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Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Drittes Vierteljahr.

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Amerika als tert!u8 ^auäen8 im Weltkrieg
Fritz Roll von

AM^
Mi
V- s ist Tatsache, daß die Mechanik des anglo-amerikanischen Geistes
für die germanischen Völker so lange ein unverstehbares Pharo-
!men bleiben wird, als es dem Militarismus, dieser lediglich auf
das Zweckmäßige und Vorteilhafte gerichteten Denkungsweise ver¬
sagt bleibt, sich derart in germanisches Geistes- und Empfindungs¬
leben einzufressen, daß er in ihm zum ausschlaggebenden Faktor wird und alle
durch eine ethisch-moralische Weltanschauung wacherhaltenen Regungen als über¬
wundene Sentimentalitäten zur Seite schiebt. Ein Volk, das. wie die Nord¬
amerikaner englischer Herkunft, im Geldverdienen seinen einzigen, auf alle
Fülle aber seinen höchsten Daseinszweck erkannt hat, und das sich in Hinsicht
auf die anzuwendenden Mittel, oft auf Kosten seiner moralischen Qualitäten,
die schrankenloseste Weitherzigkeit und Freiheit gestatten zu dürfen glaubt, wird
dem germanischen Menschenschlage, dessen Denk- und Handlungsweise in dem
kategorischen Imperativ der strengsten Pflichterfüllung ihren charakteristischen
Ausdruck findet, noch auf lange Zeit hinaus innerlich fremd bleiben. Diese
Erkenntnis muß dem Deutschen stets gegenwärtig bleiben, wenn er es unter¬
nimmt, die Auffassung des Amerikaners über Neutralität und die aus dieser
entspringenden Handlungsweisen und Gepflogenheiten während des Weltkrieges
seinem Verständnis näher bringen zu wollen.

Die Kenner amerikanischer Verhältnisse waren sich schon längst vor Aus¬
bruch des Weltkrieges bewußt, daß man in den Kreisen der amerikanischen
Finanz und Industrie mit der Möglichkeit eines europäischen Krieges als mit
der Aussicht auf äußerst günstige Geschäftszeiten rechnete, und daß auch
ein großer Teil der Nordamerikaner, die deutschen Herkommens sind, sich dieser
Anschauung angeschlossen hatte. Ihnen blieb daher die große Enttäuschung
erspart, die das deutsche Volk und seine Verbündeten befiel, als im Oktober
1914 die erste Kunde von den amerikanischen Kriegslieferungen an die Entente-
staaten zu uns herüber kam. Das deutsche Volk sah in diesen nach und nach
ins Phantastische wachsenden Lieferungen von Kriegsgeräten und Munition an
seine Feinde eine feindselige Stellungsnahme, die nach seinem völkerrechtlichen
Empfinden nicht mit der von der amerikanischen Regierung zugesicherten Neu¬
tralität in Einklang zu bringen war. Seinen amtlichen Ausdruck fand diese
deutsche Auffassung der Sachlage in den Vorstellungen, die der deutsche Bot-




Amerika als tert!u8 ^auäen8 im Weltkrieg
Fritz Roll von

AM^
Mi
V- s ist Tatsache, daß die Mechanik des anglo-amerikanischen Geistes
für die germanischen Völker so lange ein unverstehbares Pharo-
!men bleiben wird, als es dem Militarismus, dieser lediglich auf
das Zweckmäßige und Vorteilhafte gerichteten Denkungsweise ver¬
sagt bleibt, sich derart in germanisches Geistes- und Empfindungs¬
leben einzufressen, daß er in ihm zum ausschlaggebenden Faktor wird und alle
durch eine ethisch-moralische Weltanschauung wacherhaltenen Regungen als über¬
wundene Sentimentalitäten zur Seite schiebt. Ein Volk, das. wie die Nord¬
amerikaner englischer Herkunft, im Geldverdienen seinen einzigen, auf alle
Fülle aber seinen höchsten Daseinszweck erkannt hat, und das sich in Hinsicht
auf die anzuwendenden Mittel, oft auf Kosten seiner moralischen Qualitäten,
die schrankenloseste Weitherzigkeit und Freiheit gestatten zu dürfen glaubt, wird
dem germanischen Menschenschlage, dessen Denk- und Handlungsweise in dem
kategorischen Imperativ der strengsten Pflichterfüllung ihren charakteristischen
Ausdruck findet, noch auf lange Zeit hinaus innerlich fremd bleiben. Diese
Erkenntnis muß dem Deutschen stets gegenwärtig bleiben, wenn er es unter¬
nimmt, die Auffassung des Amerikaners über Neutralität und die aus dieser
entspringenden Handlungsweisen und Gepflogenheiten während des Weltkrieges
seinem Verständnis näher bringen zu wollen.

Die Kenner amerikanischer Verhältnisse waren sich schon längst vor Aus¬
bruch des Weltkrieges bewußt, daß man in den Kreisen der amerikanischen
Finanz und Industrie mit der Möglichkeit eines europäischen Krieges als mit
der Aussicht auf äußerst günstige Geschäftszeiten rechnete, und daß auch
ein großer Teil der Nordamerikaner, die deutschen Herkommens sind, sich dieser
Anschauung angeschlossen hatte. Ihnen blieb daher die große Enttäuschung
erspart, die das deutsche Volk und seine Verbündeten befiel, als im Oktober
1914 die erste Kunde von den amerikanischen Kriegslieferungen an die Entente-
staaten zu uns herüber kam. Das deutsche Volk sah in diesen nach und nach
ins Phantastische wachsenden Lieferungen von Kriegsgeräten und Munition an
seine Feinde eine feindselige Stellungsnahme, die nach seinem völkerrechtlichen
Empfinden nicht mit der von der amerikanischen Regierung zugesicherten Neu¬
tralität in Einklang zu bringen war. Seinen amtlichen Ausdruck fand diese
deutsche Auffassung der Sachlage in den Vorstellungen, die der deutsche Bot-


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[0310] [Abbildung] Amerika als tert!u8 ^auäen8 im Weltkrieg Fritz Roll von AM^ Mi V- s ist Tatsache, daß die Mechanik des anglo-amerikanischen Geistes für die germanischen Völker so lange ein unverstehbares Pharo- !men bleiben wird, als es dem Militarismus, dieser lediglich auf das Zweckmäßige und Vorteilhafte gerichteten Denkungsweise ver¬ sagt bleibt, sich derart in germanisches Geistes- und Empfindungs¬ leben einzufressen, daß er in ihm zum ausschlaggebenden Faktor wird und alle durch eine ethisch-moralische Weltanschauung wacherhaltenen Regungen als über¬ wundene Sentimentalitäten zur Seite schiebt. Ein Volk, das. wie die Nord¬ amerikaner englischer Herkunft, im Geldverdienen seinen einzigen, auf alle Fülle aber seinen höchsten Daseinszweck erkannt hat, und das sich in Hinsicht auf die anzuwendenden Mittel, oft auf Kosten seiner moralischen Qualitäten, die schrankenloseste Weitherzigkeit und Freiheit gestatten zu dürfen glaubt, wird dem germanischen Menschenschlage, dessen Denk- und Handlungsweise in dem kategorischen Imperativ der strengsten Pflichterfüllung ihren charakteristischen Ausdruck findet, noch auf lange Zeit hinaus innerlich fremd bleiben. Diese Erkenntnis muß dem Deutschen stets gegenwärtig bleiben, wenn er es unter¬ nimmt, die Auffassung des Amerikaners über Neutralität und die aus dieser entspringenden Handlungsweisen und Gepflogenheiten während des Weltkrieges seinem Verständnis näher bringen zu wollen. Die Kenner amerikanischer Verhältnisse waren sich schon längst vor Aus¬ bruch des Weltkrieges bewußt, daß man in den Kreisen der amerikanischen Finanz und Industrie mit der Möglichkeit eines europäischen Krieges als mit der Aussicht auf äußerst günstige Geschäftszeiten rechnete, und daß auch ein großer Teil der Nordamerikaner, die deutschen Herkommens sind, sich dieser Anschauung angeschlossen hatte. Ihnen blieb daher die große Enttäuschung erspart, die das deutsche Volk und seine Verbündeten befiel, als im Oktober 1914 die erste Kunde von den amerikanischen Kriegslieferungen an die Entente- staaten zu uns herüber kam. Das deutsche Volk sah in diesen nach und nach ins Phantastische wachsenden Lieferungen von Kriegsgeräten und Munition an seine Feinde eine feindselige Stellungsnahme, die nach seinem völkerrechtlichen Empfinden nicht mit der von der amerikanischen Regierung zugesicherten Neu¬ tralität in Einklang zu bringen war. Seinen amtlichen Ausdruck fand diese deutsche Auffassung der Sachlage in den Vorstellungen, die der deutsche Bot-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341903_330533/310>, abgerufen am 06.05.2024.