzen und weiterzuführen.

Man ist sich heute darüber einig, daß der Grundsatz von der Freiwilligkeit
der Jugendwehr völlig versagt hat. Der Gedanke der Regierung, daß aus der
Kriegsbegeisternng der freie Entschluß, sich an den Übungen zu beteiligen, geboren
werden sollte, war ein schöner, echt deutschidealer, so gar nicht "militaristischer"
Gedanke, aber eine brauchbare Einrichtung hat er nicht geschaffen. Wer mit
der Jugend umgeht, weiß, daß sie für Widersprüche feinfühlig ist. Schnell
genug fühlte sie den Widerspruch heraus, daß man einerseits amtlich verkündete,
die militärische Jugenderziehung sei ein unbedingtes Erfordernis unserer Rüstung
in schwerster Zeit, anderseits in das freie Belieben jedes einzelnen die Teil¬
nahme an den militärischen Vorbereitungsübungen stellte. Wie oft ist uns der
Satz entgegengetreten: "Wenn die Sache wirklich so wichtig wäre, würde man
schon einen Druck auf uns auszuüben wissen". Die Beteiligungsziffer war denn
auch von vornherein so verschwindend klein, daß von einer allgemeinen Vorschule
für den Militärdienst, wie geplant war, keine Rede sein konnte. Im wesentlichen




Die Notwendigkeit einer deutschen Pflichtjugendwehr
Amtsrichter Dr. Max Philipp von

inmer vernehmlicher, immer dringlicher tönt aus den verschiedensten
Lagern der Ruf nach Einführung der deutschen Zwangsjugendwehr
an unser Ohr. Nicht lange mehr kann Volksvertretung und
Regierung sich diesem aus der Volksmitte selbst hervorgehenden
Wunsch nach Ausgestaltung unserer Rüstung verschließen. In
der Tat steht nach der Auffassung maßgebender Kreise eine gesetzliche Regelung
vor der Tür, nach welcher die deutschen Jugendkompagnien eine pflichtmäßige
Einrichtung werden. Wir wissen nicht, welche Absichten im einzelnen die
Regierung hat. Die Ansichten derjenigen von uns, die seit Jahren in der
praktischen Jugendpflege stehen und jetzt als Leiter der militärischen Jugend¬
kompagnien ein Jahr lang neue Erfahrungen gesammelt haben, dürfen aber
nicht ungehört bleiben. Der Aufsatz von Dr. Warstat in Nummer 23 dieser
Zeitschrift mit seinen vortrefflichen Anregungen war deshalb mit besonderer
Freude zu begrüßen. Die folgenden Ausführungen sollen einen Versuch bedeuten,
jene Anregungen vom Standpunkt der in der praktischen Arbeit militärischer
Jugendvorbereitung gesammelten Erfahrung zu ergänzen und weiterzuführen.

Man ist sich heute darüber einig, daß der Grundsatz von der Freiwilligkeit
der Jugendwehr völlig versagt hat. Der Gedanke der Regierung, daß aus der
Kriegsbegeisternng der freie Entschluß, sich an den Übungen zu beteiligen, geboren
werden sollte, war ein schöner, echt deutschidealer, so gar nicht „militaristischer"
Gedanke, aber eine brauchbare Einrichtung hat er nicht geschaffen. Wer mit
der Jugend umgeht, weiß, daß sie für Widersprüche feinfühlig ist. Schnell
genug fühlte sie den Widerspruch heraus, daß man einerseits amtlich verkündete,
die militärische Jugenderziehung sei ein unbedingtes Erfordernis unserer Rüstung
in schwerster Zeit, anderseits in das freie Belieben jedes einzelnen die Teil¬
nahme an den militärischen Vorbereitungsübungen stellte. Wie oft ist uns der
Satz entgegengetreten: „Wenn die Sache wirklich so wichtig wäre, würde man
schon einen Druck auf uns auszuüben wissen". Die Beteiligungsziffer war denn
auch von vornherein so verschwindend klein, daß von einer allgemeinen Vorschule
für den Militärdienst, wie geplant war, keine Rede sein konnte. Im wesentlichen


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[0258] [Abbildung] Die Notwendigkeit einer deutschen Pflichtjugendwehr Amtsrichter Dr. Max Philipp von inmer vernehmlicher, immer dringlicher tönt aus den verschiedensten Lagern der Ruf nach Einführung der deutschen Zwangsjugendwehr an unser Ohr. Nicht lange mehr kann Volksvertretung und Regierung sich diesem aus der Volksmitte selbst hervorgehenden Wunsch nach Ausgestaltung unserer Rüstung verschließen. In der Tat steht nach der Auffassung maßgebender Kreise eine gesetzliche Regelung vor der Tür, nach welcher die deutschen Jugendkompagnien eine pflichtmäßige Einrichtung werden. Wir wissen nicht, welche Absichten im einzelnen die Regierung hat. Die Ansichten derjenigen von uns, die seit Jahren in der praktischen Jugendpflege stehen und jetzt als Leiter der militärischen Jugend¬ kompagnien ein Jahr lang neue Erfahrungen gesammelt haben, dürfen aber nicht ungehört bleiben. Der Aufsatz von Dr. Warstat in Nummer 23 dieser Zeitschrift mit seinen vortrefflichen Anregungen war deshalb mit besonderer Freude zu begrüßen. Die folgenden Ausführungen sollen einen Versuch bedeuten, jene Anregungen vom Standpunkt der in der praktischen Arbeit militärischer Jugendvorbereitung gesammelten Erfahrung zu ergänzen und weiterzuführen. Man ist sich heute darüber einig, daß der Grundsatz von der Freiwilligkeit der Jugendwehr völlig versagt hat. Der Gedanke der Regierung, daß aus der Kriegsbegeisternng der freie Entschluß, sich an den Übungen zu beteiligen, geboren werden sollte, war ein schöner, echt deutschidealer, so gar nicht „militaristischer" Gedanke, aber eine brauchbare Einrichtung hat er nicht geschaffen. Wer mit der Jugend umgeht, weiß, daß sie für Widersprüche feinfühlig ist. Schnell genug fühlte sie den Widerspruch heraus, daß man einerseits amtlich verkündete, die militärische Jugenderziehung sei ein unbedingtes Erfordernis unserer Rüstung in schwerster Zeit, anderseits in das freie Belieben jedes einzelnen die Teil¬ nahme an den militärischen Vorbereitungsübungen stellte. Wie oft ist uns der Satz entgegengetreten: „Wenn die Sache wirklich so wichtig wäre, würde man schon einen Druck auf uns auszuüben wissen". Die Beteiligungsziffer war denn auch von vornherein so verschwindend klein, daß von einer allgemeinen Vorschule für den Militärdienst, wie geplant war, keine Rede sein konnte. Im wesentlichen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341901_323972/258>, abgerufen am 19.05.2024.