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Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Viertes Vierteljahr.

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Die Heimarbeit als Invalide"- und witwenbeschäftigmig?

beschäftigung sowohl unserer invaliden Krieger als auch der Kriegerwitwen,
ist man auf dem besten Wege, von dieser unheilvollen Praxis Gebrauch zu
machen.

Heimarbeit! . . . Nein, hier soll nicht von dem Elend gesprochen werden,
das sich mit diesem Worte verbindet und in der Heimarbeitsausstellung im
Jahre 1906 offensichtlich geworden ist; es soll nur einmal kühl und sachlich
klargelegt werden, was unsere Invaliden und Kriegerwitwen mit der Heimarbeit
in Wirklichkeit erreichen können. -- Da die Heimarbeit zu ihrem Hauptteile Frauen¬
arbeit ist, mögen die Aussichten der Frauenarbeit, soweit sie die Kriegerwitwen
betreffen, hier zuerst behandelt werden.

Die Tageszeitungen und sonstigen verbreiteten Organe stellen sür die ge¬
werbliche Beschäftigung der Kriegerwitwe die Ansiedelung aus dem Lande und
die Heimarbeit, oder eine Verflechtung beider Berufe in den Vordergrund.
Man stellt die These auf: in den Sommermonaten arbeitet die Frau in
dem genossenschaftlichen Landbetriebe, der arbeitsarme Landwinter wird mit
der Heimarbeit ausgefüllt! Von wie falschen Voraussetzungen läßt man sich
hier leiten! Es besteht da zuvörderst die falsche Annahme, daß Heimarbeit
regelmäßig zu erlangen sein wird; die Wirklichkeit aber hat das folgende Gesicht:
die Heimarbeit ist einer der am schlechtbesten organisierten Erwerbszweige,
der Weg der Selbsthilfe kommt hier kaum in Betracht, alle Einwirkungen
gewerkschaftlicher Organisationen auf die Arbeitsbedingungen fehlen. Kräftige
Organisationsbestrebungen haben wir eigentlich nur in der Konfektionsindustrie
zu verzeichnen und doch sind die Leiter der organisierten Arbeiterschaft auch
hier nicht selten von den Organisierten selbst im Stiche gelassen worden. Die
weibliche Arbeiterschaft in der Heimindustrie ist nach zehnjährigen, unermüdlichen
und opferwilligen Bemühungen der Beraterinnen und Helferinnen der Heim-
arbeiteriunenorganisation endlich auf 10000Organisierte angewachsen und zwar sind
laut Bericht der "Heimarbeiterin" in der Märznummer 1915, in Preußen 7026, in
Hamburg 930. in Sachsen 711, in Bayern 689, in Württemberg 547 und in
Hessen 256 Heimarbeiterinnen organisiert. Vergegenwärtigt man sich diesen
Zahlen gegenüber, daß allein in der Koufektionsvranche der Heimarbeit 50281,
bei der Spitzenanfertigung 1097", bei der Handschuhnäherei 9196, bei
der Strumpfwarenbranche 8161 Frauen tätig waren, bedenkt man, daß eine
überragende Frauenheimarbeit in der Fabrikation von Blumen- und Feder¬
schmuck, in der Flechterei, Wüscherei, Krawattenherstellung, Posamenten-
Herstellung, Stickerei, Strohhutfabrikation, in der Puppen- und Spielsachen¬
industrie, besteht, so wird man erkennen, daß diese 10000 mühevollOrganisierten
heut noch dem Tropfen ans dem heißen Steine gleichen und einen Erfolg nur
insoweit darstellen, als man vor einem Jahrzehnt überhaupt an der
Möglichkeit einer Organisation weiblicher Heimarbeit zweifeln mußte.

Außer an ihrer Organisationslosigkeit krankt die Heimarbeit an einer ständigen
Überfüllung und einem damit verbundeneu ständigen Lohndruck. Wer bildet


so*
Die Heimarbeit als Invalide»- und witwenbeschäftigmig?

beschäftigung sowohl unserer invaliden Krieger als auch der Kriegerwitwen,
ist man auf dem besten Wege, von dieser unheilvollen Praxis Gebrauch zu
machen.

Heimarbeit! . . . Nein, hier soll nicht von dem Elend gesprochen werden,
das sich mit diesem Worte verbindet und in der Heimarbeitsausstellung im
Jahre 1906 offensichtlich geworden ist; es soll nur einmal kühl und sachlich
klargelegt werden, was unsere Invaliden und Kriegerwitwen mit der Heimarbeit
in Wirklichkeit erreichen können. — Da die Heimarbeit zu ihrem Hauptteile Frauen¬
arbeit ist, mögen die Aussichten der Frauenarbeit, soweit sie die Kriegerwitwen
betreffen, hier zuerst behandelt werden.

Die Tageszeitungen und sonstigen verbreiteten Organe stellen sür die ge¬
werbliche Beschäftigung der Kriegerwitwe die Ansiedelung aus dem Lande und
die Heimarbeit, oder eine Verflechtung beider Berufe in den Vordergrund.
Man stellt die These auf: in den Sommermonaten arbeitet die Frau in
dem genossenschaftlichen Landbetriebe, der arbeitsarme Landwinter wird mit
der Heimarbeit ausgefüllt! Von wie falschen Voraussetzungen läßt man sich
hier leiten! Es besteht da zuvörderst die falsche Annahme, daß Heimarbeit
regelmäßig zu erlangen sein wird; die Wirklichkeit aber hat das folgende Gesicht:
die Heimarbeit ist einer der am schlechtbesten organisierten Erwerbszweige,
der Weg der Selbsthilfe kommt hier kaum in Betracht, alle Einwirkungen
gewerkschaftlicher Organisationen auf die Arbeitsbedingungen fehlen. Kräftige
Organisationsbestrebungen haben wir eigentlich nur in der Konfektionsindustrie
zu verzeichnen und doch sind die Leiter der organisierten Arbeiterschaft auch
hier nicht selten von den Organisierten selbst im Stiche gelassen worden. Die
weibliche Arbeiterschaft in der Heimindustrie ist nach zehnjährigen, unermüdlichen
und opferwilligen Bemühungen der Beraterinnen und Helferinnen der Heim-
arbeiteriunenorganisation endlich auf 10000Organisierte angewachsen und zwar sind
laut Bericht der „Heimarbeiterin" in der Märznummer 1915, in Preußen 7026, in
Hamburg 930. in Sachsen 711, in Bayern 689, in Württemberg 547 und in
Hessen 256 Heimarbeiterinnen organisiert. Vergegenwärtigt man sich diesen
Zahlen gegenüber, daß allein in der Koufektionsvranche der Heimarbeit 50281,
bei der Spitzenanfertigung 1097«, bei der Handschuhnäherei 9196, bei
der Strumpfwarenbranche 8161 Frauen tätig waren, bedenkt man, daß eine
überragende Frauenheimarbeit in der Fabrikation von Blumen- und Feder¬
schmuck, in der Flechterei, Wüscherei, Krawattenherstellung, Posamenten-
Herstellung, Stickerei, Strohhutfabrikation, in der Puppen- und Spielsachen¬
industrie, besteht, so wird man erkennen, daß diese 10000 mühevollOrganisierten
heut noch dem Tropfen ans dem heißen Steine gleichen und einen Erfolg nur
insoweit darstellen, als man vor einem Jahrzehnt überhaupt an der
Möglichkeit einer Organisation weiblicher Heimarbeit zweifeln mußte.

Außer an ihrer Organisationslosigkeit krankt die Heimarbeit an einer ständigen
Überfüllung und einem damit verbundeneu ständigen Lohndruck. Wer bildet


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[0313] Die Heimarbeit als Invalide»- und witwenbeschäftigmig? beschäftigung sowohl unserer invaliden Krieger als auch der Kriegerwitwen, ist man auf dem besten Wege, von dieser unheilvollen Praxis Gebrauch zu machen. Heimarbeit! . . . Nein, hier soll nicht von dem Elend gesprochen werden, das sich mit diesem Worte verbindet und in der Heimarbeitsausstellung im Jahre 1906 offensichtlich geworden ist; es soll nur einmal kühl und sachlich klargelegt werden, was unsere Invaliden und Kriegerwitwen mit der Heimarbeit in Wirklichkeit erreichen können. — Da die Heimarbeit zu ihrem Hauptteile Frauen¬ arbeit ist, mögen die Aussichten der Frauenarbeit, soweit sie die Kriegerwitwen betreffen, hier zuerst behandelt werden. Die Tageszeitungen und sonstigen verbreiteten Organe stellen sür die ge¬ werbliche Beschäftigung der Kriegerwitwe die Ansiedelung aus dem Lande und die Heimarbeit, oder eine Verflechtung beider Berufe in den Vordergrund. Man stellt die These auf: in den Sommermonaten arbeitet die Frau in dem genossenschaftlichen Landbetriebe, der arbeitsarme Landwinter wird mit der Heimarbeit ausgefüllt! Von wie falschen Voraussetzungen läßt man sich hier leiten! Es besteht da zuvörderst die falsche Annahme, daß Heimarbeit regelmäßig zu erlangen sein wird; die Wirklichkeit aber hat das folgende Gesicht: die Heimarbeit ist einer der am schlechtbesten organisierten Erwerbszweige, der Weg der Selbsthilfe kommt hier kaum in Betracht, alle Einwirkungen gewerkschaftlicher Organisationen auf die Arbeitsbedingungen fehlen. Kräftige Organisationsbestrebungen haben wir eigentlich nur in der Konfektionsindustrie zu verzeichnen und doch sind die Leiter der organisierten Arbeiterschaft auch hier nicht selten von den Organisierten selbst im Stiche gelassen worden. Die weibliche Arbeiterschaft in der Heimindustrie ist nach zehnjährigen, unermüdlichen und opferwilligen Bemühungen der Beraterinnen und Helferinnen der Heim- arbeiteriunenorganisation endlich auf 10000Organisierte angewachsen und zwar sind laut Bericht der „Heimarbeiterin" in der Märznummer 1915, in Preußen 7026, in Hamburg 930. in Sachsen 711, in Bayern 689, in Württemberg 547 und in Hessen 256 Heimarbeiterinnen organisiert. Vergegenwärtigt man sich diesen Zahlen gegenüber, daß allein in der Koufektionsvranche der Heimarbeit 50281, bei der Spitzenanfertigung 1097«, bei der Handschuhnäherei 9196, bei der Strumpfwarenbranche 8161 Frauen tätig waren, bedenkt man, daß eine überragende Frauenheimarbeit in der Fabrikation von Blumen- und Feder¬ schmuck, in der Flechterei, Wüscherei, Krawattenherstellung, Posamenten- Herstellung, Stickerei, Strohhutfabrikation, in der Puppen- und Spielsachen¬ industrie, besteht, so wird man erkennen, daß diese 10000 mühevollOrganisierten heut noch dem Tropfen ans dem heißen Steine gleichen und einen Erfolg nur insoweit darstellen, als man vor einem Jahrzehnt überhaupt an der Möglichkeit einer Organisation weiblicher Heimarbeit zweifeln mußte. Außer an ihrer Organisationslosigkeit krankt die Heimarbeit an einer ständigen Überfüllung und einem damit verbundeneu ständigen Lohndruck. Wer bildet so*

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341901_324408/313>, abgerufen am 24.05.2024.