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Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Viertes Vierteljahr.

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Das polnische Problem

Exzellenz von Beseler. kristallisierte sich bald ein Kreis von geistigen Führern
des polnischen Volkes, nachdem diese aus den Vorbereitungen zur Neubelebung
der polnischen Universität zu Warschau erkannt hatten, daß die deutschen Heere
tatsächlich nicht als Eroberer des Landes kamen, sondern als Befreier der
polnischen Kultur von der russischen. Diesen Männern ist in erster Linie die
Aufgabe zugefallen, die bereits eingetretenen Schädigungen des polnischen
Geistes durch Rußland zu beseitigen, in der Nation das Bewußtsein ihrer
kulturellen Eigenheit wieder zu erwecken und damit die Voraussetzungen politischer
Selbstbestimmung neu zu schaffen. Bei der feierlichen Eröffnung der Warschauer
Universität am 15. November 1915 gab deren erster Rektor seiner vertrauenden
Stimmung beredten Ausdruck durch seine Ansprache an die akademische Jugend:
"... Ohne gegenseitiges Vertrauen," führte Professor Dr. meat. Joseph Brudzinski
aus, "ohne Eure Arbeit, ohne Euer Verständnis für die Wichtigkeit dieser Stunde
und Euer Festhalten an dem polnischen und dem rein wissenschaftlichen Charakter
der Universität werden wir allein nichts ausrichten können. Ich fordere Euch
auf, junge Arbeitsgenossen, daran zu denken, daß, ,wer ein Volk verderben
will, die Fackel der Bildung bei ihm auslöschen soll' (Staszic), daß also, wenn
man Euch ebenso wie uns diese brennende Fackel heute in die Hand legte, es
unsere Aufgabe ist, ihr Erlöschen zu verhüten, daß es unsere und Euere Pflicht
ist, mit dieser Fackel vor dem Volke herzugehen und zu leuchten, . . ."

Von der Warschauer polnischen Universität aus hat sich der Geist des
Vertrauens ausgebreitet, der seinen Ausdruck findet in der Gewährung der
Autonomie an das bisherige russische Polen durch die verbündeten Mittemächte.
Möge sich dies Vertrauen, das zugleich eine hohe Anerkennung der Disziplin
des polnischen Volkes gegenüber den geistigen Führern ist, durch die nahe und
fernere Entwicklung des politischen Lebens rechtfertigen. Eine Lösung des
polnischen Problems bedeutet die Autonomieverleihung für das Gebiet des alten
Kongreßpolen nicht! kann es auch nicht bedeuten! Sie ist vielmehr nur ein
richtunggebender Schritt. Die Polen mögen daraus erkennen, in welcher Weise
sich die deutsche Reichsleitung die künftige Entwicklung der kulturellen Be¬
ziehungen der Völker Mitteleuropas denkt, -- wir Deutsche aber wollen uns
nicht der Hoffnung verschließen, daß der Größe der hier aufgezeigten Ziele sich
bei den beteiligten Völkern und Staaten auch ein großes Geschlecht finden möge,
so daß Friedrich der Große diesmal mit seinem Pessimismus im Unrecht bliebe.
Ebenso wie die Sicherstellung unserer Zukunft das deutsche Volk zu großen
Taten zwang, so zwingt sie uns zu großen politischen Entschlüssen.




Das polnische Problem

Exzellenz von Beseler. kristallisierte sich bald ein Kreis von geistigen Führern
des polnischen Volkes, nachdem diese aus den Vorbereitungen zur Neubelebung
der polnischen Universität zu Warschau erkannt hatten, daß die deutschen Heere
tatsächlich nicht als Eroberer des Landes kamen, sondern als Befreier der
polnischen Kultur von der russischen. Diesen Männern ist in erster Linie die
Aufgabe zugefallen, die bereits eingetretenen Schädigungen des polnischen
Geistes durch Rußland zu beseitigen, in der Nation das Bewußtsein ihrer
kulturellen Eigenheit wieder zu erwecken und damit die Voraussetzungen politischer
Selbstbestimmung neu zu schaffen. Bei der feierlichen Eröffnung der Warschauer
Universität am 15. November 1915 gab deren erster Rektor seiner vertrauenden
Stimmung beredten Ausdruck durch seine Ansprache an die akademische Jugend:
„... Ohne gegenseitiges Vertrauen," führte Professor Dr. meat. Joseph Brudzinski
aus, „ohne Eure Arbeit, ohne Euer Verständnis für die Wichtigkeit dieser Stunde
und Euer Festhalten an dem polnischen und dem rein wissenschaftlichen Charakter
der Universität werden wir allein nichts ausrichten können. Ich fordere Euch
auf, junge Arbeitsgenossen, daran zu denken, daß, ,wer ein Volk verderben
will, die Fackel der Bildung bei ihm auslöschen soll' (Staszic), daß also, wenn
man Euch ebenso wie uns diese brennende Fackel heute in die Hand legte, es
unsere Aufgabe ist, ihr Erlöschen zu verhüten, daß es unsere und Euere Pflicht
ist, mit dieser Fackel vor dem Volke herzugehen und zu leuchten, . . ."

Von der Warschauer polnischen Universität aus hat sich der Geist des
Vertrauens ausgebreitet, der seinen Ausdruck findet in der Gewährung der
Autonomie an das bisherige russische Polen durch die verbündeten Mittemächte.
Möge sich dies Vertrauen, das zugleich eine hohe Anerkennung der Disziplin
des polnischen Volkes gegenüber den geistigen Führern ist, durch die nahe und
fernere Entwicklung des politischen Lebens rechtfertigen. Eine Lösung des
polnischen Problems bedeutet die Autonomieverleihung für das Gebiet des alten
Kongreßpolen nicht! kann es auch nicht bedeuten! Sie ist vielmehr nur ein
richtunggebender Schritt. Die Polen mögen daraus erkennen, in welcher Weise
sich die deutsche Reichsleitung die künftige Entwicklung der kulturellen Be¬
ziehungen der Völker Mitteleuropas denkt, — wir Deutsche aber wollen uns
nicht der Hoffnung verschließen, daß der Größe der hier aufgezeigten Ziele sich
bei den beteiligten Völkern und Staaten auch ein großes Geschlecht finden möge,
so daß Friedrich der Große diesmal mit seinem Pessimismus im Unrecht bliebe.
Ebenso wie die Sicherstellung unserer Zukunft das deutsche Volk zu großen
Taten zwang, so zwingt sie uns zu großen politischen Entschlüssen.




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[0222] Das polnische Problem Exzellenz von Beseler. kristallisierte sich bald ein Kreis von geistigen Führern des polnischen Volkes, nachdem diese aus den Vorbereitungen zur Neubelebung der polnischen Universität zu Warschau erkannt hatten, daß die deutschen Heere tatsächlich nicht als Eroberer des Landes kamen, sondern als Befreier der polnischen Kultur von der russischen. Diesen Männern ist in erster Linie die Aufgabe zugefallen, die bereits eingetretenen Schädigungen des polnischen Geistes durch Rußland zu beseitigen, in der Nation das Bewußtsein ihrer kulturellen Eigenheit wieder zu erwecken und damit die Voraussetzungen politischer Selbstbestimmung neu zu schaffen. Bei der feierlichen Eröffnung der Warschauer Universität am 15. November 1915 gab deren erster Rektor seiner vertrauenden Stimmung beredten Ausdruck durch seine Ansprache an die akademische Jugend: „... Ohne gegenseitiges Vertrauen," führte Professor Dr. meat. Joseph Brudzinski aus, „ohne Eure Arbeit, ohne Euer Verständnis für die Wichtigkeit dieser Stunde und Euer Festhalten an dem polnischen und dem rein wissenschaftlichen Charakter der Universität werden wir allein nichts ausrichten können. Ich fordere Euch auf, junge Arbeitsgenossen, daran zu denken, daß, ,wer ein Volk verderben will, die Fackel der Bildung bei ihm auslöschen soll' (Staszic), daß also, wenn man Euch ebenso wie uns diese brennende Fackel heute in die Hand legte, es unsere Aufgabe ist, ihr Erlöschen zu verhüten, daß es unsere und Euere Pflicht ist, mit dieser Fackel vor dem Volke herzugehen und zu leuchten, . . ." Von der Warschauer polnischen Universität aus hat sich der Geist des Vertrauens ausgebreitet, der seinen Ausdruck findet in der Gewährung der Autonomie an das bisherige russische Polen durch die verbündeten Mittemächte. Möge sich dies Vertrauen, das zugleich eine hohe Anerkennung der Disziplin des polnischen Volkes gegenüber den geistigen Führern ist, durch die nahe und fernere Entwicklung des politischen Lebens rechtfertigen. Eine Lösung des polnischen Problems bedeutet die Autonomieverleihung für das Gebiet des alten Kongreßpolen nicht! kann es auch nicht bedeuten! Sie ist vielmehr nur ein richtunggebender Schritt. Die Polen mögen daraus erkennen, in welcher Weise sich die deutsche Reichsleitung die künftige Entwicklung der kulturellen Be¬ ziehungen der Völker Mitteleuropas denkt, — wir Deutsche aber wollen uns nicht der Hoffnung verschließen, daß der Größe der hier aufgezeigten Ziele sich bei den beteiligten Völkern und Staaten auch ein großes Geschlecht finden möge, so daß Friedrich der Große diesmal mit seinem Pessimismus im Unrecht bliebe. Ebenso wie die Sicherstellung unserer Zukunft das deutsche Volk zu großen Taten zwang, so zwingt sie uns zu großen politischen Entschlüssen.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341903_330971/222>, abgerufen am 11.05.2024.