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Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Drittes Vierteljahr.

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Landvergabung nach Lehenrecht

während umgekehrt andere Lösungen, deren Befürworter sich der in der eben be¬
zeichneten Richtung liegenden Gefahr nicht verschließen, mit ihren zaghafteren
Mitteln die angestrebten sozialpolitischen Ziele nur mangelhaft oder gar nicht
zu erreichen vermögen.

Man hat bei städtischen Grundstücken die Form des Erbbaurechtes im Sinne
der bodenreformerischen Ziele verwendet: indem die betreffende öffentlich recht¬
liche Körperschaft Eigentümerin des Bodens bleibt und den einzelnen Boden¬
bedürftigen nur ein vererbliches und veräußerliches Bebauungsrecht überträgt.
Wird dieses nun ohne zeitliche Begrenzung, auf immer, bestellt, so bleibt dem
Eigentümer nur ein inhaltloses Recht, ein nuclum zus. Wird das Erbbaurecht
aber, wie es bei den erwähnten städtischen Bodenrechtsbestrebungen meist
geschieht, nur auf Zeit bestellt, so sind zwar die für die vergabende Gemeinde
angestrebten Rechte wirksam gewahrt, aber dann ist eben die private Rechts¬
sphäre des einzelnen Bodennehmers zu eng. Der Bodenbebauer, der in abseh¬
barer Zeit ein Erlöschen seiner Beziehung zu diesem Boden vor sich sieht, wird
sich nicht in dem Maße mit seinem Besitz seelisch verbinden wie der Grund¬
eigner. Jener Nutzungsberechtigte steht, trotzdem sein Recht vererblich und
veräußerlich gestaltet wird, doch insofern einem kündbaren bloßen Pächter nahe,
als eben der Zeitablauf als solcher ihm in absehbarer Zeit aufkündigen wird,
und er wird von Anfang an und mit den fortschreitenden Jahren in steigendem
Maße langfristiges Planen, Meliorationen, dauernde Anlagen scheuen.

Ist die Bestellung zeitlich unbegrenzter Erbbaurechte an die Privaten zu
individualistisch, das heißt, wird bei ihr der angestrebte sozialpolitische Zweck
nicht in genügendem Maße erreicht, so ist die von vornherein festgelegte zeit¬
liche- Befristung des Einzelrechtes zu sozialistisch, das heißt, sie beengt den
einzelnen und seine wirtschaftliche Tatkraft in einem für die Belange der
Gesamtheit nachteiligen Maße.

Nun kann freilich, wie schon zu betonen war, jede praktische Lösung sozial¬
politischer, ja überhaupt politischer Aufgaben stets nur einen mäßigen und
mittleren, fehr wenig grundsätzlichen, daher allemal mehr oder minder dialektisch
anfechtbaren Ausgleich zwischen äußerstem Individualismus und äußerstem
Sozialismus darstellen. Ganz grob veranschaulicht: auch ein extrem sozialistischer
Staat, wie etwa der alte Jnkastaat oder der frühere Jesuitenstaat Paraguay,
müßte, trotz Gemeineigentum aller Produktionsmittel und Arbeitsprodukte, doch
die erarbeiteten verbrauchbaren Güter -- H 92 B. G. B. --. die nur einem
einzelnen und^ nur ein einziges Mal zur bestimmungsgemäßen Bedürfnis-
befriedigung dienen können, schließlich einmal zu ausschließlichem Privateigentum
verteilen, weil an ihnen eben keine gemeinsame Nutzung, sondern nur eine alle
anderen ausschließende Nutzung durch einen einzelnen möglich ist. Und anderer¬
seits wird auch ein extrem individualistischer, ganz nach den Wünschen des
Herrn Cobden und der Manchestermänner gestalteter Staat doch für die öffent¬
lichen Straßen und Plätze eine das Privateigentum ausschließende und die


Landvergabung nach Lehenrecht

während umgekehrt andere Lösungen, deren Befürworter sich der in der eben be¬
zeichneten Richtung liegenden Gefahr nicht verschließen, mit ihren zaghafteren
Mitteln die angestrebten sozialpolitischen Ziele nur mangelhaft oder gar nicht
zu erreichen vermögen.

Man hat bei städtischen Grundstücken die Form des Erbbaurechtes im Sinne
der bodenreformerischen Ziele verwendet: indem die betreffende öffentlich recht¬
liche Körperschaft Eigentümerin des Bodens bleibt und den einzelnen Boden¬
bedürftigen nur ein vererbliches und veräußerliches Bebauungsrecht überträgt.
Wird dieses nun ohne zeitliche Begrenzung, auf immer, bestellt, so bleibt dem
Eigentümer nur ein inhaltloses Recht, ein nuclum zus. Wird das Erbbaurecht
aber, wie es bei den erwähnten städtischen Bodenrechtsbestrebungen meist
geschieht, nur auf Zeit bestellt, so sind zwar die für die vergabende Gemeinde
angestrebten Rechte wirksam gewahrt, aber dann ist eben die private Rechts¬
sphäre des einzelnen Bodennehmers zu eng. Der Bodenbebauer, der in abseh¬
barer Zeit ein Erlöschen seiner Beziehung zu diesem Boden vor sich sieht, wird
sich nicht in dem Maße mit seinem Besitz seelisch verbinden wie der Grund¬
eigner. Jener Nutzungsberechtigte steht, trotzdem sein Recht vererblich und
veräußerlich gestaltet wird, doch insofern einem kündbaren bloßen Pächter nahe,
als eben der Zeitablauf als solcher ihm in absehbarer Zeit aufkündigen wird,
und er wird von Anfang an und mit den fortschreitenden Jahren in steigendem
Maße langfristiges Planen, Meliorationen, dauernde Anlagen scheuen.

Ist die Bestellung zeitlich unbegrenzter Erbbaurechte an die Privaten zu
individualistisch, das heißt, wird bei ihr der angestrebte sozialpolitische Zweck
nicht in genügendem Maße erreicht, so ist die von vornherein festgelegte zeit¬
liche- Befristung des Einzelrechtes zu sozialistisch, das heißt, sie beengt den
einzelnen und seine wirtschaftliche Tatkraft in einem für die Belange der
Gesamtheit nachteiligen Maße.

Nun kann freilich, wie schon zu betonen war, jede praktische Lösung sozial¬
politischer, ja überhaupt politischer Aufgaben stets nur einen mäßigen und
mittleren, fehr wenig grundsätzlichen, daher allemal mehr oder minder dialektisch
anfechtbaren Ausgleich zwischen äußerstem Individualismus und äußerstem
Sozialismus darstellen. Ganz grob veranschaulicht: auch ein extrem sozialistischer
Staat, wie etwa der alte Jnkastaat oder der frühere Jesuitenstaat Paraguay,
müßte, trotz Gemeineigentum aller Produktionsmittel und Arbeitsprodukte, doch
die erarbeiteten verbrauchbaren Güter — H 92 B. G. B. —. die nur einem
einzelnen und^ nur ein einziges Mal zur bestimmungsgemäßen Bedürfnis-
befriedigung dienen können, schließlich einmal zu ausschließlichem Privateigentum
verteilen, weil an ihnen eben keine gemeinsame Nutzung, sondern nur eine alle
anderen ausschließende Nutzung durch einen einzelnen möglich ist. Und anderer¬
seits wird auch ein extrem individualistischer, ganz nach den Wünschen des
Herrn Cobden und der Manchestermänner gestalteter Staat doch für die öffent¬
lichen Straßen und Plätze eine das Privateigentum ausschließende und die


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341903_330533/67>, abgerufen am 18.05.2024.