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Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Viertes Vierteljahr.

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Altpreußische Romantik in Polen

Klagenfurter "Deutschnationale Verein" in weiser Beschränkung verlangt hatte,
"ein freundnachbarliches Verhältnis beider Staaten", ward noch 1870/71 zur
vollen Wirklichkeit; nun bahnte sich jene Annäherung an, die am 7. Oktober 1879
zum Zweibund führte, der gerade in jenen Kreisen, die enthusiastisch die Errungen¬
schaften anno 1870/71 in ihren Sedan- und Reichskommersen, den Sieges¬
feiern begrüßt hatten, die mächtigste Stütze fand.

Nach den langen, unseligen Zeiten des Zweifels und nagendster nationaler
Sorge besteht heute der Bund Zollern-Habsburg seine Blutprobe, eben jener
Bund, den alle Deutschgesinnten schon anno 1870 so sehnlich herbeiwünschten
und der bereits sein Ehrenzeugnis erworben hat. Kein geringerer als der unver¬
geßliche, unsterbliche Scheffel hat ihn besungen in den Sieg- und zukunfts¬
freudigen Worten:




Altpreußische Romantik in Polen
Bruno Pompecki Von

ach der Schlacht bei Macicjowice 1794 bildete Praga das letzte
Bollwerk der Polen, das dann am 4. November unter Suworow
erstürmt wurde. Warschau kapitulierte am folgenden Tage. Ein
furchtbares Blutbad hatte den russischen Sieg geschändet. Alle
Greuel der Warschauer Straßenschlacht hat auch jener deutsche Schrift¬
steller als Leutnant in russischen Diensten durchgemacht, der in unserer Literatur
durch seinen "Spaziergang nach Syrakus" (1803) berühmt geworden ist:
I. G. Seume (1763 bis 1810), dem wir neben Zacharias Werner (1768 bis
1823) die zahlreichsten und wertvollsten Polengedichte jener Zeit verdanken
und der unter allen, die im achtzehnten Jahrhundert literarisch für oder gegen
Polen Partei nehmen, eine Mittelstellung einnimmt. Durch die dritte Teilung
Polens wurde Warschau, das aus der Städtezeit her einen starken Prozentsatz
deutscher Bürger besaß und unter Poniatowski Zentrum des internationalen
literarischen Verkehrs gewesen war, preußisch und blieb es bis 1806, jener Ort,
wohin 1775 Goethes Wetzlarer Tischgenosse August Friedrich von Gouü


Altpreußische Romantik in Polen

Klagenfurter „Deutschnationale Verein" in weiser Beschränkung verlangt hatte,
„ein freundnachbarliches Verhältnis beider Staaten", ward noch 1870/71 zur
vollen Wirklichkeit; nun bahnte sich jene Annäherung an, die am 7. Oktober 1879
zum Zweibund führte, der gerade in jenen Kreisen, die enthusiastisch die Errungen¬
schaften anno 1870/71 in ihren Sedan- und Reichskommersen, den Sieges¬
feiern begrüßt hatten, die mächtigste Stütze fand.

Nach den langen, unseligen Zeiten des Zweifels und nagendster nationaler
Sorge besteht heute der Bund Zollern-Habsburg seine Blutprobe, eben jener
Bund, den alle Deutschgesinnten schon anno 1870 so sehnlich herbeiwünschten
und der bereits sein Ehrenzeugnis erworben hat. Kein geringerer als der unver¬
geßliche, unsterbliche Scheffel hat ihn besungen in den Sieg- und zukunfts¬
freudigen Worten:




Altpreußische Romantik in Polen
Bruno Pompecki Von

ach der Schlacht bei Macicjowice 1794 bildete Praga das letzte
Bollwerk der Polen, das dann am 4. November unter Suworow
erstürmt wurde. Warschau kapitulierte am folgenden Tage. Ein
furchtbares Blutbad hatte den russischen Sieg geschändet. Alle
Greuel der Warschauer Straßenschlacht hat auch jener deutsche Schrift¬
steller als Leutnant in russischen Diensten durchgemacht, der in unserer Literatur
durch seinen „Spaziergang nach Syrakus" (1803) berühmt geworden ist:
I. G. Seume (1763 bis 1810), dem wir neben Zacharias Werner (1768 bis
1823) die zahlreichsten und wertvollsten Polengedichte jener Zeit verdanken
und der unter allen, die im achtzehnten Jahrhundert literarisch für oder gegen
Polen Partei nehmen, eine Mittelstellung einnimmt. Durch die dritte Teilung
Polens wurde Warschau, das aus der Städtezeit her einen starken Prozentsatz
deutscher Bürger besaß und unter Poniatowski Zentrum des internationalen
literarischen Verkehrs gewesen war, preußisch und blieb es bis 1806, jener Ort,
wohin 1775 Goethes Wetzlarer Tischgenosse August Friedrich von Gouü


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[0030] Altpreußische Romantik in Polen Klagenfurter „Deutschnationale Verein" in weiser Beschränkung verlangt hatte, „ein freundnachbarliches Verhältnis beider Staaten", ward noch 1870/71 zur vollen Wirklichkeit; nun bahnte sich jene Annäherung an, die am 7. Oktober 1879 zum Zweibund führte, der gerade in jenen Kreisen, die enthusiastisch die Errungen¬ schaften anno 1870/71 in ihren Sedan- und Reichskommersen, den Sieges¬ feiern begrüßt hatten, die mächtigste Stütze fand. Nach den langen, unseligen Zeiten des Zweifels und nagendster nationaler Sorge besteht heute der Bund Zollern-Habsburg seine Blutprobe, eben jener Bund, den alle Deutschgesinnten schon anno 1870 so sehnlich herbeiwünschten und der bereits sein Ehrenzeugnis erworben hat. Kein geringerer als der unver¬ geßliche, unsterbliche Scheffel hat ihn besungen in den Sieg- und zukunfts¬ freudigen Worten: Altpreußische Romantik in Polen Bruno Pompecki Von ach der Schlacht bei Macicjowice 1794 bildete Praga das letzte Bollwerk der Polen, das dann am 4. November unter Suworow erstürmt wurde. Warschau kapitulierte am folgenden Tage. Ein furchtbares Blutbad hatte den russischen Sieg geschändet. Alle Greuel der Warschauer Straßenschlacht hat auch jener deutsche Schrift¬ steller als Leutnant in russischen Diensten durchgemacht, der in unserer Literatur durch seinen „Spaziergang nach Syrakus" (1803) berühmt geworden ist: I. G. Seume (1763 bis 1810), dem wir neben Zacharias Werner (1768 bis 1823) die zahlreichsten und wertvollsten Polengedichte jener Zeit verdanken und der unter allen, die im achtzehnten Jahrhundert literarisch für oder gegen Polen Partei nehmen, eine Mittelstellung einnimmt. Durch die dritte Teilung Polens wurde Warschau, das aus der Städtezeit her einen starken Prozentsatz deutscher Bürger besaß und unter Poniatowski Zentrum des internationalen literarischen Verkehrs gewesen war, preußisch und blieb es bis 1806, jener Ort, wohin 1775 Goethes Wetzlarer Tischgenosse August Friedrich von Gouü

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341901_324408/30>, abgerufen am 05.05.2024.