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Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Viertes Vierteljahr.

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Die Zukunft der deutschen Seeschiffahrt
von Professor Dr. lvygodzinski

on allen Zweigen der deutschen Volkswirtschaft sind Seeschiffahrt
und der eng mit ihm verbundene Überseehandel durch den Krieg
am schwersten betroffen; eine "Umstellung", ewe Anpassung an
die neuen aus dem Kriege selbst erwachsenden Möglichkeiten sind
bei ihnen nicht gegeben. Es ist begreiflich, wenn daher unsere
deutsche Seeschiffahrt schon jetzt ihre Vorbereitungen für die doch einmal
kommende Friedenswirtschaft trifft, um Verlorenes einzuholen und vielleicht
Neues zu gewinnen. Über dieser künftigen Entwicklung aber liegt ein Dunkel
wie wieder über keinem anderen Zweige des deutschen Wirtschaftslebens; die
Zahl der in die Rechnung einzusetzenden unsicheren Faktoren ist allzugroß.
Drei Punkte sind es vor allem, die für diese Entwicklung von der größten, ja
entscheidenden Bedeutung sind: der Umfang des künftigen überseeischen Per¬
sonen- und Frachtenverkehrs, die Konkurrenz der anderen Handelsflotten, die
von den Ententeländern angekündigten Maßnahmen eines "Handelskrieges nach
dem Kriege", die sich neben dem Ausfuhrhandel in erster Linie wieder gegen
die Schiffahrt richten.

War es doch gerade die Entwicklung der deutschen Handelsschiffahrt, die
in England, dem früheren Weltfrachtführer, zum Wachstum jenes Konkurrenz¬
neides beigetragen hat, der einer der mächtigsten Hebel der Kriegsstimmung
gegen den jüngeren Rivalen wurde. In der Tat war. trotz der immer noch
vorhandenen großen Überlegenheit der englischen Handelsflotte, das Wachstum
der deutschen relativ ein viel rascheres. Nach den Berechnungen von Bernhard
Harms hatten von 1901 bis 1911 England (einschließlich Kolonien) den Be¬
stand an Dampfschiffstonnage um 42, Deutschland dagegen um 60 Prozent ver¬
mehrt. Aber das absolute Wachstum war immer noch größer bei Englands
Flotte, so daß dieses im Jahre 1913 mit über 12 Millionen Dampfertonnage
immer noch weitaus an der Spitze der Weltdampferflotte stand; erst in sehr
weitem Abstand kam als zweite die deutsche mit nicht ganz 3 Millionen. Im
Kriege ist das Verhältnis vermutlich zu Ungunsten Englands verschoben. Ge-
naues darüber ist aus einleuchtenden Gründen nicht zu erfahren. Die offizielle
englische Statistik von Llonds Register behauptet zwar, daß die Gesamttonnage
der Schiffe über 100 Tons (also einschließlich der Segelschiffe) vom 30. Juni
1914 bis 30. Juni 1916 in England nur von 18 892 000 auf 18 825 000 zu-


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Die Zukunft der deutschen Seeschiffahrt
von Professor Dr. lvygodzinski

on allen Zweigen der deutschen Volkswirtschaft sind Seeschiffahrt
und der eng mit ihm verbundene Überseehandel durch den Krieg
am schwersten betroffen; eine „Umstellung", ewe Anpassung an
die neuen aus dem Kriege selbst erwachsenden Möglichkeiten sind
bei ihnen nicht gegeben. Es ist begreiflich, wenn daher unsere
deutsche Seeschiffahrt schon jetzt ihre Vorbereitungen für die doch einmal
kommende Friedenswirtschaft trifft, um Verlorenes einzuholen und vielleicht
Neues zu gewinnen. Über dieser künftigen Entwicklung aber liegt ein Dunkel
wie wieder über keinem anderen Zweige des deutschen Wirtschaftslebens; die
Zahl der in die Rechnung einzusetzenden unsicheren Faktoren ist allzugroß.
Drei Punkte sind es vor allem, die für diese Entwicklung von der größten, ja
entscheidenden Bedeutung sind: der Umfang des künftigen überseeischen Per¬
sonen- und Frachtenverkehrs, die Konkurrenz der anderen Handelsflotten, die
von den Ententeländern angekündigten Maßnahmen eines „Handelskrieges nach
dem Kriege", die sich neben dem Ausfuhrhandel in erster Linie wieder gegen
die Schiffahrt richten.

War es doch gerade die Entwicklung der deutschen Handelsschiffahrt, die
in England, dem früheren Weltfrachtführer, zum Wachstum jenes Konkurrenz¬
neides beigetragen hat, der einer der mächtigsten Hebel der Kriegsstimmung
gegen den jüngeren Rivalen wurde. In der Tat war. trotz der immer noch
vorhandenen großen Überlegenheit der englischen Handelsflotte, das Wachstum
der deutschen relativ ein viel rascheres. Nach den Berechnungen von Bernhard
Harms hatten von 1901 bis 1911 England (einschließlich Kolonien) den Be¬
stand an Dampfschiffstonnage um 42, Deutschland dagegen um 60 Prozent ver¬
mehrt. Aber das absolute Wachstum war immer noch größer bei Englands
Flotte, so daß dieses im Jahre 1913 mit über 12 Millionen Dampfertonnage
immer noch weitaus an der Spitze der Weltdampferflotte stand; erst in sehr
weitem Abstand kam als zweite die deutsche mit nicht ganz 3 Millionen. Im
Kriege ist das Verhältnis vermutlich zu Ungunsten Englands verschoben. Ge-
naues darüber ist aus einleuchtenden Gründen nicht zu erfahren. Die offizielle
englische Statistik von Llonds Register behauptet zwar, daß die Gesamttonnage
der Schiffe über 100 Tons (also einschließlich der Segelschiffe) vom 30. Juni
1914 bis 30. Juni 1916 in England nur von 18 892 000 auf 18 825 000 zu-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341903_330971/223>, abgerufen am 28.04.2024.