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Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Erstes Vierteljahr.

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Maßgebliches und Unmaßgebliches

[Beginn Spaltensatz]
Philosophie

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sophie bei aller systematischen Strenge ge¬
geben ist, auch ein breiteres Bildungspublikum
an ernsthafte philosophische Probleme heran¬
zuführen, und in den Fragen, die der All-
tagsjournalismus mit dem abgenutzten Werk¬
zeug der gedanklichen Konvention bearbeitet,
ihre auf allgemeinere systematische Zusammen¬
hänge weiterweisende Problematik aufzudecken.
Und noch deutlicher vielleicht als in den
früheren wissenschaftlicheren Werken tritt hier
zutage, daß der Schelersche Gedanke zu breit
ist, um im Nahmen einer Schulphilosophie
Platz zu haben. Teile er mit den Göttingern
auch die formale Methode der Wesensschau:
der ideale Gehalt seines Werks weist auf
andere reichere Quellen, und das so entstan¬
dene Ganze erweist sich als ein blutvollerer,
plastischerer Organismus als die bei aller
Subtilität doch ein wenig dünne Analyse
Husserls.

Indem nun so die ideellen Quellflüsse, die
hier sich zu einem stark mitreißenden Strome
zusammengefunden haben, aus den verschie¬
densten Richtungen entsprungen sind, kann
auch Zustimmung und Widerspruch sich viel
weniger eindeutig entscheiden, als etwa
Husserl gegenüber. Was Conrad Ferdinand
Meyer seinen Hütten sagen läßt:
"Das heißt: ich bin kein ausgeklügelt Buch,
Ich bin ein Mensch mit seinem Widerspruch"
das gilt auch in hervorragendem Maße von
der denkerischen Person Schelers. So ver¬
einigt sich in ihr mit einer fast romantischen
Haltung gegenüber dem mittelalterlichen
Katholizismus und einer scharfen Ablehnung
der neuzeitlichen Einheit von Protestantismus,
Kritizismus, Kapitalismus doch ein merk¬
würdig entschlossener Wille, diese neuzeitlichen
Ideen nun gerade zu Ende zu denken, um so
an ihre Grenze zu gelangen und erst dort
die neuen positiven Ideen anzusetzen. Der


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Maßgebliches und Unmaßgebliches

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Philosophie

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sophie bei aller systematischen Strenge ge¬
geben ist, auch ein breiteres Bildungspublikum
an ernsthafte philosophische Probleme heran¬
zuführen, und in den Fragen, die der All-
tagsjournalismus mit dem abgenutzten Werk¬
zeug der gedanklichen Konvention bearbeitet,
ihre auf allgemeinere systematische Zusammen¬
hänge weiterweisende Problematik aufzudecken.
Und noch deutlicher vielleicht als in den
früheren wissenschaftlicheren Werken tritt hier
zutage, daß der Schelersche Gedanke zu breit
ist, um im Nahmen einer Schulphilosophie
Platz zu haben. Teile er mit den Göttingern
auch die formale Methode der Wesensschau:
der ideale Gehalt seines Werks weist auf
andere reichere Quellen, und das so entstan¬
dene Ganze erweist sich als ein blutvollerer,
plastischerer Organismus als die bei aller
Subtilität doch ein wenig dünne Analyse
Husserls.

Indem nun so die ideellen Quellflüsse, die
hier sich zu einem stark mitreißenden Strome
zusammengefunden haben, aus den verschie¬
densten Richtungen entsprungen sind, kann
auch Zustimmung und Widerspruch sich viel
weniger eindeutig entscheiden, als etwa
Husserl gegenüber. Was Conrad Ferdinand
Meyer seinen Hütten sagen läßt:
„Das heißt: ich bin kein ausgeklügelt Buch,
Ich bin ein Mensch mit seinem Widerspruch"
das gilt auch in hervorragendem Maße von
der denkerischen Person Schelers. So ver¬
einigt sich in ihr mit einer fast romantischen
Haltung gegenüber dem mittelalterlichen
Katholizismus und einer scharfen Ablehnung
der neuzeitlichen Einheit von Protestantismus,
Kritizismus, Kapitalismus doch ein merk¬
würdig entschlossener Wille, diese neuzeitlichen
Ideen nun gerade zu Ende zu denken, um so
an ihre Grenze zu gelangen und erst dort
die neuen positiven Ideen anzusetzen. Der


[Ende Spaltensatz]


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[0294] [Abbildung] Maßgebliches und Unmaßgebliches Philosophie sophie bei aller systematischen Strenge ge¬ geben ist, auch ein breiteres Bildungspublikum an ernsthafte philosophische Probleme heran¬ zuführen, und in den Fragen, die der All- tagsjournalismus mit dem abgenutzten Werk¬ zeug der gedanklichen Konvention bearbeitet, ihre auf allgemeinere systematische Zusammen¬ hänge weiterweisende Problematik aufzudecken. Und noch deutlicher vielleicht als in den früheren wissenschaftlicheren Werken tritt hier zutage, daß der Schelersche Gedanke zu breit ist, um im Nahmen einer Schulphilosophie Platz zu haben. Teile er mit den Göttingern auch die formale Methode der Wesensschau: der ideale Gehalt seines Werks weist auf andere reichere Quellen, und das so entstan¬ dene Ganze erweist sich als ein blutvollerer, plastischerer Organismus als die bei aller Subtilität doch ein wenig dünne Analyse Husserls. Indem nun so die ideellen Quellflüsse, die hier sich zu einem stark mitreißenden Strome zusammengefunden haben, aus den verschie¬ densten Richtungen entsprungen sind, kann auch Zustimmung und Widerspruch sich viel weniger eindeutig entscheiden, als etwa Husserl gegenüber. Was Conrad Ferdinand Meyer seinen Hütten sagen läßt: „Das heißt: ich bin kein ausgeklügelt Buch, Ich bin ein Mensch mit seinem Widerspruch" das gilt auch in hervorragendem Maße von der denkerischen Person Schelers. So ver¬ einigt sich in ihr mit einer fast romantischen Haltung gegenüber dem mittelalterlichen Katholizismus und einer scharfen Ablehnung der neuzeitlichen Einheit von Protestantismus, Kritizismus, Kapitalismus doch ein merk¬ würdig entschlossener Wille, diese neuzeitlichen Ideen nun gerade zu Ende zu denken, um so an ihre Grenze zu gelangen und erst dort die neuen positiven Ideen anzusetzen. Der

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341903_329665/294>, abgerufen am 30.04.2024.