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Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Drittes Vierteljahr.

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Landvergabung nach Lehenrecht
Dr. zur. et pkil. Lrich Jung, o. ö. Professor der Rechte von

an mag gegen die einzelnen Vorschläge der Bodenreformer noch
so begründete Einwände vorzubringen haben, das beseitigt nicht
ihr unbestreitbares Verdienst, daß sie eine große, vielleicht die
größte Aufgabe erhaltender Sozialpolitik richtig herausgefühlt und
scharf zur Erörterung gestellt haben.

Der Kern der bodenreformerischen Bestrebungen ist bekanntlich der, daß
sie der Gesamtheit einen Anteil am selbsttätig entstehenden Wertzuwachs des
vaterländischen Bodens sichern wollen, und daß sie, was der wichtigere, der
aufbauende Teil ihrer Bestrebungen ist, dafür sorgen wollen, daß in den Händen
einer öffentlich rechtlichen und nicht nach privatwirtschaftlichen, sondern nach
gemeinnützigen Gesichtspunkten handelnden Person immer wenigstens soviel
Boden zur Vergabung an einzelne Nachfragende zur Verfügung steht, um ein
privatkapitalistisches Monopol auf dem Grundstücksmarkt nicht aufkommen zu
lassen. So läßt sich wenigstens das am meisten gemäßigte Ziel ungefähr
zusammenfassen; und gegen dieses Ziel an sich ist jedenfalls von keinem Stand¬
punkt, auch nicht dem einseitigsten manchesterlichen, etwas einzuwenden. Gegen
das Ziel als solches. Bei den zu ergreifenden Mitteln würden freilich sofort
wieder die Meinungsverschiedenheiten beginnen.

Die bisher vorgeschlagenen und zum Teil, besonders von Gemeinden, wie
in größerem Maßstab in Ulm, verwirklichten Maßregeln kranken nun alle mehr
oder minder an einem inneren Zwiespalt, in dem freilich zugleich die ganze
Schwierigkeit der Frage sofort in der knappsten und einleuchtendsten Weise
entgegentritt: der im Grunde unlösbare und in jeder wirklich lebenden Gesell¬
schaftsbildung -- im Gegensatz zu einer zurechtgedachten -- immer nur
vermittelnd und mit wechselnden gegenseitigen Zugeständnissen lösbare Gegensatz
von Individualismus und Sozialismus.

Jener innere Zwiespalt liegt meines Erachtens darin, daß die bisher vor-
geschlagenen Maßregeln, um in der gewollten sozialpolitischen Richtung wirklich
wirksam zu sein, das Eigeninteresse des einzelnen, die stärkste und an Arbeits¬
energie durch keinen sozialen Antrieb zu ersetzende Produktivkraft, zu sehr
lähmen; daß sie, mit anderen Worten, in einer sowohl für den ganzen Gesell¬
schaftsaufbau wie auch für den summenmäßigen Ertrag der nationalen Wert¬
erzeugung bedenklichen Weise nach der sozialistischen Lösung hin gravitieren,




Landvergabung nach Lehenrecht
Dr. zur. et pkil. Lrich Jung, o. ö. Professor der Rechte von

an mag gegen die einzelnen Vorschläge der Bodenreformer noch
so begründete Einwände vorzubringen haben, das beseitigt nicht
ihr unbestreitbares Verdienst, daß sie eine große, vielleicht die
größte Aufgabe erhaltender Sozialpolitik richtig herausgefühlt und
scharf zur Erörterung gestellt haben.

Der Kern der bodenreformerischen Bestrebungen ist bekanntlich der, daß
sie der Gesamtheit einen Anteil am selbsttätig entstehenden Wertzuwachs des
vaterländischen Bodens sichern wollen, und daß sie, was der wichtigere, der
aufbauende Teil ihrer Bestrebungen ist, dafür sorgen wollen, daß in den Händen
einer öffentlich rechtlichen und nicht nach privatwirtschaftlichen, sondern nach
gemeinnützigen Gesichtspunkten handelnden Person immer wenigstens soviel
Boden zur Vergabung an einzelne Nachfragende zur Verfügung steht, um ein
privatkapitalistisches Monopol auf dem Grundstücksmarkt nicht aufkommen zu
lassen. So läßt sich wenigstens das am meisten gemäßigte Ziel ungefähr
zusammenfassen; und gegen dieses Ziel an sich ist jedenfalls von keinem Stand¬
punkt, auch nicht dem einseitigsten manchesterlichen, etwas einzuwenden. Gegen
das Ziel als solches. Bei den zu ergreifenden Mitteln würden freilich sofort
wieder die Meinungsverschiedenheiten beginnen.

Die bisher vorgeschlagenen und zum Teil, besonders von Gemeinden, wie
in größerem Maßstab in Ulm, verwirklichten Maßregeln kranken nun alle mehr
oder minder an einem inneren Zwiespalt, in dem freilich zugleich die ganze
Schwierigkeit der Frage sofort in der knappsten und einleuchtendsten Weise
entgegentritt: der im Grunde unlösbare und in jeder wirklich lebenden Gesell¬
schaftsbildung — im Gegensatz zu einer zurechtgedachten — immer nur
vermittelnd und mit wechselnden gegenseitigen Zugeständnissen lösbare Gegensatz
von Individualismus und Sozialismus.

Jener innere Zwiespalt liegt meines Erachtens darin, daß die bisher vor-
geschlagenen Maßregeln, um in der gewollten sozialpolitischen Richtung wirklich
wirksam zu sein, das Eigeninteresse des einzelnen, die stärkste und an Arbeits¬
energie durch keinen sozialen Antrieb zu ersetzende Produktivkraft, zu sehr
lähmen; daß sie, mit anderen Worten, in einer sowohl für den ganzen Gesell¬
schaftsaufbau wie auch für den summenmäßigen Ertrag der nationalen Wert¬
erzeugung bedenklichen Weise nach der sozialistischen Lösung hin gravitieren,


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[0066] [Abbildung] Landvergabung nach Lehenrecht Dr. zur. et pkil. Lrich Jung, o. ö. Professor der Rechte von an mag gegen die einzelnen Vorschläge der Bodenreformer noch so begründete Einwände vorzubringen haben, das beseitigt nicht ihr unbestreitbares Verdienst, daß sie eine große, vielleicht die größte Aufgabe erhaltender Sozialpolitik richtig herausgefühlt und scharf zur Erörterung gestellt haben. Der Kern der bodenreformerischen Bestrebungen ist bekanntlich der, daß sie der Gesamtheit einen Anteil am selbsttätig entstehenden Wertzuwachs des vaterländischen Bodens sichern wollen, und daß sie, was der wichtigere, der aufbauende Teil ihrer Bestrebungen ist, dafür sorgen wollen, daß in den Händen einer öffentlich rechtlichen und nicht nach privatwirtschaftlichen, sondern nach gemeinnützigen Gesichtspunkten handelnden Person immer wenigstens soviel Boden zur Vergabung an einzelne Nachfragende zur Verfügung steht, um ein privatkapitalistisches Monopol auf dem Grundstücksmarkt nicht aufkommen zu lassen. So läßt sich wenigstens das am meisten gemäßigte Ziel ungefähr zusammenfassen; und gegen dieses Ziel an sich ist jedenfalls von keinem Stand¬ punkt, auch nicht dem einseitigsten manchesterlichen, etwas einzuwenden. Gegen das Ziel als solches. Bei den zu ergreifenden Mitteln würden freilich sofort wieder die Meinungsverschiedenheiten beginnen. Die bisher vorgeschlagenen und zum Teil, besonders von Gemeinden, wie in größerem Maßstab in Ulm, verwirklichten Maßregeln kranken nun alle mehr oder minder an einem inneren Zwiespalt, in dem freilich zugleich die ganze Schwierigkeit der Frage sofort in der knappsten und einleuchtendsten Weise entgegentritt: der im Grunde unlösbare und in jeder wirklich lebenden Gesell¬ schaftsbildung — im Gegensatz zu einer zurechtgedachten — immer nur vermittelnd und mit wechselnden gegenseitigen Zugeständnissen lösbare Gegensatz von Individualismus und Sozialismus. Jener innere Zwiespalt liegt meines Erachtens darin, daß die bisher vor- geschlagenen Maßregeln, um in der gewollten sozialpolitischen Richtung wirklich wirksam zu sein, das Eigeninteresse des einzelnen, die stärkste und an Arbeits¬ energie durch keinen sozialen Antrieb zu ersetzende Produktivkraft, zu sehr lähmen; daß sie, mit anderen Worten, in einer sowohl für den ganzen Gesell¬ schaftsaufbau wie auch für den summenmäßigen Ertrag der nationalen Wert¬ erzeugung bedenklichen Weise nach der sozialistischen Lösung hin gravitieren,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341903_330533/66>, abgerufen am 05.05.2024.