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Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Drittes Vierteljahr.

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Bismarckgeist

neuen Deutschen Reiches "heidnisch", weil er seine Überzeugungen mit Christi
Lehre identifiziert. Es gibt aber ein Christentum, das den Machtgedanken
nicht verwirft, vielmehr ihn in sich selbst verkörpert und durch äußere Geltung
und Zucht für die Heilsverkündigung den Boden bewahrt, auf dem sie wirken
kann. Das ist das Christentum, das Kirche geworden ist, und in diesem
Kirchentum nicht etwa eine Verfälschung oder bestenfalls einen Notbehelf des
Christentums sieht, sondern ein Stück seines notwendigen Wesens. Auch Bis-
marck, dieser Apostel "heidnischer" Grundsätze in der deutschen Politik, war ein
frommer Christ, sogar ein Bekehrter, der sich durch eigenes Ringen nach einer
pantheistischen Jugend den Weg zum Glauben zurückgebahnt hatte. Auch der
Vertreter rücksichtsloser Machtpolitik kann für eine sittlich gute Sache kämpfen.
Wer immerfort die Gerechtigkeit im Munde führt und ein fertiges Bild von
Gut und Böse in der Welt hat, kann leicht in einen sehr unchristlichen religiösen
Hochmut verfallen und da verurteilen, wo uns Menschen kein Richteramt zu¬
steht. Die ethischen Politiker neigen immer ein wenig dazu, Vorsehung zu
spielen. Die Weltgeschichte aber geht oft andere Wege, sie urteilt nach dem
Kern und nach den Früchten, nicht nach den Mitteln, mit denen eine Sache
sich durchsetzt. Durch Blut und Gewalt schreitet manchmal eine bessere Zu¬
kunft als auf dem engen Pfade ängstlicher Gerechtigkeit.

Auch uns wird der Krieg beim Friedensschluß oder später wahrscheinlich
dazu berufen, neue politische Gebilde zu gestalten. Wir wollen dabei jenes
Wortes altrömischer politischer Erbweisheit gedenken, das vor diesem Aufsatz
steht. Dieser sollte in aller Kürze zeigen, daß das Deutsche Reich auf macht¬
politischen Grundlagen geschaffen worden ist und nur auf ihnen errichtet werden
konnte, nachdem es auf andere Weise vergeblich versucht worden war. Auch
die Erfolge dieses Krieges, mögen sie nun groß oder klein ausfallen, wird nur
die Macht erringen und bewahren können. Nicht die Verderblichkeit der Macht¬
politik hat der Krieg erwiesen, sondern ihre immer neu befestigte eiserne Not¬
wendigkeit. Unsere heutigen Feinde können auch nach dem Kriege nur durch
unsere Macht und Tüchtigkeit zur Respektierung unseres Daseins veranlaßt
werden, und unsere Bundesgenossen können nur an unserer Seite bleiben,
wenn in dem mitteleuropäisch-orientalischen Kulturverbande feste Machtverhält¬
nisse vorhanden und die Kompetenzen der einzelnen Mächte genau abgegrenzt
sind. Ein Gebilde machtpolitischer Kompromisse, wie das Bismarcksche Deutsche
Reich wird auch der Staatenbund sein müssen, zu dem dieser Krieg die Vor¬
aussetzungen schafft. In der Politik können nicht die Ideen über die Mächte
herrschen, sondern die Mächte herrschen allein und umhegen dann Gebiete, in
denen die sittlichen und schöpferischen Genien ihre Arbeit zu entfalten ver¬
mögen, in der wir die Bürgschaft für das ewige Heil und die bessere Zukunft
der Menschheit finden.




Bismarckgeist

neuen Deutschen Reiches „heidnisch", weil er seine Überzeugungen mit Christi
Lehre identifiziert. Es gibt aber ein Christentum, das den Machtgedanken
nicht verwirft, vielmehr ihn in sich selbst verkörpert und durch äußere Geltung
und Zucht für die Heilsverkündigung den Boden bewahrt, auf dem sie wirken
kann. Das ist das Christentum, das Kirche geworden ist, und in diesem
Kirchentum nicht etwa eine Verfälschung oder bestenfalls einen Notbehelf des
Christentums sieht, sondern ein Stück seines notwendigen Wesens. Auch Bis-
marck, dieser Apostel „heidnischer" Grundsätze in der deutschen Politik, war ein
frommer Christ, sogar ein Bekehrter, der sich durch eigenes Ringen nach einer
pantheistischen Jugend den Weg zum Glauben zurückgebahnt hatte. Auch der
Vertreter rücksichtsloser Machtpolitik kann für eine sittlich gute Sache kämpfen.
Wer immerfort die Gerechtigkeit im Munde führt und ein fertiges Bild von
Gut und Böse in der Welt hat, kann leicht in einen sehr unchristlichen religiösen
Hochmut verfallen und da verurteilen, wo uns Menschen kein Richteramt zu¬
steht. Die ethischen Politiker neigen immer ein wenig dazu, Vorsehung zu
spielen. Die Weltgeschichte aber geht oft andere Wege, sie urteilt nach dem
Kern und nach den Früchten, nicht nach den Mitteln, mit denen eine Sache
sich durchsetzt. Durch Blut und Gewalt schreitet manchmal eine bessere Zu¬
kunft als auf dem engen Pfade ängstlicher Gerechtigkeit.

Auch uns wird der Krieg beim Friedensschluß oder später wahrscheinlich
dazu berufen, neue politische Gebilde zu gestalten. Wir wollen dabei jenes
Wortes altrömischer politischer Erbweisheit gedenken, das vor diesem Aufsatz
steht. Dieser sollte in aller Kürze zeigen, daß das Deutsche Reich auf macht¬
politischen Grundlagen geschaffen worden ist und nur auf ihnen errichtet werden
konnte, nachdem es auf andere Weise vergeblich versucht worden war. Auch
die Erfolge dieses Krieges, mögen sie nun groß oder klein ausfallen, wird nur
die Macht erringen und bewahren können. Nicht die Verderblichkeit der Macht¬
politik hat der Krieg erwiesen, sondern ihre immer neu befestigte eiserne Not¬
wendigkeit. Unsere heutigen Feinde können auch nach dem Kriege nur durch
unsere Macht und Tüchtigkeit zur Respektierung unseres Daseins veranlaßt
werden, und unsere Bundesgenossen können nur an unserer Seite bleiben,
wenn in dem mitteleuropäisch-orientalischen Kulturverbande feste Machtverhält¬
nisse vorhanden und die Kompetenzen der einzelnen Mächte genau abgegrenzt
sind. Ein Gebilde machtpolitischer Kompromisse, wie das Bismarcksche Deutsche
Reich wird auch der Staatenbund sein müssen, zu dem dieser Krieg die Vor¬
aussetzungen schafft. In der Politik können nicht die Ideen über die Mächte
herrschen, sondern die Mächte herrschen allein und umhegen dann Gebiete, in
denen die sittlichen und schöpferischen Genien ihre Arbeit zu entfalten ver¬
mögen, in der wir die Bürgschaft für das ewige Heil und die bessere Zukunft
der Menschheit finden.




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[0309] Bismarckgeist neuen Deutschen Reiches „heidnisch", weil er seine Überzeugungen mit Christi Lehre identifiziert. Es gibt aber ein Christentum, das den Machtgedanken nicht verwirft, vielmehr ihn in sich selbst verkörpert und durch äußere Geltung und Zucht für die Heilsverkündigung den Boden bewahrt, auf dem sie wirken kann. Das ist das Christentum, das Kirche geworden ist, und in diesem Kirchentum nicht etwa eine Verfälschung oder bestenfalls einen Notbehelf des Christentums sieht, sondern ein Stück seines notwendigen Wesens. Auch Bis- marck, dieser Apostel „heidnischer" Grundsätze in der deutschen Politik, war ein frommer Christ, sogar ein Bekehrter, der sich durch eigenes Ringen nach einer pantheistischen Jugend den Weg zum Glauben zurückgebahnt hatte. Auch der Vertreter rücksichtsloser Machtpolitik kann für eine sittlich gute Sache kämpfen. Wer immerfort die Gerechtigkeit im Munde führt und ein fertiges Bild von Gut und Böse in der Welt hat, kann leicht in einen sehr unchristlichen religiösen Hochmut verfallen und da verurteilen, wo uns Menschen kein Richteramt zu¬ steht. Die ethischen Politiker neigen immer ein wenig dazu, Vorsehung zu spielen. Die Weltgeschichte aber geht oft andere Wege, sie urteilt nach dem Kern und nach den Früchten, nicht nach den Mitteln, mit denen eine Sache sich durchsetzt. Durch Blut und Gewalt schreitet manchmal eine bessere Zu¬ kunft als auf dem engen Pfade ängstlicher Gerechtigkeit. Auch uns wird der Krieg beim Friedensschluß oder später wahrscheinlich dazu berufen, neue politische Gebilde zu gestalten. Wir wollen dabei jenes Wortes altrömischer politischer Erbweisheit gedenken, das vor diesem Aufsatz steht. Dieser sollte in aller Kürze zeigen, daß das Deutsche Reich auf macht¬ politischen Grundlagen geschaffen worden ist und nur auf ihnen errichtet werden konnte, nachdem es auf andere Weise vergeblich versucht worden war. Auch die Erfolge dieses Krieges, mögen sie nun groß oder klein ausfallen, wird nur die Macht erringen und bewahren können. Nicht die Verderblichkeit der Macht¬ politik hat der Krieg erwiesen, sondern ihre immer neu befestigte eiserne Not¬ wendigkeit. Unsere heutigen Feinde können auch nach dem Kriege nur durch unsere Macht und Tüchtigkeit zur Respektierung unseres Daseins veranlaßt werden, und unsere Bundesgenossen können nur an unserer Seite bleiben, wenn in dem mitteleuropäisch-orientalischen Kulturverbande feste Machtverhält¬ nisse vorhanden und die Kompetenzen der einzelnen Mächte genau abgegrenzt sind. Ein Gebilde machtpolitischer Kompromisse, wie das Bismarcksche Deutsche Reich wird auch der Staatenbund sein müssen, zu dem dieser Krieg die Vor¬ aussetzungen schafft. In der Politik können nicht die Ideen über die Mächte herrschen, sondern die Mächte herrschen allein und umhegen dann Gebiete, in denen die sittlichen und schöpferischen Genien ihre Arbeit zu entfalten ver¬ mögen, in der wir die Bürgschaft für das ewige Heil und die bessere Zukunft der Menschheit finden.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341903_330533/309>, abgerufen am 19.05.2024.