Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Viertes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite


Die Entlassung Kriegsgefangener gegen Ehrenwort
in alter und neuer Zeit
von Dr. Wilhelm Anorr

er Begriff der Entlassung Kriegsgefangener gegen Ehrenwort um¬
faßt mehrere Arten von Verträgen Kriegsgefangener mit dem
Sieger. In älteren Zeiten konnte der einzelne Ergreifer über
seinen Gefangenen verfügen und kraft eignen Rechtes Verträge,
z. B. über die Höhe des Lösegeldes, mit ihm abschließen. Seit
dem Anfange des siebzehnten Jahrhunderts etwa ging die Entwicklung jedoch immer
mehr dahin, daß der Truppenführer, dann der Kriegsherr, endlich in der neu¬
zeitlichen Kriegführung der Nehmestaat die Verfügung über den Gefangenen
allein in Anspruch nahm. Seitdem ist es der kriegführende Staat, der durch
seine Truppenführer ehrenwörtliche Verträge mit den Kriegsgefangenen seiner
Heere abschließt.

Die Verpfändung der Ehre sowie eine Reihe weiterer Merkmale sind
diesen Verträgen der Gefangenen mit dem Sieger gemeinsam und rechtfertigen
die Zusammenfassung, die diese Verträge bisher stets im Schrifttum unter den:
Ausdrucke "Entlassung Kriegsgefangener gegen Ehrenwort" erfahren haben.
Die Verträge sind gegenseitige, sie begründen sowohl auf der Seite des Kriegs¬
gefangenen, als auch auf der Seite deS Siegers voneinander abhängige Rechte
und Pflichten. Die Eingehung des Vertrages ist auf beiden Seiten freiwillig,
durch keine internationale Vorschrift oder Gewohnheit wird der Sieger verpflichtet,
den Gefangenen gegen Ehrenwort zu entlassen, ebensowenig kann auch der
Gefangene zur Abgabe des Ehrenwortes gezwungen werden. Nach Eingehung
des Vertrages aber hat der Gefangene das Versprechen, das er unter Verpfändung
der Ehre abgegeben hat. mit peinlicher Treue bei Verlust seiner Ehre zu halten,
der Sieger seine Verpflichtungen aus dem Vertrage ebenfalls treu zu erfüllen,
wenn anders er das gleiche von der Gegenpartei erwarten will.

Im einzelnen können wir drei Arten solcher ehrenwörtlichen Verträge
unterscheiden, die ihre gesonderte Geschichte und Entwicklung durchgemacht
haben, nämlich je nachdem durch solchen Vertrag die endgültige oder die vor¬
läufige Entlassung oder endlich nur eine Erleichterung des harten Loses der
Gefangenschaft angestrebt wird. Je nach der Art dieser Verträge ist auch der
Inhalt der gegenseitigen Verpflichtungen verschieden: Bei der endgültigen Ent-




Die Entlassung Kriegsgefangener gegen Ehrenwort
in alter und neuer Zeit
von Dr. Wilhelm Anorr

er Begriff der Entlassung Kriegsgefangener gegen Ehrenwort um¬
faßt mehrere Arten von Verträgen Kriegsgefangener mit dem
Sieger. In älteren Zeiten konnte der einzelne Ergreifer über
seinen Gefangenen verfügen und kraft eignen Rechtes Verträge,
z. B. über die Höhe des Lösegeldes, mit ihm abschließen. Seit
dem Anfange des siebzehnten Jahrhunderts etwa ging die Entwicklung jedoch immer
mehr dahin, daß der Truppenführer, dann der Kriegsherr, endlich in der neu¬
zeitlichen Kriegführung der Nehmestaat die Verfügung über den Gefangenen
allein in Anspruch nahm. Seitdem ist es der kriegführende Staat, der durch
seine Truppenführer ehrenwörtliche Verträge mit den Kriegsgefangenen seiner
Heere abschließt.

Die Verpfändung der Ehre sowie eine Reihe weiterer Merkmale sind
diesen Verträgen der Gefangenen mit dem Sieger gemeinsam und rechtfertigen
die Zusammenfassung, die diese Verträge bisher stets im Schrifttum unter den:
Ausdrucke „Entlassung Kriegsgefangener gegen Ehrenwort" erfahren haben.
Die Verträge sind gegenseitige, sie begründen sowohl auf der Seite des Kriegs¬
gefangenen, als auch auf der Seite deS Siegers voneinander abhängige Rechte
und Pflichten. Die Eingehung des Vertrages ist auf beiden Seiten freiwillig,
durch keine internationale Vorschrift oder Gewohnheit wird der Sieger verpflichtet,
den Gefangenen gegen Ehrenwort zu entlassen, ebensowenig kann auch der
Gefangene zur Abgabe des Ehrenwortes gezwungen werden. Nach Eingehung
des Vertrages aber hat der Gefangene das Versprechen, das er unter Verpfändung
der Ehre abgegeben hat. mit peinlicher Treue bei Verlust seiner Ehre zu halten,
der Sieger seine Verpflichtungen aus dem Vertrage ebenfalls treu zu erfüllen,
wenn anders er das gleiche von der Gegenpartei erwarten will.

Im einzelnen können wir drei Arten solcher ehrenwörtlichen Verträge
unterscheiden, die ihre gesonderte Geschichte und Entwicklung durchgemacht
haben, nämlich je nachdem durch solchen Vertrag die endgültige oder die vor¬
läufige Entlassung oder endlich nur eine Erleichterung des harten Loses der
Gefangenschaft angestrebt wird. Je nach der Art dieser Verträge ist auch der
Inhalt der gegenseitigen Verpflichtungen verschieden: Bei der endgültigen Ent-


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0245" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/331217"/>
          <figure facs="http://media.dwds.de/dta/images/grenzboten_341903_330971/figures/grenzboten_341903_330971_331217_000.jpg"/><lb/>
        </div>
        <div n="1">
          <head> Die Entlassung Kriegsgefangener gegen Ehrenwort<lb/>
in alter und neuer Zeit<lb/><note type="byline"> von Dr. Wilhelm Anorr</note></head><lb/>
          <p xml:id="ID_822"> er Begriff der Entlassung Kriegsgefangener gegen Ehrenwort um¬<lb/>
faßt mehrere Arten von Verträgen Kriegsgefangener mit dem<lb/>
Sieger. In älteren Zeiten konnte der einzelne Ergreifer über<lb/>
seinen Gefangenen verfügen und kraft eignen Rechtes Verträge,<lb/>
z. B. über die Höhe des Lösegeldes, mit ihm abschließen. Seit<lb/>
dem Anfange des siebzehnten Jahrhunderts etwa ging die Entwicklung jedoch immer<lb/>
mehr dahin, daß der Truppenführer, dann der Kriegsherr, endlich in der neu¬<lb/>
zeitlichen Kriegführung der Nehmestaat die Verfügung über den Gefangenen<lb/>
allein in Anspruch nahm. Seitdem ist es der kriegführende Staat, der durch<lb/>
seine Truppenführer ehrenwörtliche Verträge mit den Kriegsgefangenen seiner<lb/>
Heere abschließt.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_823"> Die Verpfändung der Ehre sowie eine Reihe weiterer Merkmale sind<lb/>
diesen Verträgen der Gefangenen mit dem Sieger gemeinsam und rechtfertigen<lb/>
die Zusammenfassung, die diese Verträge bisher stets im Schrifttum unter den:<lb/>
Ausdrucke &#x201E;Entlassung Kriegsgefangener gegen Ehrenwort" erfahren haben.<lb/>
Die Verträge sind gegenseitige, sie begründen sowohl auf der Seite des Kriegs¬<lb/>
gefangenen, als auch auf der Seite deS Siegers voneinander abhängige Rechte<lb/>
und Pflichten. Die Eingehung des Vertrages ist auf beiden Seiten freiwillig,<lb/>
durch keine internationale Vorschrift oder Gewohnheit wird der Sieger verpflichtet,<lb/>
den Gefangenen gegen Ehrenwort zu entlassen, ebensowenig kann auch der<lb/>
Gefangene zur Abgabe des Ehrenwortes gezwungen werden. Nach Eingehung<lb/>
des Vertrages aber hat der Gefangene das Versprechen, das er unter Verpfändung<lb/>
der Ehre abgegeben hat. mit peinlicher Treue bei Verlust seiner Ehre zu halten,<lb/>
der Sieger seine Verpflichtungen aus dem Vertrage ebenfalls treu zu erfüllen,<lb/>
wenn anders er das gleiche von der Gegenpartei erwarten will.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_824" next="#ID_825"> Im einzelnen können wir drei Arten solcher ehrenwörtlichen Verträge<lb/>
unterscheiden, die ihre gesonderte Geschichte und Entwicklung durchgemacht<lb/>
haben, nämlich je nachdem durch solchen Vertrag die endgültige oder die vor¬<lb/>
läufige Entlassung oder endlich nur eine Erleichterung des harten Loses der<lb/>
Gefangenschaft angestrebt wird. Je nach der Art dieser Verträge ist auch der<lb/>
Inhalt der gegenseitigen Verpflichtungen verschieden: Bei der endgültigen Ent-</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0245] [Abbildung] Die Entlassung Kriegsgefangener gegen Ehrenwort in alter und neuer Zeit von Dr. Wilhelm Anorr er Begriff der Entlassung Kriegsgefangener gegen Ehrenwort um¬ faßt mehrere Arten von Verträgen Kriegsgefangener mit dem Sieger. In älteren Zeiten konnte der einzelne Ergreifer über seinen Gefangenen verfügen und kraft eignen Rechtes Verträge, z. B. über die Höhe des Lösegeldes, mit ihm abschließen. Seit dem Anfange des siebzehnten Jahrhunderts etwa ging die Entwicklung jedoch immer mehr dahin, daß der Truppenführer, dann der Kriegsherr, endlich in der neu¬ zeitlichen Kriegführung der Nehmestaat die Verfügung über den Gefangenen allein in Anspruch nahm. Seitdem ist es der kriegführende Staat, der durch seine Truppenführer ehrenwörtliche Verträge mit den Kriegsgefangenen seiner Heere abschließt. Die Verpfändung der Ehre sowie eine Reihe weiterer Merkmale sind diesen Verträgen der Gefangenen mit dem Sieger gemeinsam und rechtfertigen die Zusammenfassung, die diese Verträge bisher stets im Schrifttum unter den: Ausdrucke „Entlassung Kriegsgefangener gegen Ehrenwort" erfahren haben. Die Verträge sind gegenseitige, sie begründen sowohl auf der Seite des Kriegs¬ gefangenen, als auch auf der Seite deS Siegers voneinander abhängige Rechte und Pflichten. Die Eingehung des Vertrages ist auf beiden Seiten freiwillig, durch keine internationale Vorschrift oder Gewohnheit wird der Sieger verpflichtet, den Gefangenen gegen Ehrenwort zu entlassen, ebensowenig kann auch der Gefangene zur Abgabe des Ehrenwortes gezwungen werden. Nach Eingehung des Vertrages aber hat der Gefangene das Versprechen, das er unter Verpfändung der Ehre abgegeben hat. mit peinlicher Treue bei Verlust seiner Ehre zu halten, der Sieger seine Verpflichtungen aus dem Vertrage ebenfalls treu zu erfüllen, wenn anders er das gleiche von der Gegenpartei erwarten will. Im einzelnen können wir drei Arten solcher ehrenwörtlichen Verträge unterscheiden, die ihre gesonderte Geschichte und Entwicklung durchgemacht haben, nämlich je nachdem durch solchen Vertrag die endgültige oder die vor¬ läufige Entlassung oder endlich nur eine Erleichterung des harten Loses der Gefangenschaft angestrebt wird. Je nach der Art dieser Verträge ist auch der Inhalt der gegenseitigen Verpflichtungen verschieden: Bei der endgültigen Ent-

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341903_330971
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341903_330971/245
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341903_330971/245>, abgerufen am 28.04.2024.