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Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Drittes Vierteljahr.

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Briefwechsel von Gustav Freytag mit Graf und Gräfin Baudissin

unsicher. Ich selbst habe dabei das unbefriedigende Gefühl, daß ich nicht
wesentlich nütze. Ueber die Sache selbst, welche uns Alle so sehr beschäftigt,
schreibe ich an Hrn. Grafen. Daß derselbe die Aufforderung, nach Paris zu
gehen, nicht angenommen hat, war ganz recht. Es war vorläufig doch nicht
viel zu machen, und der kleine Erbprinz von Reutz, der den Auftrag übernahm,
hat wie sich erwarten ließ, nur unbestimmte Reden erhalten, aber allerdings
freundliche Aufnahme. Die Frage paßt in die Politik des Kaisers, und seinem
Wesen u. Interesse nach muß er ihr günstig sein. Doch wird er sich hüten,
irgend eine Entscheidung zu treffen, bevor er sicher ist, welche neue Allianzen
er dadurch erhalten und wie er dadurch seine Stellung in Europa verbessern
kann. Von dem Lauf der Dinge in Preußen hängt auch die Entscheidung
dieser Frage zur Zeit noch ab. Bleibt der Unsinn dort an der Regierung, so
zieht sich die günstige Lösung durch unberechenbare Kämpfe hin. Es ist furcht¬
bar, daß noch immer Glück u. Ehre einer Nation bei uns zu sehr von dem
zufälligen Entschluß eines einzelnen Mannes abhängt. Und daß wir in Preußen
das noch erleben mußten, haben wir wahrhaftig nicht verdient. Denn wie
jung u. unbehilflich unsere Volkskraft ist, der Wille ist fast überall gut. Mich
rührt am meisten bei dem, was mir hier durch die Hände läuft, die Bereit¬
willigkeit der zahlreichen Einzelnen, welche hierher zugereist kommen, ihr Blut
u. Leben anzubieten. Tüchtige Leute sind darunter. Und man empfindet zu¬
weilen sorgenvoll, wie groß die Verantwortlichkeit derer ist, welche die Politik
der neuen Regierung zu leiten haben.

Meine Frau trägt mir auf, Ihnen ihre innigsten Empfehlungen auszu-
zurichten. Ich aber bitte Sie, unverändert lieb zu behalten


Ihrentreuen Verehrer Freytag.

Siebleber d. 20 Dec. t18M.


Freytag an Baudissin.

Mein hochverehrter Freund I

Wenn ich Ihnen über die hiesigen Verhältnisse kurz berichte, bitte ich Sie.
das Ungenügende mit der Rücksicht zu entschuldigen, welche nicht durch die
Discretion, sondern durch die Sorge geboten wird, eine augenblickliche Stim¬
mung in der Seele Anderer zu sehr zu fixieren. Ueber solche Dinge ist nur in
fortlaufendem Bericht, oder in mündlicher Unterhaltung genügend zu verhandeln.

Die leitenden Persönlichkeiten hier sind außer dem Herzogs) Samwer^),
der badische Gesandte von Edelsheim, (ein Freund Roggenbachs"). Alle
übrigen haben nur gelegentlichen Einfluß.



") Ernst der Zweite, Herzog von Coburg - Gotha. Vertrauter des Herzogs von
AugustenSurg. ") Vertrauter des Kronprinzen Friedrich Wilhelm.
Briefwechsel von Gustav Freytag mit Graf und Gräfin Baudissin

unsicher. Ich selbst habe dabei das unbefriedigende Gefühl, daß ich nicht
wesentlich nütze. Ueber die Sache selbst, welche uns Alle so sehr beschäftigt,
schreibe ich an Hrn. Grafen. Daß derselbe die Aufforderung, nach Paris zu
gehen, nicht angenommen hat, war ganz recht. Es war vorläufig doch nicht
viel zu machen, und der kleine Erbprinz von Reutz, der den Auftrag übernahm,
hat wie sich erwarten ließ, nur unbestimmte Reden erhalten, aber allerdings
freundliche Aufnahme. Die Frage paßt in die Politik des Kaisers, und seinem
Wesen u. Interesse nach muß er ihr günstig sein. Doch wird er sich hüten,
irgend eine Entscheidung zu treffen, bevor er sicher ist, welche neue Allianzen
er dadurch erhalten und wie er dadurch seine Stellung in Europa verbessern
kann. Von dem Lauf der Dinge in Preußen hängt auch die Entscheidung
dieser Frage zur Zeit noch ab. Bleibt der Unsinn dort an der Regierung, so
zieht sich die günstige Lösung durch unberechenbare Kämpfe hin. Es ist furcht¬
bar, daß noch immer Glück u. Ehre einer Nation bei uns zu sehr von dem
zufälligen Entschluß eines einzelnen Mannes abhängt. Und daß wir in Preußen
das noch erleben mußten, haben wir wahrhaftig nicht verdient. Denn wie
jung u. unbehilflich unsere Volkskraft ist, der Wille ist fast überall gut. Mich
rührt am meisten bei dem, was mir hier durch die Hände läuft, die Bereit¬
willigkeit der zahlreichen Einzelnen, welche hierher zugereist kommen, ihr Blut
u. Leben anzubieten. Tüchtige Leute sind darunter. Und man empfindet zu¬
weilen sorgenvoll, wie groß die Verantwortlichkeit derer ist, welche die Politik
der neuen Regierung zu leiten haben.

Meine Frau trägt mir auf, Ihnen ihre innigsten Empfehlungen auszu-
zurichten. Ich aber bitte Sie, unverändert lieb zu behalten


Ihrentreuen Verehrer Freytag.

Siebleber d. 20 Dec. t18M.


Freytag an Baudissin.

Mein hochverehrter Freund I

Wenn ich Ihnen über die hiesigen Verhältnisse kurz berichte, bitte ich Sie.
das Ungenügende mit der Rücksicht zu entschuldigen, welche nicht durch die
Discretion, sondern durch die Sorge geboten wird, eine augenblickliche Stim¬
mung in der Seele Anderer zu sehr zu fixieren. Ueber solche Dinge ist nur in
fortlaufendem Bericht, oder in mündlicher Unterhaltung genügend zu verhandeln.

Die leitenden Persönlichkeiten hier sind außer dem Herzogs) Samwer^),
der badische Gesandte von Edelsheim, (ein Freund Roggenbachs"). Alle
übrigen haben nur gelegentlichen Einfluß.



") Ernst der Zweite, Herzog von Coburg - Gotha. Vertrauter des Herzogs von
AugustenSurg. ") Vertrauter des Kronprinzen Friedrich Wilhelm.
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[0062] Briefwechsel von Gustav Freytag mit Graf und Gräfin Baudissin unsicher. Ich selbst habe dabei das unbefriedigende Gefühl, daß ich nicht wesentlich nütze. Ueber die Sache selbst, welche uns Alle so sehr beschäftigt, schreibe ich an Hrn. Grafen. Daß derselbe die Aufforderung, nach Paris zu gehen, nicht angenommen hat, war ganz recht. Es war vorläufig doch nicht viel zu machen, und der kleine Erbprinz von Reutz, der den Auftrag übernahm, hat wie sich erwarten ließ, nur unbestimmte Reden erhalten, aber allerdings freundliche Aufnahme. Die Frage paßt in die Politik des Kaisers, und seinem Wesen u. Interesse nach muß er ihr günstig sein. Doch wird er sich hüten, irgend eine Entscheidung zu treffen, bevor er sicher ist, welche neue Allianzen er dadurch erhalten und wie er dadurch seine Stellung in Europa verbessern kann. Von dem Lauf der Dinge in Preußen hängt auch die Entscheidung dieser Frage zur Zeit noch ab. Bleibt der Unsinn dort an der Regierung, so zieht sich die günstige Lösung durch unberechenbare Kämpfe hin. Es ist furcht¬ bar, daß noch immer Glück u. Ehre einer Nation bei uns zu sehr von dem zufälligen Entschluß eines einzelnen Mannes abhängt. Und daß wir in Preußen das noch erleben mußten, haben wir wahrhaftig nicht verdient. Denn wie jung u. unbehilflich unsere Volkskraft ist, der Wille ist fast überall gut. Mich rührt am meisten bei dem, was mir hier durch die Hände läuft, die Bereit¬ willigkeit der zahlreichen Einzelnen, welche hierher zugereist kommen, ihr Blut u. Leben anzubieten. Tüchtige Leute sind darunter. Und man empfindet zu¬ weilen sorgenvoll, wie groß die Verantwortlichkeit derer ist, welche die Politik der neuen Regierung zu leiten haben. Meine Frau trägt mir auf, Ihnen ihre innigsten Empfehlungen auszu- zurichten. Ich aber bitte Sie, unverändert lieb zu behalten Ihrentreuen Verehrer Freytag. Siebleber d. 20 Dec. t18M. Freytag an Baudissin. Mein hochverehrter Freund I Wenn ich Ihnen über die hiesigen Verhältnisse kurz berichte, bitte ich Sie. das Ungenügende mit der Rücksicht zu entschuldigen, welche nicht durch die Discretion, sondern durch die Sorge geboten wird, eine augenblickliche Stim¬ mung in der Seele Anderer zu sehr zu fixieren. Ueber solche Dinge ist nur in fortlaufendem Bericht, oder in mündlicher Unterhaltung genügend zu verhandeln. Die leitenden Persönlichkeiten hier sind außer dem Herzogs) Samwer^), der badische Gesandte von Edelsheim, (ein Freund Roggenbachs"). Alle übrigen haben nur gelegentlichen Einfluß. ") Ernst der Zweite, Herzog von Coburg - Gotha. Vertrauter des Herzogs von AugustenSurg. ") Vertrauter des Kronprinzen Friedrich Wilhelm.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341903_330533/62>, abgerufen am 06.05.2024.