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Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Viertes Vierteljahr.

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Die Heimarbeit
als Invaliden- und Witwenbeschäftigung?
Dr. Buetz von

b es sich nun an die Arbeitsbeschaffung für die auf dem Lande
anzusiedelnden Kriegerwitwen für die Wintermonate handelt, ob
man die Frage der Beschaffung entlohnter Arbeit für Witwen
in den Städten erörtert, oder über die Verdienstmöglichkeiten
des Kriegsinvaliden nach dem Kriege und bereits zur Jetztzeit
verhandelt, immer kehren die Hinweise ans die Heimarbeit wieder.

Weiten Kreisen unserer Bevölkerung wird die Heimarbeit als ein Rettungs¬
anker angepriesen; taufenden von vernichteten Existenzen wird fast täglich in
Tageszeitungen, in Aufsätzen oder in irgendeinem wohlgemeinten Flugblatts
auseinandergesetzt, daß sie ihr und ihrer Familie Leben durch Heimarbeit werden
fristen können, falls ihnen andere Verdienstmöglichkeiten durch eine eingetretene
Invalidität, oder die Unmöglichkeit einer außerhäuslichen Tätigkeit nicht mehr
offen stehen. Gegenüber dieser großen Propaganda für die Heimarbeit, muß
man sich doch fragen, ob man ihr ohne weiteres seine Geleitschaft geben kaun,
oder ob man es nicht ganz im Gegenteile für äußerst schädlich und gewagt
halte" muß, daß in so weite Kreise unserer Bevölkerung die Zuversicht hinein¬
getragen wird, die Heimarbeit als Rückhalt für die Neubildung einer Existenz
ansehen zu können!

Bezüglich der Notwendigkeit, den durch den Krieg gefährdeten Existenzen,
-- sei nun die Eristeuzgefährdung durch die eingetretene Invalidität des
erwerbenden Mannes, oder durch den Kriegstot des Ernährers herbeigeführt, --
ein neues Arbeitsfeld zu erschließen, besteht heute ja kein Zweifel mehr. Die
Familienmutter bedarf der notwendigen Ergänzung der nur bescheidenen Staats¬
rente, die kinderlosen Frauen benötigen einer Arbeit, um sie vor Müßiggang
zu bewahren, für die Invaliden aber wäre es ebenso unheilvoll wie für die
Allgemeinheit, wollte man sich nur mit einer Forderung der Erweiterung der
heutigen materiellen sozialen Hilfen begnügen. Je mehr Anregungen zu den
beruflichen Fragen gegeben werden, umso begrüßenswerter ist dies, nichts aber
ist unheilvoller, als ein ganzes System ans eine lange Reihe falscher Voraus¬
setzungen zu gründen! . . Innerhalb der starken Bewegung für die Heimarbeits-




Die Heimarbeit
als Invaliden- und Witwenbeschäftigung?
Dr. Buetz von

b es sich nun an die Arbeitsbeschaffung für die auf dem Lande
anzusiedelnden Kriegerwitwen für die Wintermonate handelt, ob
man die Frage der Beschaffung entlohnter Arbeit für Witwen
in den Städten erörtert, oder über die Verdienstmöglichkeiten
des Kriegsinvaliden nach dem Kriege und bereits zur Jetztzeit
verhandelt, immer kehren die Hinweise ans die Heimarbeit wieder.

Weiten Kreisen unserer Bevölkerung wird die Heimarbeit als ein Rettungs¬
anker angepriesen; taufenden von vernichteten Existenzen wird fast täglich in
Tageszeitungen, in Aufsätzen oder in irgendeinem wohlgemeinten Flugblatts
auseinandergesetzt, daß sie ihr und ihrer Familie Leben durch Heimarbeit werden
fristen können, falls ihnen andere Verdienstmöglichkeiten durch eine eingetretene
Invalidität, oder die Unmöglichkeit einer außerhäuslichen Tätigkeit nicht mehr
offen stehen. Gegenüber dieser großen Propaganda für die Heimarbeit, muß
man sich doch fragen, ob man ihr ohne weiteres seine Geleitschaft geben kaun,
oder ob man es nicht ganz im Gegenteile für äußerst schädlich und gewagt
halte» muß, daß in so weite Kreise unserer Bevölkerung die Zuversicht hinein¬
getragen wird, die Heimarbeit als Rückhalt für die Neubildung einer Existenz
ansehen zu können!

Bezüglich der Notwendigkeit, den durch den Krieg gefährdeten Existenzen,
— sei nun die Eristeuzgefährdung durch die eingetretene Invalidität des
erwerbenden Mannes, oder durch den Kriegstot des Ernährers herbeigeführt, —
ein neues Arbeitsfeld zu erschließen, besteht heute ja kein Zweifel mehr. Die
Familienmutter bedarf der notwendigen Ergänzung der nur bescheidenen Staats¬
rente, die kinderlosen Frauen benötigen einer Arbeit, um sie vor Müßiggang
zu bewahren, für die Invaliden aber wäre es ebenso unheilvoll wie für die
Allgemeinheit, wollte man sich nur mit einer Forderung der Erweiterung der
heutigen materiellen sozialen Hilfen begnügen. Je mehr Anregungen zu den
beruflichen Fragen gegeben werden, umso begrüßenswerter ist dies, nichts aber
ist unheilvoller, als ein ganzes System ans eine lange Reihe falscher Voraus¬
setzungen zu gründen! . . Innerhalb der starken Bewegung für die Heimarbeits-


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[0312] [Abbildung] Die Heimarbeit als Invaliden- und Witwenbeschäftigung? Dr. Buetz von b es sich nun an die Arbeitsbeschaffung für die auf dem Lande anzusiedelnden Kriegerwitwen für die Wintermonate handelt, ob man die Frage der Beschaffung entlohnter Arbeit für Witwen in den Städten erörtert, oder über die Verdienstmöglichkeiten des Kriegsinvaliden nach dem Kriege und bereits zur Jetztzeit verhandelt, immer kehren die Hinweise ans die Heimarbeit wieder. Weiten Kreisen unserer Bevölkerung wird die Heimarbeit als ein Rettungs¬ anker angepriesen; taufenden von vernichteten Existenzen wird fast täglich in Tageszeitungen, in Aufsätzen oder in irgendeinem wohlgemeinten Flugblatts auseinandergesetzt, daß sie ihr und ihrer Familie Leben durch Heimarbeit werden fristen können, falls ihnen andere Verdienstmöglichkeiten durch eine eingetretene Invalidität, oder die Unmöglichkeit einer außerhäuslichen Tätigkeit nicht mehr offen stehen. Gegenüber dieser großen Propaganda für die Heimarbeit, muß man sich doch fragen, ob man ihr ohne weiteres seine Geleitschaft geben kaun, oder ob man es nicht ganz im Gegenteile für äußerst schädlich und gewagt halte» muß, daß in so weite Kreise unserer Bevölkerung die Zuversicht hinein¬ getragen wird, die Heimarbeit als Rückhalt für die Neubildung einer Existenz ansehen zu können! Bezüglich der Notwendigkeit, den durch den Krieg gefährdeten Existenzen, — sei nun die Eristeuzgefährdung durch die eingetretene Invalidität des erwerbenden Mannes, oder durch den Kriegstot des Ernährers herbeigeführt, — ein neues Arbeitsfeld zu erschließen, besteht heute ja kein Zweifel mehr. Die Familienmutter bedarf der notwendigen Ergänzung der nur bescheidenen Staats¬ rente, die kinderlosen Frauen benötigen einer Arbeit, um sie vor Müßiggang zu bewahren, für die Invaliden aber wäre es ebenso unheilvoll wie für die Allgemeinheit, wollte man sich nur mit einer Forderung der Erweiterung der heutigen materiellen sozialen Hilfen begnügen. Je mehr Anregungen zu den beruflichen Fragen gegeben werden, umso begrüßenswerter ist dies, nichts aber ist unheilvoller, als ein ganzes System ans eine lange Reihe falscher Voraus¬ setzungen zu gründen! . . Innerhalb der starken Bewegung für die Heimarbeits-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341901_324408/312>, abgerufen am 05.05.2024.