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Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Viertes Vierteljahr.

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Die Zeit der schwindenden Illusionen

türmers Zeit in Rußland könnte man eine Zeit der schwindenden
Illusionen nennen. Dies gilt für die Kriegführung Rußlands,
es gilt für seine äußere und innere Politik.

Die Vrussilowschen Offensiven mit ihren negativen Ergebnissen
ließen die krampfhaften Hoffnungen der Russen, es werde möglich
sein, im Bogen um Luzk herum oder nach Lemoerg zu die deutsch-öster¬
reichische Front wanken zu machen, allmählich schwinden. Immer bescheidner
und bescheidener wurden die Frontberichte der russischen Generalstabsobersten,
die in den Blättern der Residenzen schreiben. Sie zogen es vor, sich mit der
Somme zu beschäftigen, wo den Winken der englischen Presse gemäß jeder
Gewinn eines Dorfes zu einem entscheidenden Ereignis aufgebauscht wurde.
In der Dobrudscha wurden die russisch-rumänisch-serbischen Armeen durch den
glänzenden Mackensenschen Frontalangriff bis hinter Tschernawoda-Konstanza
zurückgedrängt, und die deutsch-bulgarischen Streitkräfte erwiesen ihre un¬
bestrittene Überlegenheit. Die anfänglichen Jubelhymnen über das Vorrücken
der rumänischen Armee nach Siebenbürgen verstummten bald, als Falkenhayns
Truppen die Rumänen durch die schwierigen Gebirgspässe in einem Gelände,
das größere Hindernisse bot, als der Alpenkriegsschauplatz, mit der ganzen
Kraft der deutschen Schläge hindurch und in die kleine Walachei hineintrieben.
Stürmers Abgang von der Bühne fällt zusammen mit Mackensens Übergang
über die Donau, mit der Abschneidung der letzten rumänischen Truppen bei
Orsowa und Turm Severin, mit der Gewinnung des Altflusses durch Falken-
hayn und der endgültigen Aufgabe der kleinen Walachei durch Rumänien.

Die rumänischen Niederlagen sind aber in erster Linie russische Nieder¬
lagen, denn jeder Zoll breit Bodens, den die Rumänen aufgeben müssen, ent¬
fernt die Russen weiter von ihrem Ziele: Konstantinopel, und nähert die
deutsch-österreichischen Heere dem russischen Süden. Die Erkenntnis dieser durch
keine Schönrederei aus der Welt zu schaffenden Tatsachen bildete der düstere
Hintergrund für das Wirken Stürmers in der äußeren und in der inneren Politik.


Grenzboten IV 191" Is


Die Zeit der schwindenden Illusionen

türmers Zeit in Rußland könnte man eine Zeit der schwindenden
Illusionen nennen. Dies gilt für die Kriegführung Rußlands,
es gilt für seine äußere und innere Politik.

Die Vrussilowschen Offensiven mit ihren negativen Ergebnissen
ließen die krampfhaften Hoffnungen der Russen, es werde möglich
sein, im Bogen um Luzk herum oder nach Lemoerg zu die deutsch-öster¬
reichische Front wanken zu machen, allmählich schwinden. Immer bescheidner
und bescheidener wurden die Frontberichte der russischen Generalstabsobersten,
die in den Blättern der Residenzen schreiben. Sie zogen es vor, sich mit der
Somme zu beschäftigen, wo den Winken der englischen Presse gemäß jeder
Gewinn eines Dorfes zu einem entscheidenden Ereignis aufgebauscht wurde.
In der Dobrudscha wurden die russisch-rumänisch-serbischen Armeen durch den
glänzenden Mackensenschen Frontalangriff bis hinter Tschernawoda-Konstanza
zurückgedrängt, und die deutsch-bulgarischen Streitkräfte erwiesen ihre un¬
bestrittene Überlegenheit. Die anfänglichen Jubelhymnen über das Vorrücken
der rumänischen Armee nach Siebenbürgen verstummten bald, als Falkenhayns
Truppen die Rumänen durch die schwierigen Gebirgspässe in einem Gelände,
das größere Hindernisse bot, als der Alpenkriegsschauplatz, mit der ganzen
Kraft der deutschen Schläge hindurch und in die kleine Walachei hineintrieben.
Stürmers Abgang von der Bühne fällt zusammen mit Mackensens Übergang
über die Donau, mit der Abschneidung der letzten rumänischen Truppen bei
Orsowa und Turm Severin, mit der Gewinnung des Altflusses durch Falken-
hayn und der endgültigen Aufgabe der kleinen Walachei durch Rumänien.

Die rumänischen Niederlagen sind aber in erster Linie russische Nieder¬
lagen, denn jeder Zoll breit Bodens, den die Rumänen aufgeben müssen, ent¬
fernt die Russen weiter von ihrem Ziele: Konstantinopel, und nähert die
deutsch-österreichischen Heere dem russischen Süden. Die Erkenntnis dieser durch
keine Schönrederei aus der Welt zu schaffenden Tatsachen bildete der düstere
Hintergrund für das Wirken Stürmers in der äußeren und in der inneren Politik.


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[0301] [Abbildung] Die Zeit der schwindenden Illusionen türmers Zeit in Rußland könnte man eine Zeit der schwindenden Illusionen nennen. Dies gilt für die Kriegführung Rußlands, es gilt für seine äußere und innere Politik. Die Vrussilowschen Offensiven mit ihren negativen Ergebnissen ließen die krampfhaften Hoffnungen der Russen, es werde möglich sein, im Bogen um Luzk herum oder nach Lemoerg zu die deutsch-öster¬ reichische Front wanken zu machen, allmählich schwinden. Immer bescheidner und bescheidener wurden die Frontberichte der russischen Generalstabsobersten, die in den Blättern der Residenzen schreiben. Sie zogen es vor, sich mit der Somme zu beschäftigen, wo den Winken der englischen Presse gemäß jeder Gewinn eines Dorfes zu einem entscheidenden Ereignis aufgebauscht wurde. In der Dobrudscha wurden die russisch-rumänisch-serbischen Armeen durch den glänzenden Mackensenschen Frontalangriff bis hinter Tschernawoda-Konstanza zurückgedrängt, und die deutsch-bulgarischen Streitkräfte erwiesen ihre un¬ bestrittene Überlegenheit. Die anfänglichen Jubelhymnen über das Vorrücken der rumänischen Armee nach Siebenbürgen verstummten bald, als Falkenhayns Truppen die Rumänen durch die schwierigen Gebirgspässe in einem Gelände, das größere Hindernisse bot, als der Alpenkriegsschauplatz, mit der ganzen Kraft der deutschen Schläge hindurch und in die kleine Walachei hineintrieben. Stürmers Abgang von der Bühne fällt zusammen mit Mackensens Übergang über die Donau, mit der Abschneidung der letzten rumänischen Truppen bei Orsowa und Turm Severin, mit der Gewinnung des Altflusses durch Falken- hayn und der endgültigen Aufgabe der kleinen Walachei durch Rumänien. Die rumänischen Niederlagen sind aber in erster Linie russische Nieder¬ lagen, denn jeder Zoll breit Bodens, den die Rumänen aufgeben müssen, ent¬ fernt die Russen weiter von ihrem Ziele: Konstantinopel, und nähert die deutsch-österreichischen Heere dem russischen Süden. Die Erkenntnis dieser durch keine Schönrederei aus der Welt zu schaffenden Tatsachen bildete der düstere Hintergrund für das Wirken Stürmers in der äußeren und in der inneren Politik. Grenzboten IV 191« Is

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341903_330971/301>, abgerufen am 28.04.2024.