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Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Viertes Vierteljahr.

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Zum fünsundsiebzigsten Geburtstag der "Grenzboten"

icht wie des Menschen Leben, das nach dem Worte des Psalmisten
siebzig, und wenn es hoch kommt achtzig Jahre währet, ist die
Stätte seiner Arbeit zeitlich begrenzt. Aber gleich dem individuellen
Dasein gibt ihr die Mühsal, die sie sah, den Ausspruch köstlich
genannt zu werden -- ihr vor allem, wenn sie ein Hort geistigen
Ringens, ehrlichen Strebens war. Wenn wir fünfundsiebzig Jahre, die Spanne
Zeit vom Tage des erstmaligen Erscheinens der "Grenzboten" bis zur Gegen¬
wart rückschauend umfassen, so sehen wir Kräfte am Werk, die, Ziel und
Richtung wechselnd, den Höhenflug des Wollens nie verleugneten. Weit, ohne
scharfe Begrenzung, wie der Linienzug des norddeutschen Tieflands, war der
Pflichtenkreis der "Grenzboten", frisch wie die Luft, die darüber hinstreicht und
über seine Grenzen dringt, war ihr Wirken. Ihr Lebensgang war aber nicht
hemmungsloser Aufstieg, er heischte oft die Kraft der Überwindung und sie
hat nie versagt.

Als die "Grenzboten" ins Leben traten, schien sich ihnen ein reiches
Arbeitsfeld im Nordwesten Deutschlands aufzutun Belgien, das große Rätsel
unserer Tage, das damals erst kürzlich zur Selbständigkeit gelangt war, galt
es mit Deutschland innerlich zu verknüpfen. Durch seine geographische Lage
erschien Brüssel für einen Austausch geistiger Güter, zumal deutscher und
belgischer, besonders geeignet. So schuf denn Jgnatz Kuranda in Brüssel ein
Organ, das er "Die GrenzboLen, Blätter für Deutschland und Belgien"
nannte. "Eine große und edle Aufgabe sehen wir vor uns liegen", schrieb er
einleitend im ersten Heft seiner Zeitschrift, "zwei Länder, die von der Natur,
von der Geschichte, von unzähligen inneren und äußeren Beziehungen, geistigen
und materiellen Lebensimpulsen dazu bestimmt scheinen, in dem innigsten Ver¬
ständnis, in dem freundlichsten Verkehr mit einander zu gehen, stehen durch


Grenzboten IV 1916 1


bis M6
Zum fünsundsiebzigsten Geburtstag der „Grenzboten"

icht wie des Menschen Leben, das nach dem Worte des Psalmisten
siebzig, und wenn es hoch kommt achtzig Jahre währet, ist die
Stätte seiner Arbeit zeitlich begrenzt. Aber gleich dem individuellen
Dasein gibt ihr die Mühsal, die sie sah, den Ausspruch köstlich
genannt zu werden — ihr vor allem, wenn sie ein Hort geistigen
Ringens, ehrlichen Strebens war. Wenn wir fünfundsiebzig Jahre, die Spanne
Zeit vom Tage des erstmaligen Erscheinens der „Grenzboten" bis zur Gegen¬
wart rückschauend umfassen, so sehen wir Kräfte am Werk, die, Ziel und
Richtung wechselnd, den Höhenflug des Wollens nie verleugneten. Weit, ohne
scharfe Begrenzung, wie der Linienzug des norddeutschen Tieflands, war der
Pflichtenkreis der „Grenzboten", frisch wie die Luft, die darüber hinstreicht und
über seine Grenzen dringt, war ihr Wirken. Ihr Lebensgang war aber nicht
hemmungsloser Aufstieg, er heischte oft die Kraft der Überwindung und sie
hat nie versagt.

Als die „Grenzboten" ins Leben traten, schien sich ihnen ein reiches
Arbeitsfeld im Nordwesten Deutschlands aufzutun Belgien, das große Rätsel
unserer Tage, das damals erst kürzlich zur Selbständigkeit gelangt war, galt
es mit Deutschland innerlich zu verknüpfen. Durch seine geographische Lage
erschien Brüssel für einen Austausch geistiger Güter, zumal deutscher und
belgischer, besonders geeignet. So schuf denn Jgnatz Kuranda in Brüssel ein
Organ, das er „Die GrenzboLen, Blätter für Deutschland und Belgien"
nannte. „Eine große und edle Aufgabe sehen wir vor uns liegen", schrieb er
einleitend im ersten Heft seiner Zeitschrift, „zwei Länder, die von der Natur,
von der Geschichte, von unzähligen inneren und äußeren Beziehungen, geistigen
und materiellen Lebensimpulsen dazu bestimmt scheinen, in dem innigsten Ver¬
ständnis, in dem freundlichsten Verkehr mit einander zu gehen, stehen durch


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341903_330971/13>, abgerufen am 28.04.2024.